Das Landgericht Berlin hat sich mit einem mieterfreundlichen Urteil gegen den Bundesgerichtshof gestellt: Der Vermieter dürfe dem Mieter wegen Mietrückständen nicht fristlos und zugleich hilfsweise ordentlich kündigen. Eine solche Hilfskündigung führt bislang dazu, dass der Mieter selbst dann die Wohnung verliert, wenn er die fristlose Kündigung abwehrt, indem er innerhalb der Schonfrist nachzahlt.
Die Richter der 66. Kammer beim Landgericht hatten am 13. Oktober 2017 über einen Fall zu entscheiden, der so oder ähnlich vielen Mietern zum Verhängnis wurde beziehungsweise immer noch wird: Der klagende Vermieter und der Hauptmieter hatten im Juli 2004 einen Mietvertrag geschlossen. Der Mieter hatte monatlich 250 Euro zu bezahlen, befand sich allerdings mit einem Betrag von insgesamt 500,30 Euro für Juni und Juli 2016 im Rückstand. Der Vermieter kündigte darauf mit Schreiben vom 11. Juli 2016 fristlos, also mit sofortiger Wirkung, und „hilfsweise“ mit ordentlicher Frist zum 31. Oktober 2016. Am 19. Juli, also innerhalb der zweimonatigen Schonfrist (Paragraf 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB), zahlte der Mieter den offenen Betrag. Damit war zwar die fristlose Kündigung „vom Tisch“, nicht aber die ordentliche: Der Vermieter klagte auf Räumung zum 31. Oktober. Das Amtsgericht Pankow gab dem Vermieter Recht, doch in der Berufung beim Landgericht blitzte er ab.
Nicht Mieterschutz, sondern gedankliche Logik
Die Richter hatten mit ihrem Urteil allerdings weniger den Schutz des Mieters im Auge, vielmehr übten sie Kritik an der juristischen Gedankenführung der obersten Zivilrichter in Karlsruhe, die dem Pankower Urteil zugrunde lag. Zum Zeitpunkt, als die fristlose Kündigung dem Mieter zuging, sei sein Mietvertrag als Folge dieser Fristlosigkeit unmittelbar beendet worden. Insofern führe die zugleich hilfsweise erklärte Kündigung logischerweise ins Leere. Denn nachdem die Wohnung gekündigt war, konnte das Mietverhältnis nicht noch einmal durch ordentliche Kündigung beendet werden. Dass die Bezahlung der Mietschulden die fristlose Kündigung außer Kraft setzte, führte dann aber nicht dazu, dass die ordentliche Kündigung wieder auflebte. (66 S 90/17).
Das Urteil ist nicht rechtskräftig – die Revision wurde zugelassen. Da der BGH nicht mit einer schon entschiedenen Rechtsfrage befasst werden darf, wandten die Richter vom Landgericht einen argumentativen Trick an: Der BGH habe sich auch in seinem grundlegenden Urteil vom 16. Februar 2005 (VIII ZR 6/04) mit ihrem Argument noch nicht befasst.
Dass der BGH sich von der Berliner Kammer wegen eines möglichen Denkfehlers belehren lassen wird, ist fraglich. Wenn ja, wäre diese Korrektur aber von großer Tragweite für säumige Mieter. Vermietern würde es schwerer gemacht, Mieter wegen Zahlungsrückständen aus der Wohnung zu klagen. Sozialämter würden vermutlich mehr als bisher dazu übergehen, Schonfristzahlungen zu übernehmen, weil das Mietverhältnis damit ohne Verhandlungen mit dem Vermieter „gerettet“ werden kann.
Sebastian Bartels
Die Doppelkündigung
Der Vermieter kann wegen Zahlungsverzugs fristlos kündigen, wenn der Mieter an zwei aufeinanderfolgenden Terminen mit mehr als einer Miete oder über einen längeren Zeitraum mit einem Betrag von insgesamt zwei Mieten im Rückstand ist. Berechtigte Minderungen zählen zwar nicht dazu, sind für den Mieter
aber riskant, wenn die Quote überhöht oder ein Mangel nicht beweisbar ist. Bis 2005 konnte der Mieter die Kündigung durch Nachzahlung in der Schonfrist abwenden. Gerichte sahen es als treuwidrig an, wenn der Vermieter trotzdem die fristgemäße Kündigung durchsetzen wollte. Dann urteilte der BGH, die Schonfristregel sei auf ordentliche Kündigungen nicht anwendbar. Sie solle Obdachlosigkeit verhindern. Diese Gefahr sei aber bei einer Kündigung mit Frist weit geringer. Seitdem kündigen fast alle Vermieter zugleich fristlos und fristgemäß – oft, um unliebsame Mieter loszuwerden. Nachzahlungen können zwar auch ordentliche Kündigungen heilen, wenn sie das für diese Kündigungen vorausgesetzte Verschulden in einem „milderen Licht“ erscheinen lassen. Was genau das bedeutet, hat der BGH aber offen gelassen.
sb
27.02.2018