Ende letzten Jahres beschloss der Senat, weiterhin 24 West-Berliner Großsiedlungen des Sozialen Wohnungsbaus von den Belegungsbindungen freizustellen. Die beabsichtigte soziale Stabilisierung ist aber vor allem in den innerstädtischen Siedlungen nicht zu erkennen.
Die überwiegend in den 60er und 70er Jahren gebauten Großsiedlungen sind weiterhin die Sorgenkinder der Berliner Stadtentwicklungspolitik. Deshalb ermöglicht der Senat zur „Sicherung und Verbesserung des Sozialgefüges der Großsiedlungen im Sozialen Wohnungsbau“ auch Menschen mit höherem Einkommen, hier zu wohnen: Wer in einer der Großsiedlungen in eine Sozialwohnung einziehen möchte, muss auch in Zukunft keinen Wohnberechtigungsschein (WBS) vorlegen. Jeder, egal welches Einkommen er hat, kann hier eine Wohnung bekommen. Diese Freistellung, die für die meisten Siedlungen schon seit 1998 gilt, wurde nun bis Ende 2009 fortgeschrieben. „Mit dem Maßnahmenprogramm soll die in weiten Teilen vorhandene soziale Durchmischung weiterhin gewährleistet werden“, heißt es in der Begründung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Auch wenn sich während der Laufzeit des Programms einzelne Großsiedlungen positiv entwickelt haben, ist dennoch eine weitere Unterstützung notwendig.“ Von den 34 West-Berliner Großsiedlungen wurden 24 Wohnanlagen mit insgesamt 62.600 Sozialwohnungen freigestellt (siehe Kasten). Um Bewohner mit höheren Einkommen in den insgesamt 200.000 Berliner Sozialwohnungen zu halten, wurde nach 2002 auch die Fehlbelegungsabgabe ausgesetzt. Diese Abgabe hatten Mieter zu leisten, die in einer Sozialwohnung leben, deren Verdienst aber über der WBS-Einkommensgrenze lag. Selbst in den Sozialwohnungen außerhalb der genannten Großsiedlungen, wo noch ein WBS verlangt wird, ist der Zugang vereinfacht worden. Auch in den östlichen Bezirken bleiben die ehemals kommunalen Wohnungen von den Belegungsbindungen befreit.
Die soziale Durchmischung bleibt das Ziel
Aber ist in den letzten zehn Jahren durch die Freistellungen tatsächlich die soziale Entmischung gestoppt worden? Weil nach dem Einkommen der Bewohner und Zuzügler nicht mehr gefragt wird, ist die Frage schwer zu beantworten. Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung gibt wenig Anlass zu Hoffnung: Die meisten Großsiedlungen am Stadtrand sind zwar auf einem niedrigen Niveau sozial stabil, die soziale Lage in den innerstädtischen Wohnanlagen hat sich hingegen oft verschlechtert. Die Spaltung der Stadt in arme und reiche Viertel schreitet voran.
Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) begrüßt das Vorgehen des Landes: „Der Senat hat damit die Voraussetzungen für eine ausgewogene und stabile Sozialstruktur in diesen Großsiedlungen gestärkt“, erklärt BBU-Vorstand Ludwig Burkardt. Die Entwicklungspotenziale großer Siedlungen würden dadurch weiter verbessert. Für einkommensschwächere Mieter erwartet der BBU keine Nachteile bei der Wohnungssuche. Der Berliner Wohnungsmarkt sei nach wie vor relativ entspannt.
Der Berliner Mieterverein (BMV) stellt hingegen einen Mangel an günstigen Wohnungen fest. „Der Senat sollte die Steuerung im Sozialen Wohnungsbau nicht aus der Hand geben“, sagt der stellvertretende BMV-Hauptgeschäftsführer Reiner Wild. Es werden Konzepte für die zukünftige Wohnungsversorgung benötigt, etwa für die bevorstehende Altersarmut. „Die Instrumente muss man sinnvoll anwenden statt sie aufzugeben“, fordert Wild.
Jens Sethmann
MieterMagazin 5/08
Gut 62.000 Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus sind von der Belegungsbindung weiterhin befreit (hier: Wohnanlage am Kreuzberger Mehringplatz)
Foto: Christian Muhrbeck
Freigestellte Großsiedlungen
Kategorie I („problematische Gebiete“):
Mitte: Heinrich-Zille-Siedlung (1236 Sozialwohnungen), Wollankstraße (1259), Brunnenstraße (4236), Ackerstraße (2066); Friedrichshain-Kreuzberg: Wassertorplatz (2954), Mariannenplatz (1034), Neues Kreuzberger Zentrum (295), Mehringplatz (1343), Werner-Düttmann-Platz (741); Neukölln: Dammweg-Siedlung (1679), Sonnenallee (2157), Rollbergsiedlung (2091); Tempelhof-Schöneberg: Terrassen Schöneberg (563), Wohnen am Kleistpark/“Sozialpalast“ (514).
Kategorie II („Prophylaxegebiete“):
Mitte: Schillerhöhe (589); Charlottenburg-Wilmersdorf: Paul-Hertz-Siedlung (841); Reinickendorf: Märkisches Viertel (4819), Auguste-Viktoria-Allee (1631); Neukölln: Ortolanweg/Britz-Süd (1489); Tempelhof-Schöneberg: Tirschenreuther Ring (5150), Bülowstraße (2322); Spandau: Falkenhagener Feld (4554), Heerstraße (6335).
Kategorie III („Gebiete mit ausgewogener Struktur“):
Neukölln: Gropiusstadt (12667).
js
11.07.2013