Wer sich einen neuen Schrank oder Teppich kauft, achtet vor allem auf den Preis und das Aussehen und denkt weniger daran, dass er sich mit den Einrichtungsgegenständen möglicherweise ein gefährliches Chemiegemisch in die Wohnung holt.
Krankmachende Schadstoffe in Einrichtungsgegenständen sind seit Jahrzehnten ein Thema. Zwar werden seit den 70er und 80er Jahren die gefährlichen Holzschutzmittelwirkstoffe DDT, Lindan und PCP in Deutschland nicht mehr eingesetzt und auch für die Verwendung des krebserregenden Stoffes Formaldehyd gibt es gesetzliche Grenzwerte. Doch zur Entwarnung sehen Experten dennoch keinen Anlass.
Vielmehr habe sich das Problem der Innenraumluftbelastung in den letzten Jahren eher noch verschärft, denn dank der neuen Energieeinsparverordnung werden Häuser zunehmend luftdicht gebaut und Altbauten entsprechend saniert. Dadurch verringert sich der notwendige Luftaustausch, die Innenraumluftbelastung steigt.
Zudem kommen viele Giftstoffe noch immer als Altlasten in Wohnungen vor – oft ohne Wissen der Bewohner. Zum anderen wurden die mittlerweile verbotenen Substanzen teilweise durch Stoffe ersetzt, von denen man noch gar nicht so genau weiß, welche langfristigen Auswirkungen sie auf den menschlichen Organismus haben. Ein Beispiel sind die Pyrethroide. Diese wirken wie Lindan als Nervengifte und sind heute in den meisten Holzschutzmitteln enthalten. Zunächst hielt man diese Substanzen für völlig unbedenklich. Mittlerweile weiß man, dass sie für den Menschen möglicherweise mit Gesundheitsrisiken verbunden sind. Pyrethroide sind fettlöslich und können sich in menschlichem Fettgewebe anreichern.
„Wir gehen von circa 140.000 Umweltchemikalien aus, die derzeit auf dem Markt sind. Bei einem Großteil davon ist die Wirkung auf den Menschen überhaupt nicht bekannt“, sagt Detlef Bock von der Deutschen Gesellschaft für Umwelt- und Humantoxikologie. Er kritisiert, dass der langfristige Effekt von Substanzen, die über Jahrzehnte aus Schrankwänden dünsten, kaum Beachtung findet.
Richtwerte statt Grenzwerte
Von wenigen Ausnahmen abgesehen gibt es bislang keine gesetzlichen Bestimmungen, welche Stoffe in welcher Konzentration in Innenräumen vorkommen dürfen. Das Umweltbundesamt legt lediglich Richtwerte fest. Der Grund ist, dass Wohnräume Teil der Privatsphäre sind, in die der Gesetzgeber möglichst wenig eingreifen möchte. Experten würden es aber begrüßen, wenn das Bundesumweltministerium Richtwerte für gefährliche Stoffe einführen würde. Hinzu kommt: „Die wenigen bestehenden Grenzwerte sind an Gesunden orientiert – für Kinder, Allergiker, Schwangere oder Ältere reichen sie nicht aus“, ist Peter Dirk von der Verbraucherzentrale Berlin überzeugt.
Selten hat man es in Innenräumen mit nur einem Schadstoff zu tun. „In einer Wohnung können sich bis zu 8000 verschiedene Chemikalien ansammeln, man muss daher immer die Gesamtbelastung betrachten, nicht nur eine einzelne Substanz“, sagt Detlef Bock.
Dauerbrenner Formaldehyd
Rund 90 Prozent der in Deutschland produzierten Möbel bestehen ganz oder überwiegend aus Holzwerkstoffplatten. Als Bindemittel werden dabei vorwiegend Formaldehydharze eingesetzt. Das stechend riechende Gas Formaldehyd kann über Jahrzehnte ausgasen und zu Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen und Atembeschwerden führen. Als langfristige Folgen drohen Asthma, Hautkrankheiten und sogar Krebs. Einen verbindlichen Grenzwert für Wohnräume gibt es noch immer nicht. Das ehemalige Bundesgesundheitsamt empfiehlt einen Richtwert von 0,1 ppm (parts per million). Die Weltgesundheitsorganisation hält bereits Konzentrationen von über 0,08 ppm für kritisch. Im Handel erhältliche Möbel und Holzwerkstoffe dürfen nicht mehr als 0,1 ppm Formaldehyd abgeben. Allerdings kann die Formaldehyd-Konzentration in einem Raum sehr schnell ansteigen, je mehr Spanplattenregale und Furnierholztische im entsprechenden Zimmer aufgestellt sind. Durch Bohrlöcher und offene Schnittkanten entweicht das gefährliche Gas. Daher sollten Möbel aus Spanplatten möglichst vollständig mit einem Schutzanstrich versiegelt sein.
Holzwerkstoffe mit dem Umweltzeichen „Blauer Engel“ dürfen nur 0,05 ppm Formaldehyd, also die Hälfte des gesetzlich festgelegten Wertes, emittieren. Auf der sicheren Seite ist man bei Massivholzmöbeln mit unbehandelter, geölter oder gewachster Oberfläche. Diese haben aber ihren Preis.
Seit einiger Zeit sind formaldehydfreie Spanplatten (FO- oder OSB-Platten) auf dem Markt. Als Bindemittel werden hier allerdings Isocyanate eingesetzt, die sehr giftig sind. Noch ist umstritten, ob sie aus den fertigen Platten entweichen können. Beim Zuschneiden ist jedoch größte Vorsicht geboten.
Auch in so manchem Teppichboden lauert Gefahr. Sie sind in der Regel mit zahlreichen Chemikalien behandelt. Bei Synthetikteppichböden werden oft Flammschutzmittel eingesetzt. Wollteppiche werden mit Mottenschutzmitteln wie Permethrin versehen. Die Ausstattung mit Insektenschutzmitteln ist beim Wollsiegel und beim Siegel der „Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden“ (GuT) sogar vorgeschrieben. Permethrin ist aber äußerst umstritten.
Allerdings: „Einen Wollteppich ohne Permethrin zu finden, ist schwierig“, sagt Frank Leupold. Mit seinem Unternehmen Oecolab bietet der Berliner baubiologische Messungen und Beratungen zum gesunden Bauen und Wohnen an. Menschen, die einen Teppich ohne Permethrin-Ausstattung kaufen wollen, empfiehlt er die Beratung in einem baubiologischen Fachhandel.
Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Krankheiten wie Asthma oder Krebs und Wohngiften ist meist nur schwer nachzuweisen. Typische Folgen von Wohnschadstoffen sind Kopfschmerzen, Schleimhautreizung, Schwindel, Konzentrationsstörungen oder ständige Müdigkeit. Wohngifte schwächen das Immunsystem. „Eine hohe Infektanfälligkeit könnte ein Indiz für eine starke Innenraumluftbelastung sein“, erklärt Detlef Bock. Allerdings reagiert jeder Mensch unterschiedlich empfindlich. Wenn bestimmte Beschwerden gehäuft nur in der Wohnung auftreten und nachlassen, sobald man diese längere Zeit verlässt, könnten Wohngifte dahinterstecken.
Gewissheit verschafft eine Analyse der Raumluft. Sie wird zum Beispiel von der Stiftung Warentest, von TÜV, Dekra und privaten Umweltlaboren angeboten. Der Berliner Mieterverein vermittelt Experten für Schadstoffanalysen (siehe unter Service auf Seite 34 dieser Ausgabe: „Sonstige Angebote“). Fachkundige Auskunft darüber, woran man seriöse Anbieter erkennen kann, erteilen zudem die Verbraucherzentrale sowie umweltmedizinische Beratungsstellen bei den Gesundheitsämtern. Im „Handbuch für Bioklima und Lufthygiene“, herausgegeben vom Umweltbundesamt, findet sich eine nach Postleitzahlen geordnete Liste von vertrauenswürdigen Anbietern. Das Buch kann in einschlägigen Bibliotheken ausgeliehen werden.
Expertisen sind teuer
Eine Untersuchung ist immer dann sinnvoll, wenn ein konkreter stoffbezogener Verdacht vorliegt – etwa wenn beispielsweise überprüft werden soll, ob ein Schrank Formaldehyd ausgast. Vor einer Analyse sollte man sich daher überlegen, welche Materialien oder Einrichtungsgegenstände als Belastungsquelle in Frage kommen, denn die Messung muss immer auf den Stoff ausgerichtet sein, der gesucht wird. Mit einer einzelnen Messung können nicht alle möglicherweise auftretenden Wohngifte erfasst werden.
Schadstoffanalysen sollte man Profis überlassen. Von eigenhändigen Untersuchungen, vor allem bei Schimmelpilzen, raten Experten eher ab. „Die Tests zum Selbermachen sind ein sehr grobes und ungenaues Verfahren“, sagt Frank Leupold: „Wenn der Test keine Belastung anzeigt, heißt das nicht unbedingt, dass auch wirklich nichts vorhanden ist.“
Eine Schadstoffanalyse ist nicht billig: Je nach Aufwand kann sie mehrere hundert Euro kosten. Verbraucherschützer Dirk Peters rät daher zu einer preisgünstigeren Lösung: „Bevor man eine kostspielige Analyse vornehmen lässt, sollte man das verdächtige Stück möglichst aus der Wohnung entfernen und sehen, ob die Beschwerden nachlassen.“
Generell sollte man sich beim Einkaufen auf seine Nase verlassen. Rieche es im Möbelladen nach Chemikalien, sei das schon mal kein gutes Zeichen. Gebe das neue Sofa auch nach drei bis vier Wochen und trotz intensiven Lüftens unangenehme Gerüche ab, sei das ein Mangel und damit ein Reklamationsgrund, der zur Rückgabe des Sofas berechtige.
Sina Tschacher
MieterMagazin 5/10
In Einrichtungsgegenständen steckt
viel Chemie mit unbekannter
Wirkung auf den Menschen
alle Fotos: Sabine Münch
Weitere Informationen:
Die Vergabekriterien des Blauen Engels
findet man unter:
www.blauer-engel.de
Der Ratgeber der Verbraucherzentralen „Gesund wohnen – Schadstoffe beseitigen“ kostet 9,80 Euro und kann bestellt werden unter
Tel. 0 29 62 – 90 86 47,
Fax: 0 29 62 – 90 86 49
oder im Internet unter
www.vzbv.de (Ratgeber Shop)
Rat und Tat
Siegel geben Orientierung
In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Gütezeichen für Möbel und Teppiche. Für Verbraucher ist es mitunter schwer, dabei den Überblick zu behalten. Ein Siegel bedeutet nämlich nicht immer automatisch, dass ein Produkt völlig unbedenklich ist. So sagt beispielsweise das Woll-Siegel, das auf einigen Wollteppichen prangt, weder etwas über das Herstellungsverfahren noch über eventuelle Schadstoffbelastungen aus. Auch das bekannte Umweltzeichen „Blauer Engel“ bedeutet nur, dass das betreffende Produkt vergleichsweise emissionsarm, nicht aber völlig unbedenklich ist.
Wer sichergehen will, sollte sich über die Prüf- und Vergabekriterien der einzelnen Zeichen informieren.
Speziell für Möbel gibt es das Gütezeichen „Das Goldene M“. Derart gekennzeichnete Möbel erfüllen bestimmte Qualitätsstandards. Im Mittelpunkt stehen Haltbarkeit, Stabilität, Sicherheit und Verarbeitung. Untersucht wird aber auch die Gesundheitsverträglichkeit. So wird die Emission von Formaldehyd, Geruchsstoffen und Lösemittel gemessen und die Belastung mit Bioziden, gesundheitsgefährdenden Azofarbstoffen und Schwermetallen überprüft.
tsc
04.05.2023