Als der Vermieter im März vergangenen Jahres Familie Schael den Mietvertrag über ihr Haus kündigte, lautete die lapidare Begründung: „Der Eigentümer verkauft das Grundstück.“ In dieser Form genügte die Kündigung nicht den gesetzlichen Erfordernissen und war nicht wirksam. Inzwischen gehört das Grundstück dem Land Berlin. Jetzt kämpft die Familie gegen eine erneute Kündigung.
Seit 1980 wohnen Margret und Joachim Schael am Hubertusdamm 61/ 62 in Pankow. Als sie dort einzogen, gingen sie davon aus, auf Dauer wohnen zu können. Sie investierten viel Geld und noch mehr Zeit in die Erhaltung und Verschönerung des Grundstücks und des Hauses. Heute wohnt dort auch ihr Sohn mit Frau und Kind und die Tochter mit ihrem Verlobten. Familie Schael hätte das Grundstück gern gekauft, sie ließ sogar ein Vorkaufsrecht ins Grundbuch eintragen. Jetzt soll hier der neue Zugang zum S-Bahnhof Berlin-Karow mit Bahnhofsvorplatz und Buswendeschleife entstehen.
Dass dieses Bauvorhaben im öffentlichen Interesse liegt, kann Familie Schael noch nachvollziehen. Der Bebauungsplanentwurf des Bezirks lag öffentlich aus und weist ihr Grundstück für die „öffentliche Zweckbestimmung Verkehr“ aus. Was sie jedoch ärgert, ist der Umgang der Ämter mit ihnen. Bis heute gab es nicht einen Ortstermin mit einem Mitarbeiter des Bezirksamts. Ihr „Fall“ hat sich inzwischen zu einem Musterbeispiel seelenloser Bürokratie entwickelt.
Von den Absichten des Senats, auf ihrem Grundstück einen S-Bahn-Zugang zu bauen, erfuhren die Schaels aus der Tagespresse. Bezirksbürgermeister Matthias Köhne sagte ihnen später, dass das Bezirksamt den Fall notfalls „aussitzen“ wird. Seine Sekretärin riet ihnen, die Kündigung als „Neuanfang zu nutzen“. Dr. Michail Nelken, Stadtrat für Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung, war offensichtlich gar nicht bewusst, dass das Grundstück überhaupt bewohnt ist. Jens-Holger Kirchner, Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung, will eine „Nutzungsentschädigung“ einfordern, wenn die Familie das „Mietobjekt“ nicht bis zum 30. November 2008 geräumt an das Land Berlin zurückgibt und droht vorsorglich gleich „die Geltendmachung eines weiteren Schadens“ an.
Die Entschädigungssumme, die das Bezirksamt angeboten hat, wenn die Schaels das Grundstück bis zum 31. Juli 2008 räumen, reicht vielleicht gerade mal für den Umzug. Mindestens das Fünffache der Summe hat die Familie bisher in Haus und Grundstück investiert – immer in dem Glauben, hier alt werden zu können. Ersatzwohnraum kann das Bezirksamt nach eigener Aussage nicht anbieten. Wie die Schaels in relativ kurzer Zeit bezahlbaren Wohnraum für sieben Personen – im Sommer kommt noch ein Enkel dazu – finden sollen, scheint den Bezirk, der gern mit dem Prädikat „familienfreundlich“ wirbt, nicht zu interessieren.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 5/08
Opfer einer seelenlosen Bürokratie: Familie Schael aus Pankow
Foto: Christian Muhrbeck
13.04.2013