Das Ende des Zweiten Weltkriegs jährt sich im Mai zum 70. Mal. Von den verheerenden Zerstörungen ist in Berlin auf den ersten Blick kaum noch etwas zu sehen. Die Trümmergrundstücke sind längst neu bebaut, Einschusslöcher in den Fassaden wurden beseitigt. Bei genauerem Hinsehen lassen sich aber auch nach sieben Jahrzehnten noch Kriegsspuren entdecken.
„Schutzraum für Personen“ – solche Inschriften sind zuweilen noch an Berliner Kellereingängen zu finden. Meist wurde dabei die Zahl der Hausbewohner dazugeschrieben, die im Keller Sicherheit vor den Bombenangriffen finden sollten. Da nur ein Bruchteil der geplanten 2000 öffentlichen Schutzräume bis Kriegsbeginn gebaut waren – die Großbunker boten nur 65.000 Menschen Schutz –, mussten die Keller der Wohnhäuser zu diesem Zweck hergerichtet werden. Der im April 1933 gegründete Reichsluftschutzbund gab Richtlinien zum Bau von Schutzräumen heraus, die Grundlage für das 1935 beschlossene Luftschutzgesetz waren.
Kriegsvorbereitung am Haus
Nach 1937 mussten bei größeren Umbauten in bestehenden Gebäuden „gas-, trümmer- und splittersichere Luftschutzräume in behelfsmäßiger Ausführung“ geschaffen werden. Am 17. August 1939, wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen, erließ Luftfahrtminister Hermann Göring eine Verordnung, die Hauseigentümer dazu verpflichtete, in allen Gebäuden „behelfsmäßige Luftschutzmaßnahmen durchzuführen“. So sollten die Kellerdecken verstärkt und zusätzlich abgestützt sowie dichte Stahltüren als Gasschleuse eingebaut werden. Sehr häufig entfernte man bei Kellerfenstern die Gitter und baute stattdessen von innen zu öffnende Metallklappen ein. Auf diese Weise hatten die Insassen einen Notausstieg. Der war meist sehr eng und für gebrechliche oder auch nur füllige Personen kaum geeignet. Wo der Notausstieg eines tief liegenden Kellers direkt auf den Bürgersteig führte, wurden die Öffnungen mit Gittern abgedeckt. Solche Metallroste mit der Aufschrift „Mannesmann Luftschutz“ waren weit verbreitet und sind auch heute noch zu finden.
In geschlossen bebauten Stadtteilen war es ab 1941 Pflicht, Mauerdurchbrüche zum Keller des Nachbarhauses vorzubereiten. In die dicken Brandwände wurden dazu Durchlässe eingebrochen, die mit einer Lage Ziegelsteinen wieder verschlossen wurden. Im Notfall konnten dann Eingeschlossene mit einer Spitzhacke oder einer Brechstange die Wand durchschlagen und in den Keller des Nachbarhauses entkommen. Als im Laufe des Krieges die Bombenangriffe zahlreicher wurden und vor allem die Sprengkraft der Bomben zunahm, erwiesen sich die Keller trotz der Schutzmaßnahmen als unsicher. Bei einem Volltreffer waren die Überlebenschancen gering.
Eine fürwahr dunkle Zeit
Weiße Pfeile an Hauswänden wiesen auf Luftschutzkeller hin. Manchmal waren sie auch mit LSR („Luftschutzraum“) beschriftet. Die Pfeile sollten weniger die Passanten bei Fliegeralarm auf Schutzmöglichkeiten hinweisen, sondern vor allem den Rettungskräften zeigen, wo sie nach Bombentreffern nach Verschütteten oder Eingeschlossenen suchen mussten. Die Hinweise wurden deshalb teilweise mit phosphoreszierender Farbe an die Wände gemalt, denn bei nächtlichem Fliegeralarm wurde die ganze Stadt verdunkelt: Nicht nur aus den Häusern durfte kein Licht nach außen dringen, auch die Straßenbeleuchtung wurde abgeschaltet, und die Scheinwerfer der Rettungsfahrzeuge waren mit Blenden verhängt, damit nur der allernötigste Lichtschein auf die Straße fiel. Ab 1943 galt in Berlin täglich mit Einbruch der Dämmerung eine generelle Verdunklungspflicht.
An Häuserecken findet man ungefähr auf Schulterhöhe zuweilen noch weiße, etwa 30 Zentimeter hohe Streifen. Auch sie bezeichneten Luftschutzräume, die unter dem Gebäude bis an die markierte Ecke heranreichten.
Für die Markierungen gab es eine Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz. Die Gebäudeeigentümer wurden ab 1944 verpflichtet, die Luftschutzräume zu kennzeichnen. Der Erlass verlangte, dass die Luftschutzpfeile „etwa in Höhe des 1. Obergeschosses beginnend“ senkrecht nach unten auf den Keller zeigen.
In Berlin wurde das – anders als in anderen Städten – offenbar nicht so streng gesehen. Hier gab es auch waagerechte Pfeile, oft ergänzt mit Zahlen, deren Bedeutung sich kaum noch klären lässt.
Neben den Luftschutzpfeilen lassen sich an Fassaden weitere Zeichen entdecken. Ein weißes H ist ein Hinweis auf einen Hydranten, der sich an dieser Stelle vor dem Gebäude befindet. Löschkräfte konnten so im Dunkeln schnell die Stellen zum Anschluss der Schläuche finden.
Etwas häufiger findet man noch drei kurze senkrechte Streifen: Sie bezeichnen Wasserentnahmestellen. Das sind in der Regel Gullyeinläufe. Für den Fall, dass das Wasserleitungsnetz beschädigt worden war und deshalb kein Wasserdruck auf den Hydranten lag, konnte man so wenigstens versuchen, aus dem Abwasserkanal Löschwasser anzusaugen.
Die Luftschutzpfeile sind heute fast nur noch an Klinker- und Natursteinfassaden zu entdecken. Die üblichen Putzfassaden der Berliner Altbauten sind im Laufe der Jahrzehnte meist schon erneuert und mehrfach überstrichen. Auch an den Backsteinfassaden sind die Zeichen häufig von Graffiti übertüncht, von der Witterung abgewaschen oder schon zur Unkenntlichkeit verblasst. Bei Sanierungen werden die Markierungen oft auch per Sandstrahlverfahren beseitigt. Doch wer die Zeichen kennt und mit offenen Augen durch die Stadt geht, kann zuweilen noch Spuren aus einer dunklen Zeit entdecken.
Jens Sethmann
Der Bombenkrieg
Als die Nationalsozialisten 1935 das Luftschutzgesetz erließen, hatte es noch keine größeren Luftangriffe auf Städte gegeben. Die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica 1937 im spanischen Bürgerkrieg durch die deutsche „Legion Condor“ gilt als erster Luftangriff auf Zivilisten ohne militärisches Ziel. Die ersten Angriffe auf deutsche Städte fanden ab August 1940 statt, nachdem die deutsche Luftwaffe Warschau, Rotterdam und London bombardiert hatte. Auf Berlin flogen die Alliierten 363 Luftangriffe, bei denen sie schätzungsweise 45.000 Tonnen Bomben abwarfen. Die schwersten Angriffe begannen im Herbst 1943, als Berlin erstmals auch tagsüber bombardiert wurde. 1945 waren rund 500.000 Wohnungen, 31,8 Prozent des Wohnungsbestandes, zerstört.
js
03.05.2015