Es gibt vielfältige Wohnprojekte für Senioren in Berlin. Doch es sind nicht genügend. Barrierefreie Wohnungen und Service im Alter müssen vor allem bezahlbar bleiben.
Margot Bittrich hat sich in ihrem rund 20 Quadratmeter großen Zimmer so eingerichtet, wie man es bei einer 89-Jährigen vermuten könnte: stilvolle Möbel, viele Schwarzweißfotos hinter Glas und eine ganze Reihe persönlicher Gegenstände. Das Ungewöhnliche an diesem Zuhause: Margot Bittrich lebt in einer Wohngemeinschaft mit insgesamt acht Parteien. Am Marzahner Cecilienplatz leben die demenzkranken Senioren auf insgesamt 300 Quadratmetern – ein Projekt des Wohnungsunternehmens Stadt und Land/WoGeHe. Zum Angebot gehört eine behindertenfreundliche Ausstattung, der Aufzug zum ersten Obergeschoss und die Betreuung rund um die Uhr. Das Ärztehaus und die Apotheke in der Nähe, die Geschäfte direkt am Cecilienplatz und im benachbarten Spreecenter und die parkähnlichen Grünanlagen vor der Haustür machen die Adresse zusätzlich attraktiv. Ein Platz in der Wohngemeinschaft kostet 300 Euro Warmmiete plus 200 Euro Haushaltspauschale. Diese beinhaltet unter anderem den Kauf von Lebensmitteln und die Reinigung der Wohnung. Im Mai wird am Cecilienplatz eine weitere Senioren-WG bezugsfertig sein.
Rund 17 Prozent der Berliner sind älter als 65 Jahre. Ihre Zahl steigt in den meisten Bezirken kontinuierlich. Die Berliner Wohnungsbaugesellschaften reagieren darauf – mit einem Instrumentarium, das von kleinen Serviceangeboten bis zu großen Sanierungsprogrammen reicht. So bietet das Wohnungsunternehmen Gewobag seinen Mietern einen „Seniorenservice“, der für monatlich 8,50 Euro genutzt werden kann. Er umfasst unter anderem Reinigungsdienste, das Austauschen von Glühbirnen und die Teilnahme an Kaffeenachmittagen. Teile des Dienstleistungsangebots werden vom Service lediglich vermittelt und müssen gesondert gezahlt werden.
Schmerzgrenze bei 25 Euro
Allzu viel dürfen solche Zusatzpakete nicht kosten: „Wenn die Mehrkosten 25 Euro pro Monat übersteigen, werden die Angebote für die meisten unserer Mieter in dieser Zielgruppe schon wieder uninteressant“, weiß Matthias Gaenzer von der Gesobau, die mit einem ähnlichen Angebot aufwartet.
Der Verein „Miteinander Wohnen“ ermöglicht Senioren in Lichtenberg, bis ans Lebensende selbstbestimmt in der eigenen Wohnung oder in vertrauter Umgebung bleiben zu können. Das begleitete Wohnen wird in einer Plattenbausiedlung mit 6000 Einwohnern angeboten, in der über 30 Prozent ältere Menschen wohnen. Es gibt Kommunikationsangebote, Mobilitätshilfen, individuelle Beratung, Selbsthilfegruppen, Koordinierung ambulanter Rehabilitation älterer Menschen sowie stationäre Pflege im Heim. Einzelne Veranstaltungen wie Gedächtnistraining oder Service wie Wäsche waschen können von allen Interessierten genutzt und einzeln gezahlt werden. Um die Angebote günstig anbieten zu können – ein bis drei Euro sollen es maximal sein -, ist der Verein auf ehrenamtliche Mitarbeiter und sogenannte Ein-Euro-Jobber angewiesen.
Das Wohnungsunternehmen WBM nutzt bei seinem Altenwohnprojekt in der Friedrichshainer Singerstraße Synergieeffekte, um die Kosten für Serviceangebote niedrig zu halten: Ein ganzer Plattenbau wurde zum Seniorenhaus umgewandelt. 240 Appartements mit je gut 25 Quadratmetern befinden sich in dem rundum altengerecht sanierten 17-Geschosser. Die Betreuung hat das Unionhilfswerk übernommen, dessen Mitarbeiter vor Ort sind. Die große Zahl der Wohnungen reduziert die Servicekosten für jeden einzelnen.
Die Masse machts – auch in Marzahn-Hellersdorf: Der Bezirk verzeichnete in den vergangenen Jahren die größte Zunahme an Senioren. Die Zahl der über 65-Jährigen verdoppelte sich im Vergleich zu 1992. Die Mieterbefragung 2005 der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn ergab, dass 35 Prozent ihrer Mieter 60 Jahre und älter sind. Eine Besonderheit in Marzahn: Die Großsiedlung wurde ehemals als Familienstadt gebaut, vorwiegend mit Drei- bis Fünfzimmerwohnungen. Doch heute wächst die Nachfrage nach kleineren, altersgerecht ausgestatteten Wohnungen und nach Betreuung im häuslichen Umfeld. Die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn erweiterte deshalb die Dienstleistungen vor Ort. Dazu zählen Hausmeister als Ansprechpartner, eine „Lärmpolizei“, die für ein ruhiges nachbarschaftliches Miteinander sorgt sowie Gästewohnungen für den Besuch.
Mit ihrem Programm „Wohnungen nach Maß“ geht die WBG Marzahn vor allen Dingen auf die Bedürfnisse ihrer älteren Mieterschaft ein. Kleinere Umbauten in der Wohnung wie Haltegriffe im Bad, Herabsetzen der Fenstergriffe, Absenkung von Loggia-Türschwellen sowie der Einbau flacher Duschtassen tragen dazu bei, dass ältere Mieter so lange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben können. In rund 350 Wohnungen wurden diese oder ähnliche Maßnahmen durchgeführt.
Der Bedarf nimmt zu
Die WBG Marzahn realisierte von 2003 bis 2005 das größte Stadtumbau-Ost-Projekt der Hauptstadt. Durch Abriss und Rückbau entstanden die „Ahrensfelder Terrassen“ mit rund 409 Wohnungen, darunter eine große Anzahl von Zweizimmerwohnungen. Die meisten Bewohner gehören zur Generation der über 50-Jährigen. Den Bedarf an altersgerechten und auch behindertenfreundlichen Zweizimmerwohnungen konnte das Unternehmen mit den „Ahrensfelder Terrassen“ jedoch nicht decken. Deshalb konzentrierte man sich im zweiten Teil des Stadtumbau-Ost-Programms auf das Wohnen im Alter. Zurzeit wird an einem Standardkatalog für barrierearme Wohnungen gearbeitet, der für die gesamte Degewo-Gruppe gelten wird. Das bedeutet, dass größere Instandsetzungen und Modernisierungen unter dem Gesichtspunkt „barrierearm“ durchgeführt werden, auch bei einem Mieterwechsel.
Hans-Ulrich Litzner, Sprecher des Arbeitsausschusses „Wohnen im Alter“, gehen diese Aktivitäten noch nicht weit genug: „Eine bindende Norm, die Barrierefreiheit nicht nur bei Neubauten, sondern auch bei Umbauten vorsieht, ist nötig, um den kommenden Bedarf zu decken.“ Dafür sei auch eine öffentliche Förderung entsprechender Maßnahmen erforderlich. „Künftige Generationen haben nicht mehr die Möglichkeit, privat so gut vorzusorgen wie es bislang noch viele tun konnten.“ Deshalb werde der Bedarf nach altersgerechtem Wohnraum, der bezahlbar ist, noch deutlich steigen.
Diese Entwicklung bekommt Petra Fock bereits jetzt zu spüren. Sie arbeitet in der Koordinierungsstelle „Rund ums Alter“ im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. „Die Leute wollen nicht in riesige Altenghettos gesteckt werden, sondern ihre eigenen vier Wände behalten.“ Barrierefreie Wohnungen sind eine wichtige Voraussetzung dafür. Oft wird es schon zum Problem, dass die Gehhilfe nicht im Erdgeschoss abgestellt werden kann. Auch an Unterstützung im Alltag fehlt es oft. Deshalb geben die Koordinierungsstellen in den Bezirken Hilfestellungen. Sie beraten, weisen den Weg zu anderen Anlaufstellen – von der Suche nach sozialem Kontakt bis zum Antrag auf Pflegeleistungen.
Lars Klaaßen
Die Menschen werden älter, Pflegeangebote wichtiger
MieterMagazin: Unsere Gesellschaft wird immer älter. Wird sich deshalb das Wohnungsangebot ändern müssen?
Robischon: Das hängt ganz davon ab, welche Phase des Alters man betrachtet. Es macht einen gehörigen Unterschied, ob wir von Leuten reden, die noch erwerbstätig sind, gerade im Ruhestand, aber noch körperlich fit, oder als Greise zunehmend hilfs- und pflegebedürftig werden.
MieterMagazin: Nimmt die Bedeutung altengerechten Bauens zu?
Robischon: Ja. Barrierefreies Bauen ist nicht nur eine Frage der Bequemlichkeit und des Komforts für Mieter, sondern wird auch für die Wohnungsbaugesellschaften wirtschaftlich relevant.
MieterMagazin: Aber lässt sich der Lebensabend in der eigenen Wohnung überhaupt bewerkstelligen?
Robischon: Das ist doch der Normalfall. Von den 75-Jährigen haben rund 80 Prozent noch keinen Bedarf an Pflege und hauswirtschaftlicher Hilfe. Und immerhin fast die Hälfte der 85-Jährigen kommt ohne Hilfen aus. Wir werden nicht nur älter, sondern sind dabei auch gesünder. Dennoch wird es in Zukunft eine wachsende Zahl älterer Menschen geben, die Hilfe benötigen.
Interview: Lars Klaaßen
MieterMagazin 5/07
Altersgerechtes Wohnen hoch über der Stadt: das Seniorenwohnhaus in der Singerstraße in Friedrichshain
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Der Verein „Miteinander Wohnen“ in Lichtenberg berät Senioren, die ihre vertraute Umgebung nicht aufgeben wollen
Betreut wird das Seniorenhaus in der Singerstraße vom Unionshilfswerk
Die Koordinierungsstellen „Rund ums Alter“ beraten und informieren auch telefonisch. Die Rufnummer für alle Berliner Bezirke (Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr): 0180-5950059 (Gebühr: 14 Cent/ Minute).Weitere Infos:
www.koordinierungsstellen-
rundumsalter.de
Dr. Tobias Robischon arbeitet als Wissenschaftlicher Referent bei der „Schader Stiftung“. Der Politikwissenschaftler betreut die Projekte Stadtumbau, Städtische Kreativität und Wohnen im Alter.
05.06.2022