Jahr für Jahr verunglücken Millionen Menschen in ihren vier Wänden. Kinder und ältere Frauen leben besonders gefährlich. Gerade wenn im Frühjahr die Putzwut erwacht, gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren und die Aufgabe mit Planung und Pausen zu meistern.
Ein Holzregal sollte sein Zimmer verschönern und veränderte sein ganzes Leben: Beim Bauen geriet Wolfgang Schmidt* mit einer Hand in die laufende Kreissäge. Das Schutzblech hatte er abgebaut. „Umständliche Vorrichtung“, fand er. Das Sägeblatt zerfetzte mehrere Fingerglieder – und die Musikerträume des 17-jährigen Gitarristen.
Jedes Jahr geschehen über 5,5 Millionen Unfälle in Heim und Freizeit, davon allein 2,6 Millionen im Haushalt, schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. „Unfälle im Haushalt sind schon allein deshalb so häufig, weil es mehr Hausfrauen und -männer gibt als Heimwerker und Hobbysportler“, sagt Susanne Woelk von der gemeinnützigen Aktion „Das sichere Haus“ (DSH). Die eine sieht beim Spülen vor lauter Schaum das Messer im Wasser nicht und greift hinein, ein anderer verletzt sich beim Dosenöffnen, eine dritte stürzt beim Frühjahrsputz von einer Konstruktion, in der Klappstühle, Bierkästen oder gestapelte Telefonbücher tragende Rollen spielen sollten. Aber auch kippelige oder zu kleine Leitern und der Wunsch, in äußerste Putzwinkel vorzudringen, führen oft zum freien Fall. „Es ist nicht das Gros der Unfälle: Aber immer noch stürzen Menschen beim Putzen aus dem Fenster“, weiß die Geschäftsführerin.
„Typische Ursachen für Haushaltsunfälle sind Hektik, Stress und Überforderung. Gerade beim Frühjahrsputz haben viele den Anspruch, alles in möglichst kurzer Zeit supersauber zu bekommen“, resümiert Woelk.
Senioren überdurchschnittlich gefährdet
Neben diesen psychischen Faktoren spielen körperliche eine Rolle – vor allem bei Älteren. „Sie erleiden oft Unfälle, weil sie sich noch das Gleiche zutrauen wie vor 20, 30 Jahren.“ Doch viele haben inzwischen einen niedrigen Blutdruck. Der kann zu Schwindel führen, und schon fällt jemand von der Leiter – nicht selten mit gravierenderen Folgen als in jungen Jahren. „Bei Seniorinnen und Senioren nimmt der Kalkgehalt in den Knochen ab – ein Sturz kann schnell zu einem Oberschenkelhalsbruch führen.“ Gerade bei allein lebenden alten Menschen verstärken sich Unfallfolgen oft, wenn sie über Stunden verletzt in der Wohnung liegen und keine Hilfe holen können. „80 Prozent der rund 6000 tödlich Verunglückten pro Jahr sind Senioren“, berichtet die Sicherheitsspezialistin und rät Älteren zu einem Hausnotruf. Den gibt es in verschiedenen Varianten. Gemeinsam ist allen, dass sie mit einem Hilfsdienst wie dem Deutschen Samariterbund oder dem Deutschen Roten Kreuz verbunden sind, der bei Bedarf anrückt. Beim Frühjahrsputz sollten sich betagte Menschen überdies besser helfen lassen.
Ansonsten ließen sich Unfälle vermeiden, „indem man Hausarbeit als Manageraufgabe betrachtet“, erklärt Woelk. „Am besten einen Plan darüber aufstellen, was man machen will und beobachten, was wie viel Zeit kostet. Der Aufwand für einzelne Arbeiten wird nämlich häufig unterschätzt. Danach sollte man den Hausputz aufteilen, um nicht in Hektik zu geraten und sich zu überfordern.“ Eine gute Möglichkeit: Zimmer für Zimmer vorgehen und sich auch durch Türklingeln oder Telefonanrufe nicht unterbrechen lassen. Als Putzablauf empfiehlt die 40-Jährige, sich von der hintersten Ecke nach vorn zu wienern. So müssten die gereinigten Bereiche eines Raumes nicht noch einmal durchquert werden. Bei einem Regal gilt analog: von oben nach unten. Woelk: „Entscheidend ist die Einsicht, dass Putzen seine Zeit erfordert – und seine Pausen. Zwischendurch sollte man sich mal hinsetzen, etwas trinken und sich eine kleine Stärkung genehmigen.“
Stürze gehören zu den häufigsten Unfallarten überhaupt. Dazu zählt das Ausrutschen im nassen Bad ebenso wie das Fallen über hoch stehende Türschwellen oder Teppichkanten. Auch hier sind Ältere besonders gefährdet. „In Seniorenhaushalten liegt häufig ein Teppich über dem anderen. Meist hat sich zudem Mobiliar angesammelt, so dass die Wohnungen sehr vollgestopft sind und wenig Freiraum für Bewegung bleibt“, beschreibt Woelk. Wer ins Stolpern gerät, verletzt sich unter beengten Umständen leicht den Kopf an einer Tischkante oder Kommodenecke. Um solche Kettenreaktionen zu vermeiden, hilft vor allem eins: entrümpeln – auch wenn es schwer fällt, sich von lieb gewonnenen Erinnerungsstücken zu trennen. Hoch stehende Teppichkanten lassen sich außerdem durch beidseitig haftende Gittermatten bändigen. Sie sind ohne Schaden wieder abziehbar. Auch für Parkett, Steinfußböden und Badezimmer gibt es im Fachhandel spezielle Fließe, um risikoreiche Schlittertouren zu vereiteln.
Stark sturzgefährdet sind auch Kinder. „Besonders Säuglinge und Kleinkinder verletzen sich bei Stürzen von Wickeltischen, Treppen und Hochbetten“, sagt Unfallchirurg Günter Lob. „Für solche Gefahrenquellen müssen Eltern ihr Bewusstsein schärfen: Babys beim Wickeln nie unbeobachtet lassen, Treppen durch Gitter sichern, bei Etagenbetten auf hohe Seitenwände achten.“ Im neugierigen Alter zwischen zwei und drei ziehen Kinder sich leicht Vergiftungen zu, etwa weil sie Reinigungsmittel trinken oder Tabletten für Bonbons halten. Auch Verbrennungen und Verbrühungen sind in diesem Alter keine Seltenheit. Deshalb sollten herabhängende Tischdecken tabu sein und Gefäße mit heißen Flüssigkeiten so hingestellt werden, dass kleine Kinder sie nicht erreichen können.
Vorsicht vor Billigwerkzeugen
Zurück zum eingangs erwähnten Wolfgang Schmidt. Er verunglückte durch Leichtsinn. Immer mehr Heimwerker werden jedoch Opfer von Billigwerkzeugen. Für einmalige oder kleine Arbeiten scheuen viele Bastler teure Anschaffungen und greifen zur vermeintlich preiswerten Alternative. „Leider passieren mit solchen Werkzeugen die meisten Unfälle“, urteilt Woelk.
Doch woran erkennt ein Heimwerker die Güte eines Werkzeugs? „Qualität hat ihren Preis“, meint Woelk. Das beträfe Werkzeuge genauso wie Lichterketten oder Heißwasserbereiter. Exporte aus Fernost oder Osteuropa entsprächen vielfach nicht deutschen Standards. „Viele Sicherheitszeichen sind außerdem Fälschungen, die Verbraucher nicht erkennen können.“ Sie rät zu gesundem Menschenverstand: „Wenn ich eine Bohrmaschine in der Hand wiege und denke, so leicht kann eigentlich kein vernünftiges Gerät sein, sollte ich es nicht kaufen.“ Schließlich gehe es um die eigene Sicherheit, sagt die DSH-Chefin: „Ist erst mal etwas passiert, weiß niemand, ob er wieder glücklich wird.“ Wolfgang Schmidt ist trotz fehlender Finger wieder glücklich geworden. Als Musiker hat er von Gitarre auf Schlagzeug umgesattelt. Von Beruf ist er heute Gesundheitswissenschaftler.
Martina Janning
* Name von der Reaktion geändert.
MieterMagazin 5/06
Ungeeignet, weil hoch unfallträchtig:
„Steigeeinrichtung“ – Marke Eigenbau
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Ungeeignet, weil hoch unfallträchtig:
Zu kurze und kipplige Leiter
Gefahrenherde, die für Kleinkinder nicht erreichbar sein dürfen: Medikamente
Gefahrenherde, die für Kleinkinder nicht erreichbar sein dürfen: Gefäße mit heißen Flüssigkeiten
Die Aktion „Das sichere Haus“ (DSH) bietet verschiedene Broschüren zur Unfallverhütung auf ihrer Website www.das-sichere-haus.de zum kostenlosen Herunterladen.
Welche Versicherung gegen Unfälle?
Verunglückt jemand auf dem Weg zum Job oder an seinem Arbeitsplatz, ist die Sache einfach: Die gesetzliche Unfallversicherung kommt für die Folgen auf. Sie greift aber nicht bei Unfällen in der Wohnung. „Hausfrauen sind daher nicht geschützt“, erläutert Katrin Rüter de Escobar vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft in Berlin. „Hier hilft eine private Unfallversicherung. Sie zahlt bei Schäden nach einem Unfall in Heim und Freizeit.“ Versicherte können dabei zwischen einer einmaligen Zahlung oder einer Rente wählen. „Die meisten vereinbaren heute eine Grundleistung von 100.000 Euro, die progressiv steigt“, berichtet die Fachfrau. Die Kosten für eine Unfallversicherung variieren nach Leistung. Die können für Ältere und Selbstständige anders aussehen als für Familien mit Kindern und zum Beispiel eine Haushaltshilfe oder Tagegeld beinhalten. Im Schnitt ist mit 150 bis 200 Euro im Jahr für guten Schutz zu rechnen. Übrigens: Wer eine Putzperle oder andere Haushaltshilfen beschäftigt, muss diese gesetzlich gegen Unfall versichern. Kosten: ab 45 Euro im Jahr.
mj
30.07.2013