Steigende Mieten sind in Neukölln in aller Munde. Droht eine Gentrifizierung, bei der ärmere Neuköllner von zahlungskräftigen Zuzüglern verdrängt werden? Eine Sozialstudie sendet eine vorsichtige Entwarnung, gibt aber auch keinen Anlass, die Hände in den Schoß zu legen.
Vor ein paar Jahren wurde Neukölln als der neue Szenebezirk ausgerufen. Seitdem wächst die Angst vor einer Gentrifizierung. Um die Diskussion zu versachlichen, beauftragte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Stadtforschungsbüro Topos, die Bevölkerungs- und Mietenentwicklung in Nord-Neukölln eingehend zu untersuchen.
„Es sind für Nord-Neukölln keine durchgreifenden Gentrifizierungstendenzen zu erwarten“, fasst Sigmar Gude von Topos die Ergebnisse seiner Studie zusammen. Diejenigen, die neu hinzuziehen, haben ein nur geringfügig höheres Einkommen als die Altmieter. „Wir haben es weniger mit dem Austausch einer armen Bevölkerung durch eine wohlhabende Gruppe zu tun, sondern um einen Konkurrenzkampf der ganz Armen mit den etwas weniger Armen um die günstigen Wohnungen“, sagt Gude. Ausnahme ist jedoch der Reuterkiez, Ausgangspunkt der „Kreuzkölln“-Szeneentwicklung: Hier ist tatsächlich ein Zuzug von zahlungskräftigen Mietern zu verzeichnen, wie er für eine Gentrifizierung typisch ist.
Doch auch ohne Gentrifizierungsbefund ist der Anstieg der Mieten problematisch. Während Mieter, die vor 2010 eingezogen sind, im Schnitt 5,01 Euro pro Quadratmeter nettokalt zahlen, müssen später Zugezogene schon 5,65 Euro hinblättern, im Reuterkiez sogar 6,40 Euro. Bei Neuvermietungen werden Preise verlangt, die deutlich über dem Mietspiegel liegen. Durch die hohe Umzugshäufigkeit wird die Preisspirale zusätzlich angetrieben. „Diese Durchlauferhitzerfunktion ist das, was uns zu schaffen macht“, hat Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky erkannt.
„Man muss auf mietrechtlicher Ebene etwas gegen die Explosion der Neuvermietungsmieten unternehmen“, fordert Willi Laumann von der Neuköllner Bezirksgruppe des Berliner Mietervereins. Der Senat hat dazu zwar eine Gesetzesinitiative im Bundesrat gestartet, doch dämpft er Erwartungen: „Wir werden damit keinen Erfolg haben“, sagt Staatssekretär Ephraim Gothe. Sein Rezept heißt Wohnungsneubau: „Das ist das wirksamste Mittel, um steigenden Mieten auch in Nord-Neukölln begegnen zu können.“
Jens Sethmann
MieterMagazin 5/12
In Nord-Neukölln konkurrieren die ganz Armen mit den weniger Armen
Foto: Sabine Münch
27.11.2016