Räume können Zuflucht sein, uns deprimieren oder auch anregen, sie können krank machen oder aber helfen, wieder gesund zu werden. Mit Helligkeit, Farben, Geräuschen, Gerüchen und ihrer Gliederung nehmen sie Einfluss auf unser seelisches Empfinden. Untersucht wird das bisher vor allem beim Bau von Gesundheitseinrichtungen. Aber von den Erkenntnissen könnten letztlich alle profitieren.
Ein Gang durch ein altes Berliner Mietshaus: Vom dunklen, bedrückend niedrigen Keller geht es hinauf in einen der Seitenflügel. Hier sind Küche und Bad meist beengt, die Flure oft lang und schmal. Das große Zimmer mit dem Berliner Fenster in einer Ecke wirkt dagegen wie eine Höhle: geräumig, aber immer irgendwie dunkel. Und dann schließlich das Vorderhaus mit seinen weiten Räumen, den Flügeltüren, dem Stuck an der Decke und dem hellen Licht, das durch hohe Fenster fällt.
„Räume können bedrücken und deprimieren, den Menschen ihre Selbstachtung und Würde nehmen, uns aber auch aufwerten, in Hochstimmung versetzen und zu Kreativität anregen“, sagt Bernhard Haslinger, Psychiater und Psychotherapeut an der Berliner Charité. Dort stand im letzten Jahr das Thema „Raum und Psyche“ im Mittelpunkt eines Symposiums. Wie weit der Rahmen zu spannen ist, zeigt das Spektrum der Referenten: Mediziner, Historiker, Ökonomen, Architekten, der Philosoph Peter Sloterdijk – aber auch Tänzer der Compagnie Sasha Waltz & Guests.
Gebauter Raum wirke eben in vielfältigen Dimensionen auf Menschen; visuell, akustisch, aber auch ganz körperlich und als sozialer Raum, vermerkte die Architektin Christine Nickl-Weller, Professorin am Institut für Architektur der TU Berlin. Ihr Fachgebiet: das Entwerfen von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens. Der Einfluss von Architektur auf unsere Stimmungen, Gefühle und damit auf unsere seelische Gesundheit, so Nickl-Weller, sei bisher vor allem bei Gesundheitsbauten untersucht worden – aus ganz praktischen Gründen, nämlich um herauszufinden, was Heilungsprozesse unterstützt, wie medizinisches Personal motiviert werden kann, wie Stress abgebaut wird und wie die Kommunikation zwischen Medizinern und ihren Patienten am besten funktioniert.
Wie sollten beispielsweise Stationen in Kliniken räumlich gegliedert, mit welchen Farben sollten sie gestrichen und mit welchen Möbeln ausgestattet sein?
Kreativität muss sich ausleben können
Dabei wurde vieles deutlich: Tageslicht hilft, Depressionen zu vermeiden, auch der Zugang zur Natur, etwa zu einem Garten oder wenigstens einer kleinen Grünanlage. Die Möglichkeit, sein räumliches Umfeld selbstständig zu überblicken und zu kontrollieren, erleichtert nicht nur die Orientierung, sondern schafft Geborgenheit, Ruhe und gibt vor allem Sicherheit. Eine hochwertige Ausstattung vermittelt auch jenen, die in den Räumen leben oder arbeiten, ein Gefühl von Wertschätzung. Freundliche Farben, Helligkeit und Übersichtlichkeit sorgen für ein angenehmes „Raumklima“. Lärm wird hingegen als Stressfaktor wahrgenommen, die Monotonie immer gleicher Flure, langweiliger Erdgeschosse als kalt und unangenehm empfunden. Niedrige Decken bei großen Räumen wirken beengend, bedrohlich. Zu hohe, weite Räume vermitteln Verlorenheit und fehlenden Schutz.
Von einer durchdachten Architektur, die Erkenntnisse der Raumwahrnehmung einbezieht – darin stimmen Mediziner und die Architekten überein – können letztlich alle profitieren. „Flächen, auf denen sich Kreativität entwickeln und ausleben kann“, so der Psychiater Bernhard Haslinger von der Charité, „machen den Charme des Individuellen aus – und sind ganz einfach notwendig, um seelisch gesund zu bleiben.“
Rosemarie Mieder
Im Fokus der Forschungen
Dass sich die Umgebung heilend auf den Genesungsprozess auswirken kann, ist anerkannt. In Deutschland gibt es dazu vereinzelte Forschungsaktivitäten. Mit dem Vorhaben „Healing Architecture“ soll es unter anderem gelingen, ein interdisziplinäres Netzwerk aus Neurowissenschaftlern, Psychobiologen, Neurobiologen, Kognitionswissenschaftlern sowie Ingenieuren und Architekten zu schaffen, das solche Aktivitäten bündelt, Wissen auswertet und umsetzt. Das Symposium an der Berliner Charité war ein Baustein dazu. Die Vorträge, die dort gehalten wurden – unter anderem von Bernhard Haslinger, Christine Nickl-Weller und auch von dem Philosophen Peter Sloterdijk – erschien im März in dem Buch „Raum und Psyche – ein transdiszilinärer Dialog zu Freiräumen in der Psychiatrie“ (zu bestellen bei: www.psychosozial-verlag.de).
rm
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