Auf Bundes- wie auf Landesebene haben die jeweils Regierenden gigantische Wohnungsbauziele versprochen. In der Berliner Nachkriegsgeschichte ist das nichts Neues. Immer mal wieder musste in den zurückliegenden Jahrzehnten ein krasser Mangel an Mietwohnungen durch politischen Eingriff und öffentliche Gelder behoben werden – auf beiden Seiten der Mauer. Nun aber treffen ambitionierte Neubauzahlen auf hohe Ansprüche an die Standards: Die Wohnungen sollen klimaneutral, altersgerecht und barrierefrei sein, in lebendigen Quartieren liegen und auch Menschen mit niedrigem Einkommen ein Zuhause bieten. Damit unterscheidet sich diese Bauoffensive von vergangenen in Ost wie West. Damals ging es nämlich um eine eher grundsätzliche Versorgung zu einem leistbaren Preis und mit einem zeitgemäßen Komfort für all jene, die in der langen Schlange der Un- und Unterversorgten standen.
Als sich vor wenigen Wochen führende Vertreter von Bau- und Immobilienbranche, Mieterbund und Gewerkschaften zu ihrem 13. Wohnungsbautag trafen, lag vor ihnen ein Papier, das es in sich hatte. Der im November letzten Jahres beschlossene Koalitionsvertrag bündelt unter der Überschrift „Bauen und Wohnen“ auf nur fünf Seiten eines der wichtigsten Ziele der neuen Ampelregierung: einen „Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik“. An oberster Stelle steht dabei der Bau von jährlich 400.000 Wohnungen. Ein Viertel davon soll im Sozialen Wohnungsbau entstehen. Dieser Umfang übertrifft das Neubauvolumen der Jahre zuvor deutlich, in denen jeweils etwa 300.000 Wohnungen gebaut worden waren. Hintergrund dieser Wohnungsbauoffensive ist der Bedarf vor allem an bezahlbarem Wohnraum. So zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie: In den 77 Großstädten Deutschlands fehlen fast zwei Millionen günstige Wohnungen. Am größten sei die Lücke in Hamburg, Köln – und Berlin.
Sozialbindung bei einem Viertel der Neubauten
Das sieht auch die neue Landesregierung in der Hauptstadt so. Rot-Grün-Rot verständigte sich in den Sondierungsgesprächen am Jahresanfang darauf, den seit 2017 geltenden „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ noch einmal deutlich aufzustocken. Statt wie bisher festgelegt 13.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, sind jetzt 20.000 geplant. Auch hier: Ein Viertel – 5000 Wohnungen – soll im Sozialen Wohnungsbau errichtet werden. Die Einstiegsmiete beträgt monatlich aktuell bei Bezugsfertigkeit zwischen 6,50 und 8,20 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Mietpreis- und Belegungsbindungen gelten für 30 Jahre. Ziel der Berliner Offensive ist es, nicht nur den augenblicklichen Fehlbedarf auszugleichen, sondern auch für einen prognostizierten Bevölkerungszuwachs bis zum Ende des Jahrzehnts ausreichend Wohnraum zur Verfügung zu haben.
Wohnraummangel in und Zuzug nach Berlin gaben in zurückliegenden Jahrzehnten öfter schon Anlass zu Wohnungsneubau in großem Stil – in Ost wie West. „Wir haben zwar über 220.000 Wohnungen seit Ende der Blockade fertiggestellt“, umriss der West-Berliner Bausenator Rolf Schwedler (SPD) vor 60 Jahren die damalige wohnungspolitische Situation. „Und obwohl jeder vierte Berliner heute in einer Nachkriegsneubauwohnung lebt, haben wir immer noch eine hohe Zahl von Wohnungssuchenden und eine noch höhere Zahl von solchen, die eine bessere Wohnung, eine andere, gesündere, meist auch eine größere Wohnung haben wollen …“
Die Berliner, von denen damals noch viele in den Gründerzeit-Mietskasernen der Altbauviertel wohnten – kostengünstig, weil eine in den Nöten der Nachkriegszeit entstandene Mietpreisbindung die Mieten kappte – folgten dem Lockruf in die Neubauten gern. Denn die Altbauten waren so, wie sie Ende des 19. Jahrhunderts gebaut worden waren: mit Ofenheizung, ohne Bad und Warmwasser, das Klo auf halber Treppe. An eine Sanierung der Gebäude und Reduzierung der Gebäudedichte dachten seinerzeit weder Stadtplaner noch Politiker.
Die 1970er Jahre im Westen: Weg mit der alten Bausubstanz
So kam ein massiver Wohnungsbau in Fahrt, in dessen Rahmen bis zur Wiedervereinigung Hunderttausende Neubauten errichtet wurden, fast zu 90 Prozent im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus. Es entstanden „Trabantenstädte“ genannte Großsiedlungen in Britz-Buckow-Rudow (BBR) im Bezirk Neukölln, seit 1972 offiziell Gropiusstadt, das Falkenhagener Feld in Spandau und das Reinickendorfer Märkische Viertel (MV) mit insgesamt rund 47.500 Wohnungen. Den Großsiedlungen am Stadtrand fehlte es allerdings an wichtiger sozialer Infrastruktur, und auch die Verkehrsanbindung war schlecht.
Für Neubauwohnungen in der Innenstadt wurden ganze Straßenzüge mit den als unzeitgemäß eingeschätzten Altbauten, vor allem in den Arbeiterbezirken Wedding, Kreuzberg und Neukölln, abgerissen. Zu den vielen Wohnanlagen, die an ihrer Stelle in dieser Zeit entstanden, gehörte beispielsweise die Neubebauung des Mehringplatzes (1967 bis 1971) mit circa 1500 Wohnungen oder auch die spektakuläre Überbauung der Stadtautobahn in Wilmersdorf an der Schlangenbader Straße (1976 bis 1981) mit über 1200 Wohnungen. Und obwohl es im Laufe der 70er Jahre erste Stimmen und Entwürfe gab, die belegten, dass die Altbausanierung sich lohnt und rechnet, wurde weiter abgerissen und neu gebaut. Das lag allerdings auch an der Art der Finanzierung des West-Berliner Sozialen Wohnungsbaus.
Finanzielles Desaster im Westen
Die war 1969 umgestellt worden von einer Kapitalsubventionierung – der Vergabe öffentlicher Baudarlehen, die in einer bestimmten Zeit zurückgezahlt werden mussten – auf die sogenannte Lastensubventionierung von Bankkrediten. Bezuschusst wurde nun der finanzielle Aufwand von Bauherren, der durch ihre Einnahmen aus der Vermietung nicht mehr abgedeckt war. Spekulativer Baukostenanstieg und Zinsabhängigkeiten, aber auch architektonische Raffinessen und erhöhte Baustandards wurden bei gedeckelten Mieten mittel- und langfristig zu einer enormen Belastung des West-Berliner Landeshaushalts. Denn der hatte sich verpflichtet, die Differenz zu tragen. West-Berlin sollte ja hinter der Mauer nicht „aussterben“, seine Bewohnerinnen und Bewohner sollten aufgrund dieser attraktiven Wohnungsangebote bleiben, und es sollten Zuzügler in die ummauerte Stadt kommen. Die Folge: Der Soziale Wohnungsbau in West-Berlin war der mit Abstand teuerste in der Bundesrepublik. Von 1961 bis 1990 summierten sich die Subventionen auf 34 Milliarden DM. Gewinner dieses Systems waren Banken, die Bauindustrie und Vermieter.
Einheitswohnungen im Osten
Auch das gewaltige Wohnungsbauprogramm im Ostteil der Stadt war ein defizitäres. Sein Ziel klang ehrgeizig: Bis 1990 sollte die „Wohnungsfrage als soziale Frage“ gelöst sein. Ost-Berlin wurde zum größten Bauplatz der DDR. Es entstand zwischen 1972 und 1989 ein komplett neuer Stadtraum im Nordosten: Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen wurden innerhalb von zwei Jahrzehnten Wohnort für über 350.000 Bewohnerinnen und Bewohner.
Möglich wurde das mit einem typisierten und industriellen Montagewohnungsbau. Der vereinfachte die Abläufe, verkürzte Fertigungszeiten und verbilligte auch das Bauen. Allerdings ließ er Vielfalt und Abweichungen von der Norm nicht zu. Architekten und Städteplaner hatten sich auf Quantität zu konzentrieren. Und auf den Großbaustellen gab es auch kein traditionelles Bauhandwerk mehr. Statt Maurer und Zimmerer zu werden, erlernten die Schulabgänger den Beruf des Baufacharbeiters. Zum „komplexen Wohnungsbau“ gehörte auch, dass nicht einfach nur Wohnblöcke auf die grüne Wiese gesetzt wurden. Mit der Erschließung eines Gebietes wurden neben Fernwärme und Stromversorgung auch die Verkehrsanbindung und soziale Infrastruktur geplant. Trotz aller Normierung waren die Kosten für das Wohnungsbauprogramm immens und wurden durch nichts refinanziert. Eine Folge war der Verfall der Innenstädte, wo – abgesehen von Prestigeprojekten – nichts saniert wurde und selbst das Geld für die nötigsten Reparaturen fehlte. Eine zweite Folge war die immer schlechtere Qualität am Bau. Von den rund 273.000 Plattenbauwohnungen, die in Ost-Berlin bis 1989 errichtet worden waren, mussten viele nach der Wiedervereinigung sofort umfassend saniert werden.
Bei der Wohnungsbauoffensive, die die Ampelregierung im Bund mit Beginn dieses Jahres gestartet hat, hängt gerade in punkto Bauqualität die Messlatte hoch. Das betrifft zuallererst einen Faktor, der in den 1960er bis 1990er Jahren keine Rolle gespielt hat: der Klimaschutz. Errichtet und ausgestattet werden sollen die neuen Wohngebäude heute nach hohen Energiestandards und mit moderner Klimatechnik. Ein wichtiges Qualitätskriterium sind die Treibhausgas-Emissionen pro Quadratmeter Wohnfläche. Zusammen mit der energetischen Ertüchtigung des Bestandes soll dies dazu beitragen, dass Deutschland seine gesteckten Klimaziele auch erreicht: Senkung der Emissionen bis 2030 um 65 Prozent, bis 2040 um 88 Prozent und fünf Jahre später die Klimaneutralität.
Hausaufgaben im Klimaschutz
Hohe Energiestandards im Gebäudebereich schlagen sich allerdings auch bei den Kosten deutlich nieder. Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen („ARGE“) Kiel errechnete für die Teilnehmer des Wohnungsbautages: Um eine Tonne CO2 einzusparen, müssten im Wohnungsbau bis zu 2500 Euro investiert werden. Eine gewaltige Aufgabe bestehe auch darin, so Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), dass sowohl klimagerechte als auch bezahlbare Wohnungen errichtet würden, und das in ausreichender Zahl.
Für den Sozialen Wohnungsbau hat die Bundesregierung jetzt finanziell nachgelegt, der Bundesanteil an der Förderung soll mindestens 2 Milliarden Euro jährlich betragen. Von der Baubranche wird diese Summe, auch angesichts der stark angestiegenen Baupreise, immer noch als unzureichend angesehen. Auch der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, forderte eine solide und ausreichende Finanzierung, wenn die Zahl der neu gebauten Sozialwohnungen im Jahr verdreifacht werden soll: „Mit den bislang veranschlagten Fördermitteln ist das Ziel nicht zu erreichen, Menschen mit einem geringen Einkommen ein bezahlbares Dach über dem Kopf zu garantieren.“ Anzahl, Bezahlbarkeit und Klimaschutz sind allerdings nicht die einzigen Erfordernisse, denen die neuen Wohnungen gerecht werden müssen. Sie sollen auch altersgerecht und barrierearm ausgestattet werden und ihren Nutzern Flexibilität in verschiedenen Lebensphasen ermöglichen. Und schließlich geht es nicht nur um die Gebäude selbst: Mit den Neubaugebieten sollen lebendige soziale Quartiere entstehen und Nachbarschaften gefördert werden.
Baupotenziale in der Innenstadt heben
Innenentwicklung geht vor Außenentwicklung – das bedeutet: Neubauvorhaben im Stadtinneren sind solchen am Stadtrand vorzuziehen. Es dürfte auch eine Lehre aus früheren Wohnungsbauprogrammen sein, denn längst hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass lebendige Innenstädte eine besondere Qualität haben – bei Berlinerinnen und Berlinern rangieren die Altbaukieze zum Beispiel mittlerweile wieder ganz oben. Und tatsächlich ruhen in Innenstadtbezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte, Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf oder Tempelhof-Schöneberg noch viele und besondere Flächen-Potenziale: Dächer können ausgebaut, Supermärkte und Parkgaragen aufgestockt, Büro- und Gewerbeflächen umgewidmet werden. Nach einer Untersuchung der TU Darmstadt und der ARGE Kiel seien deutschlandweit mehr als zwei Millionen zusätzliche Wohnungen durch Dachaufstockungen vor allem bei Altbauten ab den 1950er Jahren und bei Bürokomplexen möglich. Rund 400.000 Wohnungen ließen sich durch die Überbauung von Supermärkten in City-Lage gewinnen, und ungenutzte Fabriken und Büroräume könnten sich in 1,9 Millionen Wohnungen verwandeln.
Wie viel Wohnungsneubau brauchen wir?
Auch der BUND Berlin (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) spricht sich in seinem aktuellen Thesenpapier „Wie viel Neubauten braucht Berlin bis 2030?“ für die intensivere Nutzung von Siedlungs- und Verkehrsflächen aus und fordert eine „Überbauung von flächenfressenden Discountern, Parkplätzen und weiteren versiegelten und ineffizient genutzten Flächen“. Das biete die Chance, bestehende Stadtquartiere sozial und ökologisch weiterzuentwickeln und Wohnungen zu bauen, die sich am Bedarf der Stadtbewohner orientierten, etwa als bezahlbare altersgerechte Wohnungen.
Allerdings verlangt der Umwelt- und Naturschutzbund von Senat und Bezirken auch einen umfassenden Überblick über alle Flächenpotenziale in der Stadt: Welche anvisierten Wohnungsbaustandorte könnten zügig realisiert und welche sollten zurückgestellt werden? Welche sind stadtökologisch bedeutsam? Und welche muss man als Nachverdichtungsprojekte auf grünen Freiflächen in einer unmittelbaren Nachbarschaft kritisch betrachten? Vor allem aber fragen die Umweltschützer: Wieviel Wohnungsbau ist in den kommenden Jahren denn tatsächlich notwendig? Benötigen wir wirklich Bauflächen zu Lasten grüner Freiräume wie dem Tempelhofer Feld oder der Elisabethaue?
Denn von großer Bedeutung ist schließlich auch, welche gewaltigen Belastungen das Bauen selbst für das Klima darstellt: Von der Herstellung der Baustoffe über ihren Transport bis zur Verarbeitung.
Der Berliner Mieterverein zweifelte zumindest bis zum Beginn des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine die Notwendigkeit einer drastischen Erhöhung der Neubauzahlen an und verlangte, Zielzahlen generell mit einem realistischen und klimapolitisch zu rechtfertigenden Maß zu versehen.
Rosemarie Mieder
„Die Karten auf den Tisch“
MieterMagazin: Berlin hat seine Wohnungsbaupläne deutlich aufgestockt. Wie realistisch, wie bedarfsgerecht ist dieses Vorhaben?
Reiner Wild: Die für Berlin geplanten 20.000 Wohnungen pro Jahr leiten sich durch nichts ab. Wir haben einen Stadtentwicklungsplan Wohnen, der einen Bedarf von 197.000 Wohnungen zwischen 2017 bis 2030 ermittelt und auch die Flächen gefunden hat, auf denen sie errichtet werden können. Dieser Plan basiert auf einer mittleren Bevölkerungsprognose und ist zum Teil auch schon realisiert: Rund 68.000 neue Wohnungen wurden bereits gebaut. Warum die Regierungsparteien hier ohne das Wissen über den Ukraine-Krieg noch draufgesattelt haben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir reden ja auch nicht über eine Kleinigkeit, sondern von über 70 000 zusätzlichen Wohnungen bis 2030.
MieterMagazin: Ganz offensichtlich ist die Berliner Regierung der Meinung, dass sie notwendig sind, um den Wohnungsmarkt zu entspannen …
Wild: Dahinter steckt die These, wir bräuchten nur zu bauen und viel zu bauen, dann hat das auch gute Effekte auf die Mietenentwicklung. Aber damit war man selten erfolgreich – und meist auch nur dann, wenn ein erwartetes Bevölkerungswachstum nicht eingetreten ist – etwa nach der Wiedervereinigung in Berlin: In Erwartung eines großen Zustroms an Menschen wurde ein gigantisches Wohnungsbauprogramm aufgelegt, aber dann kamen gar nicht so viele. Das führte zu einer Überversorgung und drückte die Mieten. Allerdings ist Berlin mit diesem Programm beinahe in die Insolvenz gegangen. Denn die Neubauten wurden in Entwicklungsgebieten errichtet, die das Land Millionen und Abermillionen gekostet haben. Wenn Wohnungen dann nicht wie erwartet vermietet werden können, ist das ein Problem – erst recht, wenn die wirtschaftlichen Risiken nur bei den kommunalen Wohnungsbauunternehmen liegen.
MieterMagazin: In Hamburg ist es über Jahre gelungen, auch beim Sozialen Wohnungsbau private Investoren mit einzubinden. Wie steht es damit in Berlin?
Wild: Wenn man auf den großen Anteil privater Investoren am Sozialen Wohnungsbau in Hamburg verweist, muss man auch die unterschiedlichen Bindungszeiten der Sozialwohnungen betrachten. In Berlin sind die Sozialmieten für 30 Jahre festgeschrieben. In Hamburg waren das lange nur 15 Jahre. Erst 2019 wurden die Bindungsfristen deutlich verlängert. Für Private ist es natürlich ein größerer Anreiz, wenn sie aus der Sozialgebundenheit schnell wieder heraus sind. Berlin ist einen anderen Weg gegangen, auch weil man hier der Meinung war, dass an die kommunalen Wohnungsunternehmen vergebene Fördergelder dem Allgemeinwohl dauerhaft zugute kommen sollen.
MieterMagazin: Aber muss es bei der großen Zahl an bezahlbaren Wohnungen, die errichtet werden soll, nicht auch andere Anbieter geben?
Wild: So ist es. Vor allem, was den Gemeinwohlsektor angeht. Neben den 5000 geplanten Sozialwohnungen sollen ja noch einmal so viele für Quadratmetermietpreise von 10, maximal 11 Euro errichtet werden. Davon muss man Investoren aber erst einmal überzeugen. Die Genossenschaften waren bisher eher zurückhaltend. Ihre Begründung: Es fehle an bezahlbaren Grundstücken. Und ob die Privaten gemeinwohlorientierte Wohnungen ohne Fördermittel bauen, die es ja nur für Sozialwohnungen gibt? Das dürfte schwierig werden.
MieterMagazin: Wie steht es mit der Nachverdichtung? Aufstockung, Dachgeschossausbau oder eine höhere Ausnutzung der Fläche erfordern keinen Ankauf von Grundstücken …
Wild: Grundsätzlich ist das eine gute Idee, auch weil Kosten für neue Infrastruktur gespart werden. Aber in der City sind die Wohnhäuser zum Beispiel überwiegend in Privatbesitz. Wie sollen die Eigentümer dazu gebracht werden, viel Geld zu investieren, um die Dächer auszubauen oder Häuser sogar aufzustocken?
MieterMagazin: Was fordert der Berliner Mieterverein vom neuen Senat?
Wild: Es ist Aufgabe der Regierung, zu analysieren, was dieses gewaltige Wohnungsbauprogramm mit sich bringt – auch im Hinblick auf die CO2-Belastung in Berlin. Das heißt: Für die jetzt vorgesehenen zusätzlichen 20.000 Wohnungen muss eine Klimabilanz erstellt werden. Neben vielem anderen gehört dazu beispielsweise der Fakt, dass in Neubauten die Wohnfläche um 30 Prozent größer ist als in vergleichbaren Bestandswohnungen.
Es müssen alle Karten auf den Tisch. Und es muss sachlich überlegt werden, wie sich Bedarfe in der Zukunft entwickeln. Wie wir gerade an der großen Flüchtlingswelle aus der Ukraine sehen, kann sich eine Situation durchaus plötzlich ändern.
Das Gespräch führte MieterMagazin-Mitarbeiterin Rosemarie Mieder
28.03.2022