In der historischen Siemensstadt in Spandau entsteht zwischen Nonnendammallee, Paulsternstraße und der alten Siemensbahn in den nächsten zehn Jahren auf einer Fläche von 73 Hektar ein neuer Kiez für Forschen, Lernen, Arbeiten, Wohnen und Leben – eines der größten Berliner Zukunftsprojekte. Im Februar 2020 entschied eine Jury über das Gesicht dieser „Siemensstadt 2.0“.
Der Siegerentwurf für den neuen Stadtteil überzeugte die Jury nicht zuletzt durch seine Einfachheit und Klarheit: viel Grün, große, offene Plätze, klare Strukturen. Architekt Markus Penell von Ortner & Ortner will mit dem prämierten Entwurf Urbanität in die Siemensstadt bringen, ohne die Tradition zu verleugnen. Da die einzelnen Siedlungen im Umfeld kein städtisches Ambiente haben, versteht er sein Konzept „wie eine Stadtgründung“. Wohnen, Arbeit, Lernen und Forschung müssen verknüpft werden. Die Siemensstadt wird deshalb auch eine Stadt der kurzen Wege – und ein Forschungsfeld für die Stadt der Zukunft. Als Mittelpunkt des Areals sind ein Stadtplatz und ein Hochhaus geplant. Ob es tatsächlich 150 Meter hoch wird, entscheidet sich im Masterplanverfahren. Den Stadtplatz säumen einige 30 Meter hohe Gebäude. Im Norden des Areals ist klassischer Wohnungsbau geplant, südlich der Nonnendammallee wird Gewerbe dominieren, der westliche Teil ist Büros, Start-ups, Industrie, Forschung und Gewerbe vorbehalten. Auch im großen Verwaltungsgebäude sind Wohnungen vorgesehen, in die Innenhöfe und ins Erdgeschoss könnten Cafés und Restaurants einziehen. Geplant sind Schulen, ein Hotel, Kindergärten, ein Seniorenclub, ein Treffpunkt für junge Leute, eine Bibliothek und eine Galerie.
Das gesamte Areal soll CO2-frei betrieben und weitestgehend autofrei werden. An den Eingängen zu dem Quartier sind Standorte für Car- und E-Bike-Sharing und Ladestationen für Elektroautos vorgesehen. Quartiers-Shuttles bringen Bewohner und Gäste schnell an jeden Punkt der Siemensstadt. Die Deutsche Bahn hat eine Ausschreibung für eine Machbarkeitsstudie gestartet, um zu prüfen, inwieweit die Verlängerung der Siemensbahn bis zum Spandauer Ortsteil Hakenfelde möglich und sinnvoll ist.
Die vorhandenen Mieter im Blick behalten
In alle Etappen der Planung wurden die Nachbarschaft, interessierte Bürger und die Mitarbeiter von Siemens einbezogen. In einem dreiwöchigen Online-Dialog sowie in einem Bürgerdialog wurden die Vorschläge gesammelt und der Jury als Empfehlungspapier übergeben. In einer Ausstellung in der Mosaikhalle des Siemens-Verwaltungsgebäude konnten sich die Bürger über die eingereichten 17 Entwürfe informieren. Die Sorgen der Mieter in Charlottenburg-Nord, dass mit der Aufwertung ihres Kiezes die Mieten steigen werden, konnte ihnen der Dialog aber nicht nehmen.
Niklas Schenker, Fraktionsvorsitzender der Linken in der BVV Charlottenburg, fordert nun einen Milieuschutz für die angrenzenden Kieze. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, hat vorgeschlagen, den Anteil der zu bauenden Sozialwohnungen auf 50 Prozent zu erhöhen, da kein teurer Grunderwerb für den Bauherrn notwendig ist.
Rainer Bratfisch
Vom Hinterhof zum eigenen Stadtteil
Die erste Werkstatt der Telegraphen Bau-Anstalt von Siemens & Halske wurde im Oktober 1847 in einem Hinterhaus der Schöneberger Straße 19 gegründet. Hergestellt wurden neben Telegraphen auch Eisenbahnläutewerke, Drahtisolierungen und Wassermesser. Schnell wurde daraus eines der weltweit größten Elektrounternehmen. Die Berliner Siemens-Fabriken wurden ab Ende der 1890er-Jahre nach Spandau verlegt, wo an den „Nonnenwiesen“ mit der Siemensstadt ein eigener Stadtteil mit Wohnsiedlungen, Forschungseinrichtungen, Kirchen, Schulen, Freizeiteinrichtungen und Parks entstand. Die Großsiedlung, unter der Regie von Architekt Hans Scharoun und Stadtbaurat Martin Wagner errichtet, ist heute Weltkulturerbe.
rb
Münzel, Martin: Bauen für die Zukunft – Die Siemensstadt. Berlin 2019
27.03.2020