Kann eine Millionenstadt klimaneutral sein? Berlin will es bis zum Jahr 2050 schaffen. Eine Machbarkeitsstudie bestätigt, dass dieses Ziel realistisch ist, und zeigt auf, was dafür unternommen werden muss. Vom Ergebnis profitieren Mensch und Umwelt.
Der Senat hat sich 2011 zum Ziel gesetzt, Berlin bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen. Dazu muss der Treibhausgas-Ausstoß drastisch reduziert werden: auf höchstens 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) pro Jahr. Gegenüber dem Basisjahr 1990 wäre das eine Absenkung um 85 Prozent. Damals betrug der CO2-Ausstoß noch 29,3 Millionen Tonnen. Durch das Wegsterben der Berliner Industrie und aufgrund von Umweltauflagen sind die Emissionen bis 2010 auf 21,3 Millionen Tonnen zurückgegangen. Damit hat Berlin immer noch einen großen CO2-Fußabdruck: Der Ausstoß ist etwa so groß wie der von ganz Kroatien. Um herauszufinden, wie Berlin klimaneutral werden kann, hat der Senat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt, die im März vorgestellt wurde.
Bei der Energieerzeugung muss Berlin möglichst schnell weg von Öl und Kohle. Der Einsatz von Erdgas sollte Schritt für Schritt auf erneuerbare Gase umgestellt werden. Berlins größtes Potenzial liegt in der Nutzung der Solarenergie. Für Fotovoltaik- und Solarthermie-Anlagen ist auf den Dächern noch so viel Platz, dass 300-mal mehr Sonnenenergie genutzt werden könnte als zurzeit. Berlin wäre so in der Lage, seinen Strombedarf selbst zu decken. Im Sommer könnte die Stadt sogar Solarstrom exportieren.
Das größte Handlungsfeld ist der Gebäudebestand. Für 47 Prozent des CO2-Ausstoßes sind die Gebäude und deren Beheizung verantwortlich. Die Quote der energetischen Sanierung – zurzeit etwa ein Prozent aller Häuser pro Jahr – müsste mindestens auf 1,5 Prozent erhöht werden. Der Neubau sollte möglichst im Passivhaus- oder Plusenergie-Standard geschehen. Der Wärmebedarf aller Gebäude könnte theoretisch um 78 Prozent gesenkt werden, wenn alles technisch Machbare umgesetzt wird.
Aber wer soll das bezahlen? Die Umlage der Modernisierungskosten lässt die Mieten in die Höhe schnellen. Es ist ein bekanntes Dilemma, dass in Berlin viele Mieter weder die energetische Sanierung noch höhere Energiekosten bezahlen können. Die Studie bringt dazu einen „Energieeffizienzfonds“ ins Spiel: In Dänemark und Großbritannien wird mit diesem Modell privates Kapital für Klimaschutzmaßnahmen mobilisiert. Eine neue Idee ist der „Mietkautionsfonds“: Die auf Sparkonten liegenden Kautionen – laut Studie rund 2,6 Milliarden Euro – könnte man zur Finanzierung von Klimaschutzprojekten im Sinne der Mieter nutzen. Ob das rechtlich machbar ist, muss allerdings noch geprüft werden. Auf jeden Fall könnte der Fonds nur mit neu gezahlten Mietkautionen aufgezogen werden. „Wir wollen beweisen, dass Klimaschutz und urbanes Leben gerade auch in der Mieterstadt Berlin miteinander vereinbar sind“, sagt Stadtentwicklungssenator Michael Müller, der in dieser Frage „neue Maßstäbe setzen“ will.
Die Machbarkeitsstudie widmet sich auch den Bereichen Wirtschaft, Verkehr und Konsum und schlägt jeweils Leitprojekte vor. Der klimaneutrale Umbau Berlins hätte auch positive Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft: Viel Geld, das sonst außerhalb investiert würde, bliebe in Berlin. „Wenn Berlin sich zum Umstieg entschließt – das zeigen unsere Zahlen überraschend klar – dann profitieren am Ende alle: die Umwelt und die Menschen in der Stadt“, sagt Fritz Reusswig vom PIK. „Klar ist aber auch, dass das eine große Anstrengung wird.“
Jens Sethmann
MieterMagazin 5/14
Auf den Dächern Berlins ist noch jede Menge Platz zum Produzieren von Strom
Foto: Stadt & Land
Die Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ im Internet:
www.stadtentwicklung.
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klimaneutrales_berlin/
10.05.2017