Am 25. Mai wird in Berlin abgestimmt: Wird es am Rand des Tempelhofer Feldes eine Bebauung geben, oder soll das gesamte ehemalige Flughafengelände frei bleiben? Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ hat 185.328 Unterschriften dafür gesammelt, dass das Gelände so bleibt, wie es ist – ohne jegliche Bebauung. Weil mehr als sieben Prozent der Berliner das Volksbegehren unterschrieben haben, kommt es nun zum Volksentscheid. Der Senat will hingegen an den Rändern des Tempelhofer Feldes eine Bebauung zulassen – für dringend benötigte Wohnungen, wie Senator Michael Müller immer betont, aber auch für Gewerbebauten, eine neue Zentral- und Landesbibliothek und eine Schule. Über Sinn und Unsinn, Art und Ausmaß der geplanten Randbebauung hat sich eine heftige Diskussion entwickelt. Doch abgestimmt wird nur über Ja oder Nein. Der Senat hat dafür den 25. Mai, den Tag der Europawahl, festgesetzt. Tempelhof steht vor der Landung.
Stein des Anstoßes ist der Masterplan für das Tempelhofer Feld, den Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) im März 2013 vorgelegt hat. Demnach würde das ehemalige Flugfeld an drei Seiten bebaut: am Tempelhofer Damm, entlang des S-Bahn-Rings und auf Neuköllner Seite an der Oderstraße. Insgesamt sollen 4200 Wohnungen und 425.000 Quadratmeter Gewerbeflächen entstehen. Die verbleibende Parklandschaft will der Senator „weiterentwickeln“: Gedacht ist an einen Fuß- und Radweg, der das Gelände in Nord-Süd-Richtung durchquert, Sitzbänke sollen aufgestellt werden und der mohammedanische Friedhof könnte mit einer Erweiterung rechnen. Der Bau eines Regenwasserbeckens war schon begonnen worden, wurde aber durch eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gestoppt, weil der Senat keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt hatte.
Am weitesten fortgeschritten sind die Planungen des Senats für das „Wohn- und Bildungsquartier“ im Westen des ehemaligen Flugfeldes am Tempelhofer Damm. Dreh- und Angelpunkt dieses Stadtviertels soll der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) sein. Für dieses Gebäude gab es schon einen Architektenwettbewerb. Ein Bebauungsplan für das Quartier wird gerade erarbeitet. Die Baublöcke sind vor allem für das Wohnen vorgesehen, in der ersten Reihe am lauten Tempelhofer Damm wären auch Gewerbenutzungen möglich. Die 1700 Wohnungen würden ab 2016 von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften Degewo, Stadt und Land sowie von der Baugenossenschaft Ideal gebaut – die Hälfte davon zu reduzierten Nettokaltmieten von sechs bis acht Euro pro Quadratmeter, wie angekündigt wurde.
Vier Quartiere nach dem Masterplan
Die weitere Entwicklung soll gegen die Uhrzeigerrichtung erfolgen. Für den Bereich Südring ist überwiegend eine Gewerbenutzung vorgesehen. Die Wohnbauflächen würden durch die Büro- und Geschäftsgebäude von der S-Bahn und der Autobahn abgeschirmt. Auch hier ist das Bebauungsplanverfahren bereits in Gang gesetzt worden. Der dritte Schritt betrifft das Quartier an der Oderstraße, das vor allem dem Wohnen dienen soll und durch den Bau einer neuen Grundschule sowie durch die Erweiterung des Werner-Seelenbinder-Sportparks komplettiert würde. Vierter Baustein ist das Columbia-Quartier.
Nach heftigen Protesten gegen die Bebauungsvisionen am Columbiadamm hat Senator Müller diese Planung inzwischen gestoppt. Das heißt aber nicht, dass die Nordseite offen bleibt. Im Masterplan ist sie immer noch als „Potenzialfläche“ eingetragen, auf der ab 2025 bis zu 500 Wohnungen gebaut werden könnten.
Das Volksbegehren will dagegen jegliche Bebauung des Tempelhofer Feldes verhindern. Seit der Öffnung des ehemaligen Flugfeldes im Jahr 2010 erfreut sich die riesige Freifläche einer großen Beliebtheit. Der Gesetzentwurf der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“, der am 25. Mai zur Abstimmung steht, nennt für den Erhalt als öffentliche Grünfläche mehrere Gründe. Zum einen sei die Weite der Fläche innerhalb einer Großstadt einzigartig und habe mit ihrer Offenheit und den ungehinderten Bewegungsmöglichkeiten einen hohen Erholungswert. Zum anderen komme der Wiesenfläche inmitten der dichten Bebauung eine stadtklimatisch und ökologisch wichtige Funktion zu als Kaltluftentstehungsgebiet und Luftaustauschschneise. Außerdem sei der ehemalige Flughafen auch über den Denkmalschutz hinaus in seiner Gänze historisch bedeutsam.
Deshalb sollen Bauwerke, Abgrabungen und Aufschüttungen auf dem gesamten Gelände unterbleiben. Im äußeren Wiesenring – das sind die Flächen außerhalb des „Taxiways“ – dürften Sportplätze und Toilettenanlagen entstehen, feste Sitzbänke, Tische und Abfallbehälter könnten aufgestellt werden, und auch Wegebeleuchtungen und Hinweisschilder wären dort zugelassen. Erlaubt wären im Randbereich auch das Pflanzen einzelner Obstbäume und die Anlage von gemeinschaftlich genutzten „Allmende-Gärten“. Generell darf dem Gesetzentwurf zufolge auf dem Feld alles geschehen, was sich im Rahmen „üblicher und typischer Freizeit- und Erholungsnutzung“ bewegt.
Der Senat nahm das Volksbegehren erst ernst, als tatsächlich genügend Unterschriften für einen Volksentscheid zusammengekommen waren. Michael Müller wirbt nun um Akzeptanz für seinen Masterplan: „Wie von mir immer zugesagt, werden 230 Hektar – ein Gebiet größer als der Große Tiergarten – als Freifläche erhalten bleiben.“ Die Ränder des Feldes brauche man aber für den Bau von dringend benötigten neuen, bezahlbaren Wohnungen. Müller weiter: „Eine große Freifläche mit einzigartiger Weite und bezahlbares Wohnen sind auf dem Tempelhofer Feld keine Gegensätze.“
Der Erfolg des Begehrens war vor allem ein Misstrauensvotum gegen die Senatsplanung. Auch Berliner, die sich eine maßvolle Bebauung des Feldes mit Wohnungen durchaus vorstellen können, haben die „100-Prozent“-Initiative unterstützt. Sie halten die geplante Bebauung für überdimensioniert, glauben dem Senat nicht, dass dort bezahlbare Wohnungen entstehen, befürchten, dass eine von Häusern umgebene Fläche nicht mehr so frei nutzbar wäre, oder meinen gar, die Randbebauung könnte nur der Anfang für ein weiteres Zubauen des Geländes sein.
Ein dritter Weg zwischen Ja und Nein?
Auch wenn die Bürger am 25. Mai nur mit Ja oder Nein entscheiden können – ob gebaut wird oder nicht – wird nun auch über das Wie und Wo einer möglichen Bebauung diskutiert. Unter den Parteien und Verbänden verschließt sich kaum jemand vollständig einer Bebauung, der Masterplan des Senats hat aber wenig Freunde. Das Ergebnis des Volksbegehrens sei „eine rote Karte für die Tempelhof-Pläne des Senats und zwingt ihn, diese jetzt mit den Berlinerinnen und Berlinern zu diskutieren“, erklärt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. Ihre Partei schlägt vor, kleinere und billigere Wohnungen zu bauen und dafür auf den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek zu verzichten. Die Linke hat detaillierte Vorstellungen: „Wir wollen keine Bebauung am Columbiadamm, an der Oderstraße und entlang des S-Bahnrings“, sagt die Ex-Senatorin Katrin Lompscher. „Wir halten lediglich am Tempelhofer Damm Wohnungsbau im Zusammenhang mit dem Bibliotheksstandort für möglich, ausschließlich von öffentlichen und dem Gemeinwohl verpflichteten Trägern mit dauerhaften sozialen Bindungen und bezahlbaren Mieten, und das nicht nur für 50, sondern für 100 Prozent der Wohnungen.“ Den Piraten geht es vor allem um die Bürgerbeteiligung. „Wir möchten, dass den Berlinerinnen und Berlinern die Gestaltung der Freiflächen ihrer Stadt endlich verbindlich in die eigene Hand gelegt wird“, sagt Philipp Magalski. „Dadurch wäre eine parzielle Bebauung nicht ausgeschlossen.“
SPD und CDU haben als Alternative zum 100-Prozent-Volksbegehren einen Gesetzentwurf formuliert, der den Fortbestand der zentralen 230 Hektar als Grünanlage garantiert. Die Fraktionen im Abgeordnetenhaus haben sich im März mehrmals getroffen, um mit einem gemeinsamen Allparteien-Kompromiss in den Volksentscheid zu gehen. Kurz nach Redaktionsschluss wurde bekannt, dass diese Verhandlungen gescheitert sind.
„Gegner und Befürworter müssen von ihren Extrempositionen abweichen“, meint Antje Kapek. Um einen „dritten Weg“ zu finden, hat die Grünen-Fraktion zu einem Fachgespräch eingeladen. Dabei äußerten die Experten teils harsche Kritik am Masterplan und dem Vorgehen des Senats, obwohl sich auch hier fast keiner prinzipiell gegen eine Bebauung stellte.
Hauptkritikpunkt: Der Alleingang des Senats
„Berlin hat hier einen einzigartigen Natur- und Erholungsraum, um den uns jede Metropole beneidet“, sagt BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser, der sich am Tempelhofer Damm aber ebenfalls eine Bebauung vorstellen kann. Das Problem sei, dass vielfach signalisiert worden wäre, die Randbebauung sei alternativlos. „Das führt dazu, dass wir mittlerweile einen breiten Widerstand gegen diese Art von Stadtplanung haben“, so Heuser. „Man muss sich von diesem Masterplan verabschieden, um die Unentschiedenen zur Abstimmung zu bringen“, forderte Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer Berlin.
Unausgegoren findet auch Aljoscha Hofmann von der Initiative „Think Berl!n“ den Senatsplan. Er fragt: „Wie kann man das Feld bebauen, wenn man noch gar keine Idee hat, was man mit dem Flughafengebäude machen will?“ Weitgehend einig war man sich, dass man den Zeitdruck aus dem Verfahren nehmen muss und dass die Bürger mehr Einfluss auf die Planung bekommen sollen.
„Mangelhafte Kommunikation“ wirft der Berliner Mieterverein (BMV) dem Senat vor. Das erfolgreiche Volksbegehren sei Ausdruck des Argwohns gegenüber der Senatsplanung, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Viele Berliner würden dem Senat nicht glauben, dass hier tatsächlich bezahlbare Wohnungen entstehen werden. Dass die Hälfte der 1700 Wohnungen, die ab 2016 im „Bildungsquartier“ am Tempelhofer Damm gebaut werden sollen, zu Nettokaltmieten von sechs bis acht Euro pro Quadratmeter vermietet werden, ist bislang aber auch nur eine unverbindliche Ankündigung, die sich weder in der Stellungnahme noch dem gesetzentwurf von SPD und CDU im Abgeordnetenhaus wiederfindet.
„Der Wohnungsneubau muss den Einkommen in der Stadt Rechnung tragen“, so Wild. Da fast zwei Drittel der Berliner Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, sollten auch zwei Drittel der zu schaffenden Wohnungen nicht über 7,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt kosten. Davon wiederum müsse die Hälfte zu nicht mehr als 5,50 Euro bis 6 Euro angeboten werden, fordert der Mieterverein. Hier ist man zwar auch davon überzeugt, dass die Ränder des Flugfeldes dringend für innerstädtischen Wohnungsneubau benötigt werden – Umfang und Art der Nutzung müssten jedoch auf den Prüfstand. Wild: „Wir wollen nicht nur Wohnungen, sondern auch mehr Stadt.“ Die Bebauungsvorschläge seien weitgehend losgelöst vom Umfeld in Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln entwickelt worden – ein eklatanter Fehler.
Wer braucht die Gewerbeflächen?
Wenn Michael Müller bei der Werbung für seinen Masterplan mit dem dringend benötigten Wohnungsbau argumentiert, ist das nur die halbe Wahrheit. Vom geplanten Bauvolumen ist nur etwas mehr als die Hälfte Wohnraum: 460 000 Quadratmeter Wohnfläche stehen 425.000 Quadratmetern Gewerbenutzfläche gegenüber. Anders als beim Wohnraum herrscht an Gewerbeflächen in Berlin allerdings kein Mangel. In Berlin beträgt der Büroflächenleerstand 8,2 Prozent: Fast 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche waren 2013 ungenutzt. Vor diesem Hintergrund ist es fragwürdig, warum auf dem Tempelhofer Feld ein so hoher Gewerbeanteil geplant ist.
Viele Unterzeichner des Volksbegehrens ließen sich auch von einer Ablehnung des Bibliotheksneubaus leiten. Die im Spott so genannte „Klaus-Wowereit-Gedenkbibliothek“ erscheint ihnen als überflüssiges Prestigeprojekt. Am Tempelhofer Damm will der Senat für die Zentrale Landesbibliothek (ZLB) einen spektakulären Neubau errichten, der das Stammhaus in der Breiten Straße in Mitte und die Gedenkbibliothek in Kreuzberg ersetzen soll. Bei einem Architekturwettbewerb sind im Dezember 2013 zwei erste Preise vergeben worden. „Im Rahmen der Überarbeitung der beiden Entwürfe werden wir entscheiden, welches Projekt realisiert wird“, erklärt Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Der ZLB-Bau mit 51.000 Quadratmetern Nutzfläche soll 270 Millionen Euro kosten und von 2016 bis 2021 realisiert werden. Regula Lüscher hat jedoch schon eingeräumt, dass die Kosten knapp kalkuliert sind. Mit den zu erwartenden Baupreissteigerungen könnten sie auf 317 Millionen Euro steigen. Zum Vergleich: Berlin gibt für die soziale Wohnungsbauförderung in den nächsten fünf Jahren insgesamt 320 Millionen Euro aus.
Inzwischen wird der Senat angesichts des nahenden Abstimmungstermins nervös. Michael Müller warnt vor „100 Prozent Stillstand“. SPD-Fraktionschef Raed Saleh geht auf Konfrontationskurs, indem er den Initiatoren des Volksbegehrens „100 Prozent Egoismus“ vorwirft und fälschlicherweise behauptet, dass sogar Sonnenschirme verboten würden. Staatssekretär Ephraim Gothe schlägt hingegen mildere Töne an: „In der Bevölkerung kursiert die Sorge, dass da teures Wohnen realisiert wird. Die Frage der Mieten ist ganz essenziell. Wir müssen unter Beweis stellen, dass wir mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften auch preiswerten Wohnraum bauen können.“ Ob diese Überzeugungsarbeit Erfolg hat, werden wir am Abend des 25. Mai erfahren.
Jens Sethmann
Als Tempelhofer Feld bezeichnete man die Ackerflächen, die sich südlich von Berlin von Schöneberg bis nach Rixdorf hinzogen. Seit 1722 wurde es vom preußischen Militär als Manövergelände, Parade- und Exerzierplatz genutzt. Im 19. Jahrhundert wurde das Feld ein beliebtes Ausflugsziel für die Berliner: An Sonntagen kamen sie in Scharen zum Spazierengehen und Picknick. Dazwischen trugen ab den 1880er Jahren auch die ersten Berliner Fußballclubs ihr neuartiges Spiel aus. Feste Plätze gab es da noch nicht. Die Mannschaften mussten ihre Torstangen mitbringen und die Felder jedes Mal neu markieren. Die Flächen westlich des Tempelhofer Damms wurden 1910 an die Gemeinde Tempelhof verkauft, die hier bis 1928 die Siedlung Neu-Tempelhof bauen ließ.
Ab 1885 gab es auf dem Tempelhofer Feld Vorführungen und Testflüge von Ballonen und Luftschiffen. 1909 war Motorflugpionier Orville Wright hier zu Gast und stellte mit 172 Metern einen neuen Höhenweltrekord auf. Von 1922 bis 1928 baute man die bescheidenen Anlagen zu einem echten Flughafen aus, der sich aber auch schon bald als zu klein erwies. Nach ihrer Machtübernahme beauftragten die Nationalsozialisten 1934 den Architekten Ernst Sagebiel mit einem Neubau. Er baute 1936 bis 1941 das gigantische Flughafengebäude, das heute noch steht. Während des Zweiten Weltkrieges hat die Rüstungsindustrie das Gebäude genutzt. Tausende Zwangsarbeiter aus ganz Europa wurden hierher verschleppt. Auf dem Gelände des Tempelhofer Feldes betrieben Gestapo und SS zudem von 1933 bis 1937 das Konzentrationslager „Columbia“, in dem überwiegend politische Häftlinge eingepfercht, misshandelt und erschossen wurden.
Nach Kriegsende wurde der Flugbetrieb unter US-amerikanischer Aufsicht wieder aufgenommen. Eine bedeutende Rolle spielte der Flughafen während der Berlin-Blockade 1948 bis 1949: Die Transportflugzeuge der Luftbrücke aus Westdeutschland landeten teilweise im 90-Sekunden-Takt und sicherten so die Versorgung der West-Sektoren. Nach der Eröffnung des neuen Flughafens Tegel stellte Tempelhof 1975 den zivilen Flugbetrieb ein, nahm ihn aber 1985 wieder auf. Durch den Beschluss zum Bau des Großflughafens Berlin-Brandenburg von 1996 wurde der defizitäre Flughafen Tempelhof überflüssig. Nachdem ein Volksbegehren gegen die Schließung gescheitert war, hob am 30. Oktober 2008 die letzte reguläre Maschine ab. Am 8. Mai 2010 öffneten sich die Tore des Flugfeldes für die Öffentlichkeit. Die nun „Tempelhofer Freiheit“ genannte Grünfläche erfreute sich unter Anwohnern, Erholungssuchenden und Freizeitsportlern sofort großer Beliebtheit – gerade auch, weil die Fläche kein durchgestalteter Park ist. Die hier geplante Internationale Gartenbauausstellung 2017 traf deshalb auf Widerstände und wurde nach Marzahn verlegt. Die Internationale Bauausstellung 2020, die sich zum großen Teil dem Tempelhofer Feld widmen sollte, wurde ganz abgesagt.
js
Der ehemalige Münchner Flughafen Riem hat eine ganz ähnliche Geschichte wie Tempelhof. Auf dem 1939 eröffneten Flughafen hob 1992 das letzte Flugzeug ab, nachdem München einen neuen Großflughafen gebaut hatte. Das 560 Hektar große Gelände, neun Kilometer östlich des Stadtzentrums, ist mittlerweile komplett umgestaltet. An den Flughafen erinnern nur noch die Empfangshalle und der Tower, die restlichen Gebäude wurden abgerissen und die Flächen überbaut. Dabei einigte man sich auf die sogenannte Drittellösung: ein Drittel Messe und Gewerbe, ein Drittel Wohnen und ein Drittel Grün. Im Norden der Fläche entstanden die 1998 eröffnete Neue Messe mit 17 Ausstellungshallen sowie ein Gewerbegebiet für insgesamt 13.000 Beschäftigte. In der Mitte werden 5400 Wohnungen für 16.000 Menschen gebaut, davon sind 4600 Wohnungen schon fertig. Beim Wohnungsbau wird die „Münchner Mischung“ angewandt: Ein Drittel der Wohnungen sind Sozialmietwohnungen, ein weiteres Drittel wurde nach dem „München-Modell“ für mittlere Einkommen gefördert und das letzte Drittel ist freifinanzierter Wohnungsbau. Am Südrand wurde zur Bundesgartenschau 2005 der 200 Hektar große Riemer Park angelegt. Anders als beim Masterplan für das Tempelhofer Feld ist in Riem der offene Charakter des Flugfeldes völlig verschwunden. Der Erhalt der Freifläche war in München jedoch aus stadtklimatischen Gründen weniger wichtig, weil das Gelände am Stadtrand liegt und in die offene Landschaft übergeht.
js
MieterMagazin 4/14
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100 Prozent oder 78 Prozent?
Das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof umfasst 386 Hektar. Davon entfallen auf das Flughafengebäude und sein Vorfeld 54 Hektar. Offen zugänglich sind zurzeit 294 Hektar. Das Volksbegehren fordert, diese zu 100 Prozent freizuhalten. Die im Masterplan des Senats angestrebte Bebauung liegt im Wesentlichen außerhalb der inneren Rundstraße, des sogenannten Taxiways. Die drei Baufelder haben zusammen 59 Hektar: Das „Bildungsquartier“ am Tempelhofer Damm umfasst 14 Hektar, das Gewerbe- und Wohngebiet „Südring“ 27 Hektar und das Wohnquartier Oderstraße 18 Hektar. Am Columbiadamm ist zudem noch eine „Potenzialfläche“ vorgesehen, für die es noch keine Pläne gibt. Als öffentlicher Park würde eine Fläche von 230 Hektar bleiben. Das wären 78 Prozent der jetzigen Parklandschaft.
js
Eingestellt wurde der Flugbetrieb in Tempelhof im Jahr 2008
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11.12.2017