Das Wohngebiet zwischen Alexanderplatz und Strausberger Platz gehört seit 2015 zum Förderprogramm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ (seit 2020 „Lebendige Zentren und Quartiere“). Seit 2017 begleitet der Nachbarschaftsrat Karl-Marx-Allee II e.V. die Umsetzung des Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK), welches die Grundlage für alle Maßnahmen und Projekte ist. Das MieterMagazin sprach mit Dr. Brigitta Kauers und Claudia Nier vom Nachbarschaftsrat.
MieterMagazin: Ist der Nachbarschaftsrat ein offizielles, vom Senat eingesetztes Gremium?
Brigitta Kauers: Nein, wir sind ein unabhängiger, gemeinnütziger Verein und vertreten die Interessen der Anwohnerinnen und Anwohner. Wir kümmern uns um das Wohnumfeld, versuchen, Baumfällungen zu verhindern und organisieren Nachbarschaftsfeste. Außerdem haben wir ein Konzept für ein „grünes Wohnzimmer“ im öffentlichen Raum entwickelt. Sehr gut angekommen ist auch unsere Aktion im letzten Jahr, wo wir gemeinsam mit Bewohnern 1000 Krokuszwiebeln gesetzt haben. Sie haben in diesem Frühjahr unser Wohngebiet verschönert.
Claudia Nier: Ich bin 1962 mit meinen Eltern in das Gebiet gezogen, lebte dann zwischenzeitlich woanders, und 2004 bin ich wiedergekommen. Es ist ein schönes Wohngebiet. Aber es gibt etliche Defizite. Viele öffentliche Nutzungen, etwa die Bibliothek oder Treffpunkte für Jugendliche und Senioren, sind nach 1990 verschwunden, vor allem wegen der Privatisierungen. Diese Fehlentwicklungen sollten korrigiert werden.
Brigitta Kauers: Das Gebiet war mal als Gebiet der kurzen Wege für Familien konzipiert. Wir haben hier überwiegend Drei- bis Fünfzimmerwohnungen. Es gab Kindergärten, Schulen, Kino, Jugendclub und Gastronomie. Heute müssen manche Eltern ihre Kinder in andere Stadtteile zur Kita oder in die Schule fahren. Wir haben hier einen Stadtteil, an dem sich Architekten erfreuen, der aber von soziokulturellen Strukturen fast vollständig entleert ist.
MieterMagazin: Aber die meisten Wohnungen gehören doch der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WBM und Genossenschaften.
Claudia Nier: Ja, das ist auf jeden Fall ein Pluspunkt. Aber schauen Sie sich die Mokka-Milch-Eisbar an: ein Denkmal, das vor vielen Jahren privatisiert wurde und nun verrottet! Das könnte ein Treffpunkt für Familien sein, ein Ort für Kunst und Kultur, für junge Leute und Senioren – so etwas wollen wir hier wieder haben, daher unsere Aktion „Rettet die Mokka-Milch-Eisbar“.
MieterMagazin: Wie sind Ihre Erfahrungen? Werden Sie gehört?
Brigitta Kauers: Leider nur selten. Unsere Unterschriftenaktion für Facharztpraxen im Gebiet blieb ohne Erfolg, ebenso die Petition ans Abgeordnetenhaus. Als es um die Nutzung von geplanten sechs neuen Pavillons ging, wurden wir zwar aufgefordert, Vorschläge zu machen, aber dann wurde die Entscheidung doch über uns hinweg getroffen.
Claudia Nier: Wenn man die Leute nicht ernst nimmt, muss man sich über Frust nicht wundern. Demokratie braucht wahre Bürgerbeteiligung. Kein Mensch braucht hier einen Coworking Space. Wir brauchen öffentliche Begegnungsorte, Arztpraxen und schattenspendende Bäume!
Interview: Birgit Leiß
Zuckerbäckerstil adieu
Der 2. Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee, realisiert von 1959 bis 1972, ist ein frühes Beispiel der industriellen Bauweise – nachdem sich der repräsentative „Zuckerbäckerstil“ des ersten Bauabschnitts als zu teuer erwiesen hatte. Insofern dokumentiert das Gebiet den Paradigmenwechsel hin zur sozialistischen Moderne. Das Gebiet mit 5100 Wohnungen ist geprägt durch weitläufige Grünflächen und markante Solitärbauten, darunter das Café Moskau und das Kino International. Im Jahre 2021 wurde die gesamte Karl-Marx-Allee zusammen mit dem Hansaviertel als „West-Pendant“ der Nachkriegsmoderne für die Welterbe-Liste der UNESCO vorgeschlagen. Über den Antrag ist noch nicht entschieden.
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Website des Vereins: www.nachbarschaftsrat-kma.de
E-Mail: info@nachbarschaftsrat-kma.de
Vereinsraum: Schillingstraße 12, 10179 Berlin
Offene Vereinstreffen jeden letzten Dienstag im Monat
24.02.2023