Der Volksentscheid zur Zukunft des Tempelhofer Feldes am 25. Mai läuft auf eine klare Konfrontation hinaus. Dem Volksbegehren, das Feld zu 100 Prozent freizuhalten, setzt der Senat seinen Masterplan mit einer Randbebauung entgegen. Auf politischer Ebene ist ein Kompromiss gescheitert. Die Oppositionsparteien stellen sich nun hinter die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ und gegen den Gesetzentwurf des Senats. Der Berliner Mieterverein empfiehlt, beide Gesetzesentwürfe abzulehnen.
Am 25. Mai sind die Berliner nicht nur zur Wahl des Europa-Parlaments aufgerufen. Gleichzeitig wird über das Tempelhofer Feld entschieden. Zur Abstimmung steht zum einen der Gesetzentwurf der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“, mit dem das 294 Hektar große ehemalige Flughafengelände von einer Bebauung freigehalten werden soll, zum anderen das „Gesetz zum Erhalt der Freifläche des Tempelhofer Feldes“, mit dem der Senat im Wesentlichen die 230 Hektar große zentrale Freifläche garantiert, die Ränder aber zur Bebauung freigibt. Der Masterplan der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sieht unter anderem den Bau von 4700 Wohnungen und 425.000 Quadratmetern Gewerbefläche vor. Unter dem Titel „100 Prozent Berlin statt 100 Prozent Stillstand!“ werben SPD und CDU um Zustimmung. Sie setzen dabei auf Slogans, in denen immer „100 Prozent“ vorkommt – was bei flüchtiger Betrachtung für Verwirrung sorgen kann, denn dieser Terminus ist auch prägend für den Wahlspruch der Bebauungsgegner.
„Besser nichts als das Falsche“
Die Tempelhofer-Feld-Frage ist zum Politikum geworden. Die drei Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten halten zwar den Masterplan des Senats für schlecht, sind aber auch nicht prinzipiell gegen jegliche Bebauung auf dem ehemaligen Flugfeld. Nachdem die 100-Prozent-Initiative mit 185.000 Unterschriften den Volksentscheid erzwungen hatte, setzten sich die fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zusammen, um eine gemeinsame Position zu finden, die den Bau dringend benötigter Wohnungen ermöglicht und gleichzeitig die Bedürfnisse der Anwohner und Parknutzer in der weiteren Planung stärker berücksichtigt. Ein Kompromiss ist allerdings nicht zustande gekommen. Die Opposition wirft der rot-schwarzen Regierungskoalition Unbeweglichkeit vor. Sie würde einen „Blanko-Scheck für ihren Masterplan“ verlangen, heißt es beim Landesvorstand der Grünen. „Offensichtlich wollten SPD und CDU von Anfang an lediglich ihr Vorgehen durchdrücken und es mit dem Etikett der Überparteilichkeit schmücken“, kritisiert Oliver Höfinghoff, Vorsitzender der Piratenfraktion. Seine Partei rief als erste zur Unterstützung des Volksbegehrens auf. „Durch die sture Haltung der Koalition bleibt leider nichts anderes übrig, als ein Moratorium der Planungen und Bauvorhaben am Tempelhofer Feld per Volksentscheid zu erzwingen“, erklärt Höfinghoff.
Der Landesparteitag der Grünen hat sich ebenso mit großer Mehrheit auf die Seite des Volksbegehrens gestellt: „Es ist besser, wenn auf dem Feld erst einmal nichts gebaut wird als das Falsche“, heißt es in dem Beschluss. Die Grünen wollen sich im Falle eines Erfolgs nach dem 25. Mai weiter um einen dritten Weg bemühen: „Das Tempelhofer Feld braucht einen Neustart – der Volksentscheid kann dafür ein Anfang sein.“
Auch die Linke unterstützt „in Notwehr“, so Fraktionschef Udo Wolf, den 100-Prozent-Gesetzentwurf: „Nur dieser gewährleistet, dass das Tempelhofer Feld vollständig in öffentlicher Hand bleibt“, argumentiert der Landesvorstand. Damit bliebe auch die Möglichkeit offen, in der Zukunft nochmals neu über eine behutsame und soziale Entwicklung des Geländes zu entscheiden. „Ist dagegen der Masterplan des Senats erstmal beschlossen und in Beton gegossen, hat sich diese Perspektive erledigt.“
Gesetzliche Absicherung statt mündliche Zusicherung
Der Berliner Mieterverein (BMV) hat zwar einen ähnlichen Standpunkt wie die Oppositionsparteien, kommt aber zu einer anderen Schlussfolgerung: „Wir treten für ein zweifaches Nein ein“, sagt Geschäftsführer Reiner Wild. Das heißt: Der BMV empfiehlt, sowohl das Anliegen der Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ als auch den Gesetzentwurf des Senats abzulehnen. „Da wir einen Wohnungsbau auf dem Tempelhofer Feld für sinnvoll halten, können wir der 100-Prozent-Initiative nicht zustimmen“, erklärt Wild. „Wir halten aber auch die bisherige Planung des Senats für keine befriedigende Lösung.“ Der Schwerpunkt sollte auf einer sozialen Wohnraumversorgung liegen. Der Mieterverein fordert, dass zwei Drittel der Wohnungen für Mieter mit Wohnberechtigungsschein bezahlbar sein müssen. Die Hälfte davon sollte auch für Bezieher von Transfereinkommen zur Verfügung stehen. Die Zusicherung des Senats, dass die Hälfte der 1700 Neubauwohnungen im Quartier am Tempelhofer Damm zu Nettokaltmieten zwischen 6 und 8 Euro pro Quadratmeter angeboten werden, reiche nicht aus. „Das ist im Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses (SPD/CDU) nicht abgesichert“, bemängelt der BMV-Geschäftsführer. Unerlässlich sind für den Mieterverein auch Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten, die über das ohnehin im Bebauungsplanverfahren vorgeschriebene Maß hinausgehen müssten. „Entscheidend ist dabei, dass der Bürgerwille auch ernst genommen wird“, mahnt Wild.
Wenn beide zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfe abgelehnt werden, könnte auf dem Tempelhofer Feld grundsätzlich gebaut werden – die Entscheidung wäre aber ein klares Signal an den Senat, dass der Masterplan korrigiert werden muss. Eine Zustimmung zur völligen Freihaltung des Feldes, wie sie die Oppositionsparteien befürworten, wäre zwar ein deutlicheres politisches Zeichen gegen den Senat, ist aber auch widersprüchlich: Wenn man im Falle eines Sieges des Volksbegehrens von Neuem mit dem Senat über die Entwicklung des Tempelhofer Feldes – einschließlich einer möglichen Teilbebauung – reden will, missachtet man den Sinn des zuvor unterstützten Volksbegehrens. Dieses will das Feld ja nicht nur für eine Übergangszeit, sondern auf Dauer freihalten.
Ein Schlaglicht auf die Bürgerbeteiligung des Senats wirft ein sogenanntes Bürgergutachten. 69 zufällig ausgewählte Berliner diskutierten im November 2013 zwei Tage lang in „Planungszellen“ über die Gestaltung des geplanten Quartiers. Dabei ging es aber nur um das „Wie“ der Bebauung. „Die Grundsatzfrage, ob gebaut werden soll oder nicht, wurde nicht gestellt“, sagt Angela Jain, die das Verfahren geleitet hat. Der vorgegebene Rahmen war so eng, dass sich der Eindruck aufdrängt, die Senatsverwaltung wollte sich ihre Planungen lediglich durch die Bürger bestätigen lassen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 5/14
Ob gebaut wird oder nur geschaut wird – das entscheiden die Berliner am 25. Mai
Fotos: Sabine Münch
Mit seiner halbherzigen Bürgerbeteiligung hat sich Stadtentwicklungs-
senator Müller in sämtlichen Lagern Kritik eingefangen
Foto: Jens Sethmann
Positionen zum Nachlesen
„100 Prozent Tempelhofer Feld“:
www.thf100.de
Stellungnahme und Gesetzentwurf der Abgeordnetenhausmehrheit:
www.parlament-berlin.de
(unter Dokumente – Drucksachen) Drucksache 17/1541
Zum Thema
25. Mai: Abstimmung mit mehreren Optionen
Am 25. Mai stehen zwei Gesetzentwürfe separat zur Abstimmung: der Entwurf des Volksbegehrens „100 Prozent Tempelhofer Feld“ und der Entwurf der Abgeordnetenhaus-Mehrheit. Deren Wortlaut wird den Wahlberechtigten mit der Abstimmungsbenachrichtigung per Post zugestellt. Bei der Abstimmung gibt es kein Entweder-Oder. Man kann auch beide Gesetzentwürfe ablehnen oder beiden zustimmen. Ein Gesetzentwurf, der die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommt und mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten hinter sich bringt, wird automatisch Gesetz. Wenn beide Entwürfe angenommen werden, hat der gewonnen, der mehr Stimmen bekommen hat. Sollte der Entscheid zugunsten von „100 Prozent Tempelhofer Feld“ ausgehen, könnte der Senat mit seiner Mehrheit im Abgeordnetenhaus theoretisch sofort ein Gesetz beschließen, das die Wirkung des Volksgesetzes wieder aufhebt. Eine solche Missachtung des Volkswillens wäre allerdings extrem schlechter politischer Stil. In der laufenden Legislaturperiode wird wohl kein Politiker, der wiedergewählt werden möchte, das Ergebnis eines Volksentscheids antasten.
js
Rat und Tat
Transparenz durch Einsicht in die Akten
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) fordert mehr Transparenz für die Planung auf dem Tempelhofer Feld. Zurzeit stellt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Bebauungspläne für die Quartiere am Tempelhofer Damm und am Südring auf. Der Umweltverband ersucht Senator Müller nun, die Planungsakten und Kostenschätzungen zu veröffentlichen, damit sich die Bürger ein Bild davon machen können, wie die vorliegenden Pläne zustande gekommen sind. Der Senat hat zwar viele Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, es ist aber nicht nachvollziehbar, wie die vielfach geäußerte Kritik in der Planung aufgegriffen wurde, so der BUND. Die Bürger können die Forderung unterstützen, indem sie selbst Akteneinsicht beantragen.
js
Musterantrag auf Akteneinsicht:
www.bund-berlin.de
21.05.2014