Familien mit Kindern sollen die Innenstadtbezirke wieder verstärkt beleben. Doch auf Grund leerer Kassen fehlt es an öffentlicher Förderung für dieses politische Ziel. Immerhin machen einige Projekte in Eigenregie vor, wie attraktiv Wohnen in der Stadt mit Kindern sein kann.
Eine Wohnung, die mitsamt Umgebung auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist, erscheint vielen als Traum. Vor allem Familien mit Kindern müssen in der dicht besiedelten Innenstadt lange suchen, bis sie passende Freiräume gefunden haben. Die Mieter der Fidicinstraße 18 haben gar nicht erst lange gesucht. Sie haben sich ihre Oase selbst geschaffen. Voraussetzung dafür war, dass die Hausgemeinschaft eine Genossenschaft gründete und das sanierungsbedürftige Gebäude von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG kaufte. 3000 Quadratmeter Wohnfläche einschließlich einer Kindertagesstätte wurden in dem Gründerzeitbau modernisiert – in umfassender Selbsthilfe und nach selbstorganisierter Vorbereitung. Der Wohnhof wurde kinderfreundlich gestaltet, die Remise als Kinderhaus hergerichtet. Alle Wohnungen haben Balkone oder Terrassen erhalten. Jedes Genossenschaftsmitglied hat so viele finanzielle Mittel beschafft, wie es ihm möglich war, um die eigene Wohnsituation zu verbessern. Gleichzeitig waren sich alle einig, dass Räume für die Gemeinschaft nicht zu kurz kommen sollten. Ein Hobby- und ein Gymnastikraum kann von allen Bewohnern genutzt werden. Im begrünten Hof haben die Kinder einen Spielplatz. Wenn im Hof gemeinsam gefeiert wird, können dort separate Toiletten genutzt werden.
Klar strukturiert und dennoch flexibel
Entscheidend bei der Planung waren die Grundrisse. Die individuell zugeschnittenen Wohnungen sind zwischen 65 und 120 Quadratmeter groß. „Sind Berliner Zimmer vorhanden, haben wir sie zur Drehscheibe der Wohnung gemacht“, erläutert Michael Stein. Der Architekt hat das Projekt geplant. Im Zentrum der Wohnungen liegt jeweils der Gemeinschaftsbereich. Je nachdem, wie viele Kinderzimmer benötigt wurden, fielen diese erforderlichenfalls etwas kleiner aus. Die Räume jenseits des Gemeinschaftsbereichs liegen möglichst ein wenig separat. Sie dienen als persönlicher Rückzugsort, der Ruhe garantieren soll. „Für diese Umbauten sind Berliner Altbauten bestens geeignet.“ Ihr Vorteil: Sie sind klar strukturiert und flexibel bei der Raumaufteilung.
Auch mit deutlich weniger Aufwand können in Altbauten ein paar wichtige Einrichtungen für Familien Platz finden. „Vor allem den Schallschutz sollte man bei einer Sanierung nicht vergessen“, warnt Stefan C. Würzner. „Die Holzböden übertragen den Lärm spielender Kinder durchs ganze Haus.“ Der Architekt spricht aus eigener Erfahrung, er wohnt mit Kind in einem Altbau. Auch ein Aufzug solle, wenn möglich, noch Platz finden. Wer den Einkauf für die Familie ins vierte Obergeschoss tragen muss, will solche Standards nicht missen. Und: „Ein Raum im Erdgeschoss für Kinderwagen und Fahrräder sollte ebenfalls vorhanden sein.“
Nicht nur Altbauten haben das Zeug, sich zu Familienoasen zu mausern. Auch was in der Nachkriegszeit, den damaligen Verhältnissen geschuldet, in so genannter Schlichtbauweise errichtet wurde, kann nach Sanierung heutigen Bedürfnissen gerecht werden. Das sechsgeschossige Wohnhaus am Bethaniendamm aus den frühen 50er Jahren wurde weitreichend umgebaut und neu aufgeteilt. „Da hierbei massiv in die Gebäudestruktur eingegriffen werden musste, wurde auch gleich ein Hauptmangel des alten Gebäudes korrigiert“, erklärt der Architekt Michael Schweizer. Die traditionelle straßenseitige Orientierung der Wohnungen wurde umgekehrt: Während an der Nordfront jetzt die nachgeordneten Räume liegen, richten sich Wohnräume und vor allem die Balkone zum Hof und das heißt nach Süden aus.
Die Balkone, die sich über die gesamte Gebäudebreite erstrecken und bei den Geschosswohnungen alle südwärtigen Räume jeder Wohneinheit in der Art eines kleinen Laubenganges miteinander verbinden, schaffen eine mediterran wirkende Atmosphäre. Sie sind groß genug, dass sich auf ihnen die ganze Familie aufhalten kann. Bei schlechtem Wetter können die Kinder hinauf ins Dachgeschoss, dass zur Spielzone ausgebaut wurde. Das zum Haus gehörende Grundstück wurde entsiegelt und kann als Garten von allen genutzt werden – und das ungestört, denn die Nachbargrundstücke sind nicht bebaut, und daran wird sich in absehbarer Zeit wohl auch nichts ändern. Der Solitär ist ein ansehnliches Beispiel dafür, dass auch „perforierte“ Stadträume viel Lebensqualität bieten können.
Auf der Suche nach anderen Lebens-, Wohn- und Arbeitsformen haben sich in der Flutstraße in Niederschöneweide Gleichgesinnte zusammengetan. Die Initiatoren des Projekts „Sonnenhaus e.V.“ sind Frauen und Männer mit und ohne Kinder. Generationsübergreifendes Wohnen heißt im „Sonnenhaus“, dass Menschen aller Altersgruppen in Wohngemeinschaften oder in Einzelwohnungen hier ihr Zuhause finden können. Flexible Grundrisse ermöglichen gemeinsames sowie getrenntes Wohnen innerhalb von „Wahl“-Familien, je nach Lebenssituation. Barrierefreier Zugang etwa durch einen Aufzug ermöglicht auch kranken, alten oder behinderten Menschen die Nutzung des gesamten Gebäudes.
Außenflächen haben große Bedeutung
Das 1911 errichtete Haus wurde im Krieg so sehr beschädigt, dass ein Gebäudeteil abgerissen werden musste. Dort befindet sich heute eine Grünfläche. Durch die Kriegseinwirkung fehlt am verbleibenden Gebäudeteil ein Drittel des dritten Obergeschosses, und über die Hälfte der Dachfläche sind mit einem Notdach versehen. Ziel ist es, das Haus zu sanieren und instandzusetzen. Dazu gehört der teilweise Wiederaufbau der dritten Etage und die Errichtung eines neuen Dachgeschosses. Das Haus wird für Wohn- und Gewerbezwecke ausgebaut. Im Dachgeschoss sind neben zwei Wohnungen auch Gemeinschaftsflächen geplant. Dort sollen unter anderem ein Raum für gemeinsame Veranstaltungen, eine Sauna und eine Sonnenterrasse für alle Mieter entstehen. Im Erdgeschoss sind bisher ein Café, ein Vereinsbüro und ein Laden für den Verkauf von Bio-Produkten geplant sowie eine Kreativwerkstatt und gegebenenfalls eine Besucherwohnung.
Auch in der Flutstraße spielt die Außenfläche eine wichtige Rolle: Auf der knapp 440 Quadratmeter großen, unbebauten Fläche des Grundstücks werden für die Hausbewohner eine Sitzecke unter Bäumen und ein Kinderspielplatz entstehen. Die zukünftigen Mieter wollen dort zudem einen Blumen- und Kräutergarten anpflanzen. Der bewusste und sparsame Umgang mit Ressourcen ist ein weiteres Anliegen des Vereins. Das Haus soll den Standard eines Niedrigenergiehauses erreichen, denn wer seine Wohnträume verwirklicht, muss darüber das Sparen nicht vergessen.
Lars Klaaßen
MieterMagazin 4/06
Große Kinderzimmer, funktionale Gemeinschaftsräume: In der Fidicinstraße ist eine Oase in Selbsthilfe entstanden
alle Fotos: Kerstin Zillmer
Bei schlechtem Wetter wird im Dachgeschoss gespielt: familiengerecht umgebautes Haus am Bethaniendamm
Townhouses statt Familienförderung
Die Stadt ist angesagt – zumindest in einigen Kiezen: In den letzten vier Jahren wuchs die Bevölkerung in bestimmten Quartieren des Prenzlauer Berges um rund 10 Prozent. Heute wohnen 10.000 Menschen mehr in der Innenstadt als noch 2002. Getragen wird dieses Bevölkerungswachstum von den 18- bis 30-Jährigen. Eine aktive Wohnförderung für junge Familien gibt es allerdings nicht. „Wir verfügen in allen Preiskategorien und fast allen Lagen über ausreichend Wohnraum“, beteuert Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). „Daneben möchte ich dafür sorgen, dass auch die jungen Familien in der Innenstadt bleiben, die sich den Traum vom eigenen Haus verwirklichen wollen.“ Mit so genannten „Townhouses“ entstehen unter anderem am Friedrichswerder, in Pankow, im Bötzowviertel und an der Rummelsburger Bucht Siedlungen mit kleinen Einfamilienhäusern – Immobilien für besser Verdienende, die sich junge Familien allerdings nur selten leisten können.
lk
21.12.2016