Die Investitionsbank Berlin (IBB) und die Wohnungsbaugesellschaft GSW haben Ende Februar Studien über den Berliner Wohnungsmarkt vorgestellt. Übereinstimmendes Ergebnis: Der Anstieg der Mieten schreitet wie in den Vorjahren ungebremst voran. Der Senat stellt mehrere wohnungspolitische Maßnahmen in Aussicht. Der Berliner Mieterverein (BMV) fordert ein sofortiges Eingreifen.
„Wir haben nach wie vor keine dramatische Lage“, sagte Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) bei der Vorstellung des IBB-Wohnungsmarktberichts, der jedes Jahr im Auftrag des Senats erstellt wird. „Aber wir haben eine Situation, auf die die Politik reagieren muss.“
Im Mittel werden Mietwohnungen in Berlin zu einer Nettokaltmiete von 6,49 Euro pro Quadratmeter angeboten. Im Vorjahresbericht lag dieser Wert noch bei 6,17 Euro. Das entspricht einer Steigerung von 5,1 Prozent. Ausgewertet wurden dazu Wohnungsinserate aus dem Jahr 2010 und den ersten drei Quartalen von 2011.
Der Preisanstieg ist in allen Bezirken zu verzeichnen, lediglich im günstigsten Bezirk Marzahn-Hellersdorf, wo man für durchschnittlich 4,82 Euro eine Wohnung beziehen kann, stagniert die Mietenentwicklung. In Pankow und Steglitz-Zehlendorf hat der Mittelwert im letzten Jahr die Sieben-Euro-Grenze übersprungen. Teurer sind die Wohnungsangebote nur noch in Charlottenburg-Wilmersdorf mit 7,98 Euro und Friedrichshain-Kreuzberg mit 7,51 Euro pro Quadratmeter. In den vier teuersten Bezirken sind so gut wie keine Wohnungen mehr unter 5 Euro zu haben.
„Berlin bietet Europas spannendsten Wohnungsmarkt“, schreibt der Vorstand der GSW im Vorwort zum Wohnmarktreport, den die Wohnungsbaugesellschaft zusammen mit dem Immobiliendienstleister CBRE jährlich erstellt. Der GSW-Bericht wartet mit noch etwas höheren Zahlen auf als die IBB: Aus den Wohnungsangeboten des Jahres 2011 errechnete man eine mittlere Nettokaltmiete von 6,59 Euro pro Quadratmeter. Gegenüber der Vorjahreserhebung ist das sogar ein Anstieg von 7,8 Prozent. Der teuerste Bezirk ist nach dieser Studie Friedrichshain-Kreuzberg mit einer mittleren Angebotsmiete von 8,02 Euro, gefolgt von Charlottenburg-Wilmersdorf mit genau 8,00 Euro pro Quadratmeter. In drei Bezirken hat man bei den Vermietungsangeboten rasante Preisanstiege von über 10 Prozent festgestellt: In Tempelhof-Schöneberg um 10,1 Prozent, in Friedrichshain-Kreuzberg um 11,1 Prozent und in Mitte sogar um 13,1 Prozent. Für die GSW bedeutet dies, dass die „Zahlungsbereitschaft deutlich zunimmt“.
Die Zahlen beider Untersuchungen zeigen deutlich, dass mit den Neuvermietungen, die keiner Mietenbegrenzung unterliegen, das allgemeine Mietniveau in die Höhe geschraubt wird. „Wir benötigen dringend eine Beschränkung der Miethöhen bei Wiedervermietung auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete“, fordert deshalb BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Noch könnte eine solche Mietrechtsregelung zu einer Dämpfung der Mietpreise beitragen.
Auch die Opposition fordert Taten. „Dass die Mieten in Berlin auch im Jahr 2011 deutlich steigen, war zu erwarten“, erklärt Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen. „Wohnen in der Innenstadt darf aber nicht zum Luxusprodukt werden.“ Der Grünen-Baupolitiker Andreas Otto: „Was wir vor allem brauchen, sind Mietobergrenzen für Wiedervermietungsmieten.““Es muss eine Deckelung der Neuvermietungszuschläge eingeführt werden“, meint auch die wohnungspolitische Sprecherin der Linken, Katrin Lompscher. Dazu müsste auf Bundesebene das Mietrecht geändert werden.
„Ich will keine einfachen und schnellen Lösungen versprechen“, erwidert Senator Müller. „Alle Maßnahmen zu ergreifen, um dämpfend auf die Mietenentwicklung einzuwirken – das ist eine Aufgabe der nächsten Jahre.“
Es wird eng in Berlin
Hintergrund der steigenden Preise: Es wird in Berlin buchstäblich immer enger. Die Bevölkerungszahl steigt seit 2001 kontinuierlich an. Allein im Jahr 2010 wuchs Berlin um 18 000 Einwohner, für 2011 lassen die vorläufigen Zahlen sogar einen Anstieg von rund 30.000 Einwohnern erwarten. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Haushalte um 6,9 Prozent erhöht. Nach der Anzahl der Haushalte ist Berlin in diesem Zeitraum um die Bewohnerschaft des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg angewachsen. Verantwortlich dafür ist kein Geburtenüberschuss, sondern die Zuwanderung. Vor allem junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren aus den westlichen Bundesländern machen den Zuwachs aus.
Die Experten der IBB gehen davon aus, dass jährlich 10 000 neue Wohnungen in Berlin gebaut werden müssen, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Im Jahr 2010 sind jedoch nur 3650 Wohnungen neu gebaut worden, was gegenüber den Vorjahren eine leichte Steigerung war. Die rot-schwarze Senatskoalition will, dass das Neubauvolumen auf jährlich 6000 Wohnungen ansteigt.
Laut IBB-Prognose wird auch das nicht ausreichen, um Druck vom Markt zu nehmen. „Der Wohnungsmarktbericht macht schonungslos deutlich, dass die Wohnungspolitik der neuen Landesregierung nachgebessert werden muss. Der Handlungsbedarf ist deutlich höher, als in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU angenommen“, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Auf dem Wohnungsmarkt sei deshalb „Alarmstufe 1“ erreicht.
Selbst wenn 10.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden, bedeutet dies nur für Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen eine Entlastung. Die heutigen Mehrfamilienhaus-Bauprojekte sind meist Eigentumswohnanlagen und zielen fast ausschließlich auf eine zahlungskräftige Kundschaft. Auch unter Ausnutzung der vorhandenen Förderungen können im Neubau keine wirklich preisgünstigen Wohnungen hergestellt werden. Für Geringverdiener ist Neubau allein also noch keine Lösung. „Daher muss ein fester Anteil der geplanten Neubauwohnungen für Haushalte mit einem Wohnberechtigungsschein reserviert werden“, fordert Wild. Dies könne durch Förderung oder vertragliche Verpflichtung geschehen. Auch Stadtentwicklungssenator Müller ist sich des Problems bewusst: „Der Wohnungsneubau bringt nicht, was wir brauchen, insbesondere nicht kleine und preisgünstige Wohnungen.“ IBB-Vorstandsvorsitzender Ulrich Kissing ergänzt: „Nötig sind sozialverträgliche und sozial gestaffelte Preise.“
Die „Reserve“ muss reaktiviert werden
Um jährlich 10.000 Wohnungen auf den Markt zu bringen, muss nach Ansicht des Mietervereins auch der Wohnungsbestand aktiviert werden. Es gibt in Berlin eine „Reserve“ von mindestens 20 000 Wohnungen, die aus spekulativen Gründen leer stehen oder nicht zu Wohnzwecken verwendet werden. Wild verlangt deshalb den sofortigen Erlass eines Verbots der Zweckentfremdung. „Die Zweckentfremdungsverbotsverordnung ist ein Weg, den wir beschreiten werden“, verspricht Senator Müller. Doch seine Verwaltung prüft schon seit einem Jahr die Möglichkeit einer solchen Verordnung und lässt in dieser Frage wertvolle Zeit verstreichen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 4/12
Über Berlin braut sich etwas zusammen: Der Wohnungszuwachs ist weit langsamer als der Zuwachs der Haushalte
Foto: Holger Mombrei/
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Quelle: empirica-Preisdatenbank
Quelle: empirica-Preisdatenbank
Download der Berichte:
www.ibb.de/wohnungsmarktbericht
www.gsw.de
30.03.2013