Die Wohnungsnot ruft nicht nur Betrüger auf den Plan, sondern auch clevere Geschäftemacher. Bestes Beispiel: Die Firma „Medici Living“, der nach eigenen Angaben größte professionelle WG-Anbieter. 65 freie Zimmer listet das Portal derzeit in Berlin auf. Man kann sie so einfach buchen wie ein Hotel. Kein demütigendes WG-Casting, kein Verdienstnachweis, keine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung oder Schufa-Auskunft – Anforderungen, die eine indonesische Studentin oder ein Sprachschüler aus Russland ohnehin nicht erfüllen könnten.
Ein Mausklick genügt, und man kann einziehen. Neben einer Kaution wird lediglich eine Anmeldegebühr von 100 Euro verlangt. Der Haken sind die Preise. Das günstigste Zimmer kostet 380 Euro und misst gerade mal 8 Quadratmeter. Die meisten Angebote bewegen sich zwischen 400 und 480 Euro inklusive aller Nebenkosten und einer – sehr einfachen – Möblierung. 449 Euro sind für ein 12 Quadratmeter großes Zimmer in der Neuköllner Flughafenstraße zu zahlen, für 520 Euro kann man nach Wilmersdorf ziehen. Die Angebote werden nicht von Privatpersonen eingestellt wie etwa bei „WG-Gesucht“, sondern „Medici Living“ tritt selber als Vermieter auf und erzielt den Gewinn über die Mieteinnahmen. „Wir mieten Wohnungen langfristig an, kaufen aber auch ganze Objekte, sanieren diese und stellen sie dem Markt zur Verfügung“, erklärt Pressesprecherin Constanze von Kettler. Dabei werden die Wohnungen teilweise so umgebaut, dass aus einem großen Zimmer zwei kleine werden – und schon kann die einstige Dreizimmerwohnung an fünf Personen vermietet werden. Die Kündigungsfrist beträgt nur einen Monat, man muss sich also nicht auf eine längere Laufzeit festlegen. Medici Living selber preist das als „zeitgemäßes Miet-Konzept“, mit dem man neuen Wohnraum schaffe und der Wohnungsknappheit entgegenwirke. Die Kritik an den Mietpreisen hält man für unfair. Schließlich seien Heizung, Strom und Internetanschluss inklusive. Es sei verzerrend, diese Preise mit den Nettomieten des Mietspiegels zu vergleichen. In der Öffentlichkeit kommen die extrem teuren Mini-Zimmer dennoch nicht gut an. „Berlins schlimmste Wucher-WG“ titelte die „Bild“-Zeitung.
Apropos Wucher. War da nicht mal was? Gibt es nicht ein Gesetz, wonach ein Vermieter eine Ordnungswidrigkeit begeht, wenn er die „üblichen Entgelte“ um mehr als 20 Prozent überschreitet? Den sogenannten Wucherparagrafen (§ 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes) gibt es noch. Voraussetzung ist, dass ein geringes Angebot an vergleichbaren Räumen ausgenutzt wird. Die Pläne von Justizminister Heiko Maas (SPD), ihn abzuschaffen, sind vom Tisch. Dennoch handele es sich um einen „toten Paragrafen“, wie Frank Maciejewski, Rechtsexperte beim Berliner Mieterverein, erklärt. Das habe vor allem mit einem folgenschweren Urteil des Bundesgerichtshofs zu tun. Demnach muss der Mieter beweisen, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt und der vereinbarten überhöhten Miete gibt (BGH vom 28. Januar 2004 – VIII ZR 190/03). Das heißt: Er muss durch Dokumentation seiner Wohnungssuche belegen, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als die überteuerte Wohnung anzumieten. Die Suche darf dabei nicht auf bestimmte Stadtteile beschränkt sein, so Maciejewski: „Die Richter können stets argumentieren, in Marzahn oder Reinickendorf gebe es ja genügend freie Wohnungen.“
Vor diesem Hintergrund hat das Land Hamburg vor einiger Zeit eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Wucherparagrafen eingebracht. Demnach sollen Mieter von dem Beweis entlastet werden, dass der Vermieter ein knappes Wohnungsangebot ausgenutzt hat. Der Nachweis des Wohnungsmangels soll ausreichen. Auch soll es künftig möglich sein, Teilgebiete einer Stadt zu betrachten. Beim Berliner Mieterverein begrüßt man die Initiative, hat aber noch einen Verbesserungsvorschlag: „Es sollte präzisiert werden, dass die ortsübliche Vergleichsmiete gemäß Mietspiegel der Bezugsrahmen ist“, meint Geschäftsführer Reiner Wild. Nur dann haben Mieter ein Instrument zur Überprüfung in der Hand.
Das Gesetz findet übrigens auf alle Arten von Wohnraum Anwendung. Selbst bei Berücksichtigung eines angemessenen Möblierungszuschlags dürften die Preise von Medici Living dann als unzulässige Mietpreisüberhöhung gelten.
bl
06.07.2019