Im Norden Berlins entsteht auf einem ehemaligen Rittergut ein gemeinnütziges Arbeits- und Wohnprojekt für Menschen aller Generationen. Dabei geht es um soziale Aspekte ebenso wie um Landschaftspflege und Denkmalschutz.
Die Altlasten brachten den ersehnten Erfolg. „Nach vier Jahren harter Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds des Landes Berlin bescherte uns ausgerechnet das Gutachterurteil ‚Altlastenverdachtsstandort‘ den Durchbruch“, erzählt Oskar Tschörner. Er ist einer von drei Vorstandsmitgliedern des Vereins „StadtGut Blankenfelde e.V.“ und maßgeblich an Umbau und Umnutzung des denkmalgeschützten Rittergutes beteiligt.
Noch 1995 stand die Gutsanlage im Bezirk Pankow leer und drohte schließlich ganz zu verfallen. Als Mitglieder des Vereins „Natur & Kultur – LabSaal Lübars“ vor etwa fünf Jahren auf das Gelände aufmerksam wurden, waren sie sich schnell einig, hier ihren Anspruch vom gemeinsamen Leben und Arbeiten verwirklichen zu wollen. „Dieser ganzheitliche Ansatz unterscheidet uns von anderen Wohnprojekten“, betont Tschörner. Zwei Jahre später gründeten 27 Menschen aus diesem Kreise den Verein StadtGut Blankenfelde. Mittlerweile sind darin 100 Mitglieder unterschiedlichen Alters aktiv.
Das Land Berlin als Eigentümer des Stadtgutes hatte kein Geld für Instandhaltung und Sanierung. Tschörner: „Anstatt seiner Denkmalschutzverpflichtung nachzukommen, wollte der Liegenschaftsfonds das Gelände lieber verkaufen.“ Auf 770.000 Euro hat ein Sachverständiger den Wert des Geländes taxiert, davon entfällt aber auf die stark heruntergekommenen Gebäude kein einziger Euro. „Der Kaufpreis zusammen mit den voraussichtlichen Sanierungskosten nahm plötzlich Dimensionen an, die unsere Grenzen überschritten“, erzählt Tschörner.
Altlasten brachten den Umschwung
Als dann der Altlastenverdacht aufkam – auf dem Grundstück befanden sich früher unter anderem eine Tankstelle und ein Maschinenpark -, brachte der Verein 30.000 Euro für ein entsprechendes Gutachten auf und machte dem Liegenschaftsfonds ein schließlich er-folgreiches Angebot: „Der Verein hat sich verpflichtet, die Altlasten bis zur Höhe des Verkehrswertes, also 770.000 Euro, zu beseitigen. Für Grundstück und Gebäude selbst haben wir nur einen Euro bezahlt“, berichtet Uwe Glade, der sich als Geschäftsführer des StadtGut-Vereins und mit der Erfahrung eines Ingenieurs für das Projekt engagiert. Zum 1. Januar 2006 hat der Verein das Stadtgut zum Schutz vor Spekulanten an die Stiftung Trias übertragen. Ein Erbbaupachtvertrag garantiert ihm das Vorkaufsrecht. Seitdem wird saniert, zum großen Teil in Eigenarbeit. „Asbest und Schwamm sind beseitigt, der mit Schwermetallen belastete Boden abgetragen“, erzählt Glade.
Die Sanierung erfolgt sukzessive, je nach Finanzlage und Bedürfnis. Immerhin handelt es sich um ein Gelände von 52.000 Quadratmetern mit 17 Gebäuden, einem Gutspark und weiteren Grünflächen. In Kürze wird mit dem ersten Bauabschnitt begonnen, 2008 soll dieser Teil bereits bezugsfertig sein. Etwa 4 Millionen Euro benötigt der Verein dafür, weitere 6 Millionen für die weiteren Arbeiten. „Wir finanzieren das bislang durch Eigenarbeit, Spenden, private Darlehen und Bürgschaften“, erklärt Oskar Tschörner.
Was dort entstehen soll, darüber ist sich der Verein StadtGut Blankenfelde schon seit langem im Klaren: unter anderem rund 30 Wohneinheiten in einer Größe von 24 bis 140 Quadratmetern. Sie werden an Junge wie Alte, Alleinstehende wie Familien vermietet. Tschörner und seine Frau werden dazugehören. „Wenn ich hier arbeite, möchte ich nicht erst nach Hause fahren müssen zum Duschen.“ Der Waldkindergarten „Waldläufer“ hat bereits im letzten September ein Haus der Gutsanlage bezogen. Nun möchten die Verantwortlichen gerne noch eine freie Schule dort einrichten. Auch eine Pflegeeinrichtung für alte Menschen wird es geben. „Die Höhe der Mieten wird sich nach den Baukosten richten. Am liebsten wäre es uns, jeder würde so viel zahlen, wie er eben kann“, meint Oskar Tschörner.
Engagement muss sein
Wer auf dem Stadtgut wohnt, der muss ein gewisses Engagement mitbringen. Das kann zum Beispiel bei der Kinderbetreuung sein. Die Ergotherapeutin Eike Rieve etwa engagiert sich bei den „Waldläufern“. Sie gehört zusammen mit ihrem Mann Michael Kleest und den beiden Kindern Sina und Emil zu den ersten Bewohnern des Projektes. „Wir mussten aus unserer alten Wohnung raus und hier wurde gerade eine im ehemaligen Gutshaus frei“, erzählt sie.
Betätigungsmöglichkeiten wird es reichlich geben auf dem Stadtgut. An die 60 Arbeits- und Ausbildungsplätze sollen entstehen. Tschörner: „Wer hier arbeitet, soll damit auch seine Existenz sichern können.“ Das Nutzungskonzept umfasst neben dem generationenübergreifenden Wohnen auch gemeinschaftliche Einrichtungen, Dienstleistungen und Handwerksbetriebe.
Aufgrund der Nähe zum Naturpark Barnim wird hier zum Beispiel eine Naturschutz- und Tourismusstation entstehen. Es wird ein Dorfmuseum geben und eine Dauerausstellung zu Geschichte und Technik der Rieselfelder, Veranstaltungs- und Gruppenräume sowie eine öffentlich zugängliche Parkanlage und Nutzgärten. Hinzu kommen Fahrradverleih, Hofladen und Café, ein Gesundheitszentrum und die Möglichkeit therapeutischen Reitens. Schließlich werden dort Landwirtschafts- und auch Handwerksbetriebe einkehren: Tischlerei, Zimmerei, Schmiede, Weberei. „Leben, Arbeiten und die Einbeziehung der Landschaft waren auf dem Gut immer vereint“, so Oskar Tschörner.
Nach anfänglichen Vorbehalten der Bewohner Blankenfeldes und der Angst vor Spekulanten aus dem Westen sind nun alle beruhigt. „Viele finden es toll, dass hier endlich wieder Licht brennt“, freut sich Uwe Glade. „Als wir den Nachbarn bei einem Treffen unsere Ideen vorgestellt haben, erzählten einige plötzlich von ihren Erlebnissen auf dem Stadt- und dann Volksgut“, erinnert sich auch Oskar Tschörner. Einer wusste zum Beispiel noch von einer alten Abwassergrube auf dem Gelände, die in keinem Bauplan verzeichnet ist. „Das sind wichtige Hinweise für uns“, so Uwe Glade.
Kristina Simons
MieterMagazin 4/07
Das Rittergut wird zu einem modernen Wohn- und Arbeitsprojekt
alle Fotos: Rolf Schulten
Eike, Michael und die Kinder Sina und Emil sind die ersten Bewohner des Projekts
Die Macher Uwe Glade und Oskar Tschörner
Rohbau – Renovierung der Küche
Weitere Informationen unter
www.stadtgut-blankenfelde.de
oder direkt telefonisch beim StadtGut Blankenfelde,
Oskar Tschörner, Tel. 404 20 14
Ereignisreiche Geschichte
Das Stadtgut, 1350 erstmals erwähnt, hat im Laufe seiner Geschichte viele unterschiedliche Funktionen erfüllt. Mitte des 19. Jahrhunderts ging es in den Besitz Berlins über und wurde zum Teil als Kurhaus für Lungenkranke genutzt. Später baute die Stadt das Gelände für Rieselfelder aus, um dort die Abwässer der Großstadt hinzuleiten und zu reinigen. Zu DDR-Zeiten nannte man das Stadtgut „Volksgut“. Es war ein beliebter Freizeit- und Erholungsort und der größte Arbeitgeber in der Umgebung. Seit Mitte der 90er Jahre verfiel die leer stehende Gutsanlage zusehends.
ks
Umbau mit Energiekonzept
Ökologie und Energieeffizienz spielen eine große Rolle beim Umbau des Stadtgutes. Die Gebäude sollen auf den Energiestandard von Passivhäusern gebracht werden. Auf fossile Brennstoffe will der Verein StadtGut Blankenfelde ganz verzichten, stattdessen Solarthermie und eine Hackschnitzelanlage nutzen. Als Baustoffe werden nur solche genutzt, die die Umwelt nicht belasten.
ks
17.07.2013