Straßennamen sind ein offenes Geschichtsbuch. Auf den Berliner Straßenschildern und im Stadtplan lässt sich ablesen, welche Personen und Ereignisse man in verschiedenen Zeiten einer öffentlichen Ehrung für würdig hielt. Diese Bewertungen ändern sich mit der Zeit. Manche Straßennamen erscheinen heute unzeitgemäß und unverständlich – oder sogar so unangemessen, dass man über eine Namensänderung nachdenkt. Umbenennungen sind immer leidenschaftlich umstritten.
In der mittelalterlichen Stadt waren die Straßen meistens nach vorhandenen Örtlichkeiten benannt, etwa nach einer Kirche oder dem Rathaus, oft auch nach den Berufen, die die Bewohner einer Straße vorrangig ausgeübt haben. Die Städte waren aber so übersichtlich, dass man zur Orientierung weder Straßennamen noch Hausnummern brauchte. Als Adresse hatten die Häuser Zeichen, zum Beispiel einen Adler, eine Sonne oder eine Linde. Den Bürgern war bekannt, wo sich diese Häuser befanden und wer dort wohnte.
Aus der Stadt herausführende Straßen wurden nach den Orten benannt, zu denen sie hinführten. Der vom Nikolaiviertel nach Spandau gehende Weg wurde also Spandauer Straße genannt. Hinter der Spandauer Brücke am Hackeschen Markt fächert sich der Weg in die Oranienburger Straße, die Große Hamburger Straße und die Rosenthaler Straße auf. Nach diesem Prinzip wurden nahezu alle Ausfallstraßen benannt: die Brunnenstraße/Badstraße nach Gesundbrunnen, die Schönhauser Allee nach Schloss Schönhausen, die Prenzlauer Allee nach Prenzlau, die Greifswalder Straße nach Greifswald und so weiter.
Geografie-Kenntnis erlaubt grobe Orientierung
Mit dem Ausbau der Eisenbahn ab 1838 führte man das Muster in ähnlicher Weise fort. Die Bahnlinien kamen aus allen Himmelsrichtungen und endeten vor den Toren Berlins an Kopfbahnhöfen. Die Straßen rund um die Bahnhöfe wurden meist nach Orten benannt, die man mit der Eisenbahn vom jeweiligen Kopfbahnhof aus erreichen konnte – auch wenn die Straßen selbst nicht in die entsprechende Richtung führten, sondern nur kleine Querstraßen waren. So kamen etwa am Anhalter Bahnhof die Dessauer, Köthener und Bernburger Straße zu ihren Namen.
Am Görlitzer Bahnhof findet man den Lausitzer Platz und den Spreewaldplatz. Da dieses Prinzip an allen Bahnhöfen durchgeführt wurde, konnte man sich – vorausgesetzt, man kannte sich geografisch etwas aus – anhand der Straßennamen auch grob orientieren: Eine Stettiner Straße muss sich im Norden der Stadt befinden, die Oldenburger Straße im Nordwesten, die Reichenberger Straße im Südosten und der Magdeburger Platz im Südwesten.
In der ab 1871 schnell wachsenden Stadt mussten viele Straßen benannt werden. Auf Vorschlag von Bauspekulanten und Terraingesellschaften erhielten die Straßen eines neu erschlossenen Baugebiets ihren Namen. Beliebt waren Namensgeber aus dem Herrscherhaus der Hohenzollern sowie Feldherren und Schlachtorte aus den Befreiungskriegen 1813 und dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Neben dieser Huldigung des militärischen und politischen Bereichs benannte man Straßen auch gerne nach klassischen Schriftstellern und Komponisten, Figuren aus der Nibelungensage, deutschen Flüssen und Landschaften, Bäumen oder Blumen. Auf diese Weise entstanden Quartiere mit verwandten Straßennamen, die Komponistenviertel, Bayerisches Viertel oder Harzer Kiez genannt werden. Der zunehmende Ausbau der Stadt verlangte schließlich auch mehr Einfallsreichtum. So wurden auch deutsche Kolonien, Reformatoren, Astronomen, Schauspieler und Orte des Spanischen Erbfolgekrieges als Namensgeber herangezogen. Anlässlich eines Besuches des britischen Königs Edward VII. wurden 1910 im Wedding die Straßen des Englischen Viertels benannt.
Berlin und seine noch eigenständigen Vorstädte haben sich bei der Wahl der Straßennamen natürlich nicht abgesprochen. Und so wurde es denn auch nach der Bildung von Groß-Berlin im Jahr 1920 ziemlich unübersichtlich. In der neuen Metropole gab es plötzlich viele Straßennamen mehrfach: In fast jeder eingemeindeten Ortschaft hieß die Verbindung in die Zentralstadt Berliner Straße, Berliner Allee oder Berliner Chaussee. Auch Königstraßen, Kaiser-Wilhelm-Plätze und Lothringer Straßen gab es zuhauf.
Aber jeder Straßenname sollte in Berlin nur einmal vorkommen. „Wiederholungen von Straßennamen sind im Laufe der Zeit durch Umbenennungen zu beseitigen“, heißt es im Berliner Straßengesetz. Davon ist Berlin auch 100 Jahre nach der Bildung der Einheitsgemeinde weit entfernt. Halbwegs konsequent wurden ab 1927 die Dorfstraßen der eingemeindeten Orte umbenannt, indem man nach dem Vorbild von Alt-Moabit den Ortsnamen ein „Alt“ voranstellte. Heute gibt es in Berlin 34 solcher Straßennamen.
Sieben „Berliner Straßen“ trotzen der Vorschrift
Was bei den kleinen Dorfangerstraßen mit wenigen Anwohnern noch umstandslos durchgeführt werden konnte, stieß hingegen bei den Hauptgeschäftsstraßen der eingemeindeten Orte auf Widerstand. Gerade diese hießen oft Berliner Straße oder Hauptstraße. Keine Bezirksverwaltung wollte ihren traditionsreichen Straßennamen aufgeben und sich mit Gewerbetreibenden und Anwohnern anlegen, die ihre prestigeträchtige Adresse hätten ablegen müssen. Noch heute gibt es deshalb sieben Berliner Straßen. Zuletzt wurde 2014 die Berliner Straße von Heinersdorf in Tino-Schwierzina-Straße umbenannt. Von den einst 30 Bahnhofstraßen gibt es noch neun. Berlin hat außerdem noch je acht Lindenstraßen, Gartenstraßen und Goethestraßen sowie je sieben Hauptstraßen, Schulstraßen, Kastanienalleen und Schillerstraßen. Von den 14 Kaiser-Wilhelm-Straßen des Jahres 1920 hat nur eine in Lankwitz überlebt. In den Flüsse-Vierteln von Friedrichshain und Neukölln gibt es nicht nur mehrere Straßennamen, sondern auch zwei Kreuzungen doppelt: In beiden Stadtteilen treffen Weserstraße und Weichselstraße sowie Weserstraße und Finowstraße aufeinander.
Eine Berliner Besonderheit sind die vielen Straßen, die statt eines Namens eine Nummer oder einen Buchstaben tragen. Diese wurden in Kleinsiedlungen zunächst provisorisch vergeben und lassen nicht immer ein System erkennen. Da liegt die Straße 175 neben der Straße 89 und der Straße 76, die in die Straße 76a übergeht. Auch hier kommen Mehrfachbenennungen vor. So gibt es viermal die Straße 42 – und alle befinden sich im Bezirk Pankow.
In Straßennamen haben sich alte Schreibweisen erhalten, die heute völlig ungebräuchlich geworden sind, zum Beispiel Kottbusser Damm und Koburger Straße mit K statt C. Auch ausländische Städtenamen, die längst nicht mehr benutzt werden, sind im Berliner Stadtplan verewigt. Die Ofener Straße ist nach dem alten deutschen Namen für Buda, die eine Hälfte der ungarischen Hauptstadt Budapest, benannt. Die Gotenburger Straße hat ihren Namen vom schwedischen Göteborg, die Drontheimer Straße vom norwegischen Trondheim. Der Helsingforser Platz ist nach dem schwedischen Namen der finnischen Hauptstadt Helsinki benannt. Der Revaler Straße liegt der alte deutsche Name der estnischen Hauptstadt Tallinn zugrunde, dem Preßburger Pfad die alte Bezeichnung der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Eine Ausnahme von dieser Form der Traditionspflege: Nachdem 1925 die norwegische Hauptstadt von Christiania in Oslo zurückbenannt wurde, vollzog im Jahr 1938 auch die Berliner Christianiastraße den Namenswechsel zur Osloer Straße.
Auf Berliner Straßenschildern haben sich auch einige Fehler eingebürgert. So fehlt bei der Edinburger Straße das h von Edinburgh und bei der Oudenarder Straße das zweite a von Oudenaarde. Falsch ist auch die Emdener Straße, denn das Adjektiv der ostfriesischen Hafenstadt Emden lautet Emder.
Personenkult kann auf den Tod nicht warten
Grundsätzlich gilt, dass nach dem geltenden Berliner Straßengesetz Straßen und Plätze nur nach Personen benannt werden dürfen, die seit mindestens fünf Jahren tot sind. Früher war eine Namensgebung nach lebenden Personen nicht ausgeschlossen. Beispiele sind die Bismarckstraße in Charlottenburg, die 1871 den Namen des frisch ernannten Reichskanzlers erhielt, oder der Hindenburgdamm, der 1914 nach dem Generalfeldmarschall und späteren Reichskanzler benannt wurde. Auf die Spitze getrieben wurde dieser Personenkult von den Nazis, die in nahezu jedem Ort die Hauptstraße in Adolf-Hitler-Straße umbenennen ließen. Auch in der Anfangszeit der DDR durften Straßen die Namen noch Lebender tragen – die Stalinallee und die Wilhelm-Pieck-Straße waren nur zwei von vielen Beispielen.
Die heute geltende Karenzzeit von fünf Jahren schafft die Möglichkeit, mit einem gewissen Abstand auf das Leben und die Verdienste des möglichen Namensgebers zu blicken und Schnellschüsse zu vermeiden, die man später vielleicht bereut. Deshalb ist es keine Schläfrigkeit der Berliner Verwaltung, wenn sie den Wünschen trauernder Fans nicht sofort nachkommt, eine Straße etwa nach Harald Juhnke oder David Bowie zu benennen. Selbst bei unstreitig historischen Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Richard von Weizsäcker wurden keine Ausnahmen gemacht.
Karenz jetzt auch für die Großen der Geschichte
Laut Straßengesetz können die Bezirke Straßen und Plätze umbenennen, um Namen zu beseitigen, die an Gegner der Demokratie, an geistig-politische Wegbereiter und Verfechter der nationalsozialistischen und stalinistischen Gewaltherrschaften sowie des DDR-Regimes erinnern. Nach der Wiedervereinigung kam es in Ost-Berlin zu einer heftigen Umbenennungsdebatte. Die zahlreichen Straßen, die in der DDR nach SED-Parteigrößen und antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt worden waren, kamen auf den Prüfstand. Von vielen Ost-Berlinern wurde das als Siegerjustiz und Denkmalstürmerei empfunden. Im zähen Ringen um die Deutungshoheit der Geschichte zogen sich Umbenennungsbeschlüsse über Jahre hin. Letztlich sind nicht nur eindeutige politische Größen ehemaliger Ost-Regime wie Lenin, Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Georgi Dimitroff oder Klement Gottwald sowie Grenzsoldaten von den Straßenschildern getilgt worden, sondern auch die Frauenrechtlerin Clara Zetkin, die Politiker und Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg Hans Beimler und Artur Becker sowie der französische Politiker und Hauptorganisator des Pariser Aufstands von 1944, Jacques Duclos. Ihnen konnte man im Sinne des Straßengesetzes nur vorwerfen, dass sie Mitglied einer Kommunistischen Partei gewesen waren.
Dass Straßen dann oft die Namen von preußischen Königen, Königinnen, Generälen und Gutsbesitzern – durchaus auch Gegner der Demokratie – zurückerhielten, sorgte nicht nur bei Ostdeutschen für Verbitterung. Nach der Rückbenennung zentraler Straßen ebbte der Umbenennungseifer 1995 ab. Karl Marx und Friedrich Engels wurden als Theoretiker toleriert, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren als Kriegsgegner und Mordopfer unangreifbar, und dass kleinere Straßen nach kommunistischen Widerstandskämpfern benannt blieben, nahm man so hin. Straßennamen mit eindeutigem „DDR-Klang“ wie Straße der Pariser Kommune oder Allee der Kosmonauten erlangten sogar bald einen gewissen Kultstatus.
Von den Straßen, die nach Personen benannt sind, ehren ungefähr 90 Prozent Männer. Dieses Ungleichgewicht soll auf lange Sicht ausgeglichen werden. Bei Neu- oder Umbenennungen sollen „Frauen verstärkt Berücksichtigung finden“, so die Ausführungsbestimmungen zum Berliner Straßengesetz. Allerdings: „Dies gilt nicht, wenn ein gesamtstädtisches Interesse beziehungsweise Hauptstadtbelange an der Benennung einer männlichen Person bestehen.“ In Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow, Tempelhof-Schöneberg und Spandau haben die Bezirksverordnetenversammlungen beschlossen, so lange nur noch Frauennamen zu vergeben, bis mindestens die Hälfte der nach Personen benannten Straßen Namensgeberinnen haben.
Rudi Dutschke ausnahmsweise
Da man keine Umbenennungswelle lostreten möchte, wird das eine Jahrhundertaufgabe sein – zumal auch diese Bezirke das Vorhaben nicht immer ganz strikt durchsetzen. Die Rudi-Dutschke-Straße in Kreuzberg wird als wohlbegründete Ausnahme weitgehend akzeptiert. Doch ob es nötig war, die neuangelegten Wohnstraßen auf dem ehemaligen Flugplatz Gatow nach ganz überwiegend männlichen Flugpionieren zu benennen, darf bezweifelt werden.
Um den Kolonialismus von seinen Straßenschildern zu verbannen, hat der Senat im Dezember 2020 die Ausführungsvorschriften zum Straßengesetz geändert. Die Bezirke können nun ausdrücklich auch Straßen umbenennen, die nach „Wegbereitern und Verfechtern von Kolonialismus, Versklavung und rassistischen Ideologien“ benannt sind oder nach „Orten, Ereignissen und Begriffen, die damit im Zusammenhang stehen“.
1986 hatte das Bezirksamt Wedding noch die Petersallee im Afrikanischen Viertel – benannt nach dem für seine Grausamkeit berüchtigten Reichskommissar für Ostafrika Carl Peters – nicht umbenannt, aber die Straße auf den Juristen, Widerstandskämpfer und CDU-Politiker Hans Peters umgewidmet. Die erste Umbenennung nach der neuen Verordnung trifft die Wissmannstraße. Hermann Wissmann ließ als Kolonialbeamter in Ostafrika Aufstände brutal niederschlagen. Der Bezirk Neukölln hat beschlossen, dass die Straße künftig nach einer tansanischen Politikerin und Frauenrechtlerin Lucy-Lameck-Straße heißt.
Der „Mohr“ soll gehen – nach gut 300 Jahren
Umstrittener ist die schon seit 1990 diskutierte Umbenennung der Mohrenstraße. Die Mehrheit der Bezirksverordneten von Mitte hat das Bezirksamt im August 2020 beauftragt, die Straße unverzüglich in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen. Amo wurde 1729 der erste schwarze Akademiker in Deutschland. Gegner der Umbenennung halten aber den seit 1707 bestehenden Namen für historisch und den Begriff Mohr für nicht rassistisch.
Einigen geht das alles zu langsam. Die „Direkte Aktion Berlin“ will zusammen mit der Initiative Schwarzer Menschen Anfang März unter dem Motto „Berlin erinnert um“ mehrere Berliner Straßen symbolisch umbenennen. „Die reihenweise unkommentierte Ehrung von Kolonialverbrechern, Rassisten und Antisemiten im Berliner Stadtbild soll verhindert werden“, kündigen die Aktivisten an.
Eins ist klar: Um die Berliner Straßennamen muss weiter gestritten werden.
Jens Sethmann
Wie benennt man eine Straße um?
Die Benennung von Straßen und Plätzen ist in Berlin Sache der Bezirksämter. Sie können Umbenennungen einfach beschließen. Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgeschrieben. Lediglich die „betroffenen Anlieger“ sind laut Straßengesetz „in geeigneter Weise zu informieren“.
Wenn Bürger eine Straße umbenennen wollen, können sie dafür einen Bürgerantrag in der Bezirksverordnetenversammlung stellen. Viele Unterstützer, die zum Beispiel eine formlose Petition unterschrieben haben, erhöhen die Erfolgsaussichten. Gewinnt man damit keine Zustimmung, bleibt die Möglichkeit, über ein Bürgerbegehren den Bezirk zum Handeln zu bewegen. Hat das Bezirksamt eine Umbenennung beschlossen, kommt der Verwaltungsprozess in Gang: Soll eine Straße nach einer Person benannt werden, müssen zunächst deren Verwandte angehört werden. Abstimmungen mit dem Vermessungsamt und dem Amt für Statistik werden durchgeführt, eventuell müssen neue Hausnummern vergeben werden.
Alle öffentlichen Stellen und nicht zuletzt die Anwohner werden nochmals offiziell informiert, bevor der neue Name im Straßenverzeichnis eingetragen wird. Die Anwohner bekommen meist Sonder-Termine beim Bürgeramt zur Änderung ihrer Personalausweise. Mindestens drei Monate bevor der neue Name wirksam wird, muss er im Amtsblatt veröffentlicht werden. Nach der Umbenennung bleibt das alte, rot durchgestrichene Straßenschild noch ein halbes Jahr lang unter dem neuen Schild hängen.
Vom Adlergestell bis Zum Langen Jammer
Rund 9700 Straßen und Plätze gibt es in Berlin. Bei der Vielzahl der Berliner Straßennamen gibt es auch einige Kuriositäten, die sich nicht von selbst erklären. Wenn Straßennamen auf alten Flurbezeichnungen wie Hundekehle oder Hottengrund beruhen, ist die Bedeutung oft nicht eindeutig zu klären. Straßen wie Adlergestell oder Dohnagestell befinden sich auf alten Waldschneisen, die man früher Gestell nannte.
Um die Unterwasserstraße zu befahren, braucht man kein U-Boot. Die Straße am Spreekanal heißt so, weil sie am Wasser unterhalb der Schleuse liegt. Oberhalb heißt sie Oberwasserstraße. Die Barfusstraße ist kein Pfad zur Sinneserfahrung in den Fußsohlen, sondern nach dem Reichsgraf Hans Albrecht von Barfus benannt. Der Halbe-Hufen-Weg hat nichts mit einem Pferdefuß zu tun. Eine Hufe ist ein altes Feldmaß, das etwa 10 bis 15 Hektar entspricht.
Der Straßenname Neue Welt auf dem ehemaligen Schlachthofgelände wirft Fragen auf. Wenn die Straße – auf der einen Seite eine Zeile Reihenhäuser, auf der anderen die Rückwand eines Fachmarktzentrums – die neue Welt symbolisieren soll, möchte man lieber in der alten bleiben. Der Name kommt von einem Bierlokal, das sich vor dem Frankfurter Tor befunden hatte. Ganz in der Nähe findet man die Straße Zum Langen Jammer. Damit wird der volkstümliche Name einer abgerissenen Fußgängerbrücke aufgegriffen, die das gesamte Schlachthofgelände überspannt hatte.
Aus der Literatur kommt die Sperlingsgasse: Wilhelm Raabes Roman „Die Chronik der Sperlingsgasse“ von 1856 spielt in der Spreestraße, in der Raabe selbst auch gewohnt hat. Ihm zu Ehren bekam die Spreestraße 1931 das Pseudonym als echten Namen und heißt seitdem wie im Buch.
Romanfiguren von Fritz Reuter waren Namenspaten in der Hufeisensiedlung. Reuters Werk war vor 100 Jahren populär, doch heute werfen Namen wie Hüsung, Hanne Nüte oder Dörchläuchtingstraße große Fragen auf, weil das mecklenburgische Plattdeutsch in Berlin kaum noch verstanden wird.
Keinen literarischen Bezug hat hingegen die Frankensteinstraße. Sie ist nach einer Gemeinde in der Pfalz benannt – nicht nach der vielverfilmten Horrorgeschichte, an die man heute denkt. Der erste Gedanke führt auch bei der Drakestraße in die Irre: Sie ist nicht nach dem englischen Freibeuter Francis Drake benannt, sondern nach dem Bildhauer Johann Friedrich Drake – und wird deshalb auch deutsch ausgesprochen.
js
27.02.2021