In der Schöneberger Straße 5 in Kreuzberg stapeln sich zurzeit dicke Aktenordner. Zwei arabisch-stämmige Familien wollen vor Gericht wegen Diskriminierung klagen. Der Eigentümer hat ihnen, nachdem ihr Sozialer Wohnungsbau nicht mehr staatlich gefördert wurde, eine weitaus höhere Mieterhöhung aufgedrückt als den übrigen Nachbarn. Sie sind überzeugt, dass der Besitzer das deshalb getan hat, weil er keine Frauen mit Kopftüchern in seinem Haus haben will. Und sie sind nicht die einzigen Migranten, die sich ungleich behandelt fühlen.
Vor 14 Jahren bezog Familie Khamis eine Fünfzimmerwohnung im Fanny-Hensel-Kiez, unweit des Potsdamer Platzes. Ihre fünf Kinder sind hier groß geworden. Auf der Terrasse baumelt eine Deutschlandflagge. Khamis‘ fühlen sich hier rundum wohl. Ihr Vermieter, so vermuten die Khamis‘, fühlt sich aber mit ihnen nicht wohl. Im Jahr 2010 erhielt die libanesischstämmige Familie eine Mieterhöhung um gut 300 Euro.
Die Miete in dem Sozialbau, dessen staatliche Förderung ausgelaufen ist, stieg damit von 873 Euro auf 1106 Euro für die 112 Quadratmeter große Wohnung. So weit, so normal. Denn eine entsprechende Erhöhung erhielten auch die anderen Mieter des Hauses. Doch zwei Monate später folgte der nächste Brief. Von Familie Khamis wurden weitere 246 Euro monatlich verlangt. Die Miete kletterte auf 1352 Euro. Das Gleiche passierte zwei anderen Familien – eine aus der Türkei, eine aus Palästina. Für die restlichen fünf deutschen und polnischen Mieter des Hauses gab es keine zweite Post.
„Die Hausverwaltung hat behauptet, dass unsere Kinder für Schmierereien am Haus verantwortlich seien“, sagt Souna Khamis. Doch das weist sie weit von sich: „Meine Kinder gehen nicht mal alleine runter, um zu spielen.“ Sie hegt einen ganz anderen Verdacht: „Die Hausverwaltung will die Leute mit Kopftuch raushaben.“ Der Vermieter, die „Elfte emc asset management“, äußerte sich gegenüber dem MieterMagazin zu diesem Vorwurf nicht.
Die türkische Familie im Fanny-Hensel-Kiez ist ausgezogen. Auch drei weitere deutsche Familien, denen die erste Mieterhöhung schon zu viel war, sind mittlerweile weg. Die leeren Wohnungen werden jetzt als Ferienapartments vermietet.
Ungeahnte Möglichkeiten
Seit im Jahr 2003 das Land Berlin den Ausstieg aus der Sozialen Wohnraumförderung beschlossen hat, haben Vermieter ungeahnte Möglichkeiten. Bezogen auf diesen Fall und zwei weitere in Kreuzberg und Moabit zieht Sebastian Jung vom Bündnis „sozialmieter.de“ ein ernüchterndes Fazit: „Es ist bezeichnend, dass es in diesen drei Fällen zu einer Diskriminierung gekommen ist, weil der Eigentümer das Gefühl hatte: Ich kann machen, was ich will.“ Tatsächlich kann der Vermieter die Miete in bestimmten Sozialbauten willkürlich bis zur Höhe der sogenannten Kostenmiete anheben, was teilweise zu Mieten von über 100 Prozent über der vergleichbarer Wohnungen führt.
Auch in der Moabiter Turmstraße 68 hat es mehrere migrantische Familien getroffen. Auch dort ist ein 90er-Jahre-Sozialbau vom Wegfall der Anschlussförderung betroffen. Für einige Wohnungen stieg ab 2010 die Miete auf über 10 Euro pro Quadratmeter. Viele mussten bereits ausziehen, weil sie sich das nicht leisten konnten. „Bisher hat es fast ausschließlich Sozialmieter mit arabischem oder türkischem Hintergrund getroffen“, erzählt Yvonne Weber, eine Mieterin des Hauses.
In den Wohnungen vieler Weggezogener leben jetzt Studenten in Wohngemeinschaften. Nicht dass diese besonders reich wären und sich zehn Euro pro Quadratmeter leisten könnten. Müssen sie nämlich auch nicht: Die jungen Leute zahlen ungefähr den alten Preis, den der Vermieter für diese Wohnungen genommen hatte, als sie noch staatlich subventioniert waren.
Über die Gründe für diese Ungleichbehandlung kann man indes nur Mutmaßungen anstellen. Die „Claus Hausverwaltung“ wollte sich auf die Anfrage des MieterMagazin nicht äußern. Wollen Sie speziell keine Südländer in ihren Häusern haben? Oder keine Familien mit Kindern? Wollen sie einfach an viele junge Leute vermieten, weil diese öfters ein- und ausziehen, also dem Eigentümer mehr Flexibilität bei der Mietpreisgestaltung gewährleisten? Kann es andere Gründe geben?
Sieben Jahre lang wohnte auch die Familie von Goran Petrovic in der Turmstraße. Bis im Juli 2012 die Mieterhöhung kam. Von 804 Euro auf 1207 Euro. Die fünfköpfige bulgarische Familie musste sich eine neue Bleibe suchen. „Alle sind raus“, sagt Petrovic. Wütend und verzweifelt klingt er. „Alles ausländische Familien, Familien mit vielen Kindern.“ Auch seine Mutter, schwer krank, wohnte viele Jahre in diesem Haus. Auch sie ist raus. Genau wie sein Bruder und dessen Familie. Und der Cousin. Eben alle.
Gleiche Verwaltung, gleiche Masche
In der Kreuzberger Kochstraße 12-16 begann 2010 die gleiche Entwicklung. Keine große Überraschung, denn es ist die gleiche Hausverwaltung und der gleiche Ausgangspunkt: ein Sozialer Wohnungsbau ohne Anschlussförderung. 2010, als die ersten Mieterhöhungen eintrudelten, kam ein merkwürdiges Missverhältnis zu Tage: Migranten erhielten eine Erhöhung von bis zu 900 Euro, bei den anderen waren es nur 20 Euro.
In diesen Fall ist mittlerweile auch das „Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin“ des Türkischen Bundes eingeschaltet. „Aus unserer Sicht ist die Lage eindeutig“, sagt die Juristin Eva Maria Andrades. „Es hat in drei Fällen extreme Mieterhöhungen für Parteien mit Migrationshintergrund gegeben.“ Die drei Familien sind mittlerweile ausgezogen. Kurze Zeit später zogen neue Bewohner ein.
Bisher gibt es kaum Klagen wegen Diskriminierung von Migranten im Bereich der Wohnungswirtschaft. Der Antidiskriminierungsstelle des Türkischen Bundes (ADS) sind auf ganz Deutschland bezogen Fälle im „unteren dreistelligen Bereich bekannt“, wie Sprecher Sebastian Bickerich sagt. Er betont aber: „Die Dunkelziffer ist sehr hoch.“ Wie viele von diesen Fällen dann vor Gericht verhandelt wurden, ist nicht bekannt.
Einen Eindruck vom Vermietgeschäft dreier landeseigener Wohnungsbaugesellschaften hat sich im Jahr 2010 bereits die Soziologin Christine Barwick gemacht. Damals führte sie als Mitarbeiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung mit sieben Mitarbeitern Gespräche, unter anderem über die Wohnungsvergabe an Migranten, und beobachtete sie bei ihrer Arbeit. Ihrer Studie gab sie den Titel „Draußen vor der Tür“, denn sie fand heraus: „Es ist schwieriger für Migranten, die Chance zu bekommen, bei den Gesellschaften ihr Anliegen vorzutragen.“ Hauptsächlich Wohnungssuchende mit türkischer, arabischer, polnischer und russischer Herkunft seien bei den drei Wohnungsbaugesellschaften kritisch beurteilt worden. Zwar gäbe es keine offiziellen Regeln, nach denen Mitarbeiter Wohnungen nur an bestimmte Gruppen vermieten dürften, doch die persönlichen Vorurteile würden schwer wiegen. „In attraktiven Gegenden wie Kreuzberg wird, wie die Mitarbeiter selbst einräumen, darauf geachtet, dass keine weiteren Familien mit Migrationshintergrund in die Gebäude einziehen“, sagt Barwick und zitiert einen Mitarbeiter: „In eine attraktive Wohnanlage mit überwiegend deutscher Mieterschaft würde ich zum Beispiel eine Dame mit Kopftuch ungern reinsetzen.“
Wer sich auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert fühlt, muss das nicht hinnehmen. Allerdings muss schnell handeln, wer sich wehren will. Eine vermutete Diskriminierung muss innerhalb zweier Monate anwaltlich geltend gemacht werden.
Vor einer solchen Klage stehen nun die Familien Ashour und Khamis sowie die bereits ausgezogene türkische Familie aus der Schöneberger Straße. Sollten sie recht bekommen, wäre es der erste Fall dieser Art in Deutschland. Wegen Ungleichbehandlung von Migranten bei Mieterhöhungen wurde noch nie ein Urteil gesprochen.
Wiebke Schönherr
MieterMagazin 4/13
Mietsteigerungen von 800 auf 1200 Euro: Familie Petrovic blieb nur der Auszug aus der Turmstraße 68
Foto: Wiebke Schönherr
Schöneberger Straße 5: Für die türkischen und arabischen Mieter gab es eine zweite Mieterhöhung
Fotos: Sabine Münch
Sebastian Jung („sozialmieter.de“) hilft mehreren Mietern aus dem Fanny-Hensel-Kiez, die Klagen vorzubereiten
Foto: Sabine Münch
Rat und Tat
Wohnungsvergabe nach Hautfarbe
Seitdem 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eingeführt wurde, sind die Chancen stark gestiegen, vor Gericht erfolgreich gegen Diskriminierung zu klagen. Dennoch hat im Bereich der Mietwohnungswirtschaft bisher nur ein einziger Kläger vor Gericht recht bekommen. Damals, 2010, ging es vor dem Oberlandesgericht in Köln nicht um eine ungerechtfertigte Mieterhöhung, sondern darum, dass ein schwarzafrikanisches Paar bei der Wohnungssuche in Aachen aufgrund seiner Hautfarbe abgewiesen wurde. Die beiden hatten sich eine Wohnung anschauen wollen, wurden aber von der Hausmeisterin mit den Worten abgewiesen, „an Neger würde man nicht vermieten“. Der Richter urteilte, die Hausmeisterin habe die Menschenwürde und damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht der afrikanischen Mietinteressenten verletzt. Das Paar bekam Schmerzensgeld von rund 5000 Euro zugesprochen.
ws
22.11.2016