Unzählige Menschen sind als Folge der Corona-Pandemie in eine finanzielle Notlage gerutscht. Viele wissen nicht mehr, wie sie das Geld für die Miete aufbringen sollen – und das in einer Zeit, in der alle mehr denn je auf die Wohnung zurückgeworfen sind. Wie dramatisch die Situation ist, zeigt der in Rekordgeschwindigkeit beschlossene Rettungsschirm der Bundesregierung, der auch einen verbesserten Kündigungsschutz für Mieter beinhaltet. Doch das reicht nicht aus. Der Berliner Mieterverein wie auch der Deutsche Mieterbund und Vermieterverbände fordern zusätzliche finanzielle Hilfen. Nicht mehr die Miete zahlen zu können, ist derzeit sicherlich die größte Sorge vieler Menschen. Aber es stellen sich auch eine ganze Reihe mietrechtlicher Fragen, etwa: Muss ich den Heizungsableser in der Zeit der Pandemie in die Wohnung hereinlassen? Oder: Muss ich wirklich die Bauarbeiten ertragen, wenn ich den ganzen Tag zu Hause bin?
Nachdem ab Mitte März zahlreiche Menschen Kurzarbeit antreten mussten, manche sogar ihre gesamte berufliche Existenzgrundlage verloren, mehrten sich die Stimmen, die rasche Hilfen einforderten. Nicht nur Unternehmer müssten unterstützt werden, auch Mietern sollte schnelle und solidarische Unterstützung zukommen, so der Deutsche Mieterbund (DMB). Freiberufler, Kleingewerbetreibende, Künstler und Menschen, die von Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust betroffen sind, müssten ansonsten befürchten, ihre Wohnung zu verlieren. „Zahlungsverzug darf in dieser Situation nicht zu Wohnungsverlust führen“, erklärte der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Der Berliner Mieterverein (BMV) verschaffte seinen Forderungen auch auf Landesebene Gehör und forderte die Aussetzung der Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzugs sowohl für Wohnungs- als auch für Gewerbemieter. Auch die Wohnungswirtschaft sei in der Pflicht: „Wir appellieren an die Vermieter, großzügige Stundungen zu gewähren und auch den Verzicht zu prüfen, insoweit die ordnungsgemäße Bewirtschaftung nicht gefährdet ist“, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
BMV-Info 105: Corona-Pandemie und Mietrecht
Keine Kündigung wegen Zahlungsverzugs
Doch dann ging alles so schnell, dass selbst die sofort geklebten Plakate linker Initiativen mit der Parole „Stoppt Zwangsräumungen in der Corona-Krise“ überholt waren. Am 27. März verabschiedete der Bundesrat ein Rettungspaket, das der Bundestag nur wenige Tage zuvor beschlossen hatte. Als wichtigste Regelung für Mieter wurde ein dreimonatiger Kündigungsausschluss bei Mietrückständen eingeführt. Seit 1. April gilt: Mietern, die wegen der Auswirkungen von Covid-19 im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 ihre Miete ganz oder teilweise nicht zahlen können, darf nicht wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden. Dieser Zeitraum kann durch Rechtsverordnung der Bundesregierung weiter verlängert werden. Der Kündigungsausschluss gilt auch für Gewerbemieter. Allerdings darf in dem Fall gekündigt werden, dass der Mietrückstand bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgelaufen ist. Im Übrigen müssen die Mietschulden nachgezahlt werden. Dazu hat man bis zum 30. Juni 2022 Zeit. Geschieht dies nicht, kann ab 1. Juli 2022 die Kündigung wegen Zahlungsverzugs ausgesprochen werden. Kündigungen aus anderen Gründen, etwa Eigenbedarf, sind weiterhin möglich. Im Streitfall muss man gegenüber dem Vermieter belegen können, dass man wegen der Corona-Krise in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Das kann beispielsweise ein Nachweis über die Beantragung staatlicher Zuschüsse oder eine Bescheinigung des Arbeitgebers sein. Mieter von Gewerbeimmobilien können dies dadurch glaubhaft machen, dass der Betrieb durch behördliche Anordnung untersagt oder erheblich eingeschränkt worden ist. Eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Beschneidung der Kündigungsmöglichkeiten für Vermieter wurde bereits abgewiesen (BVerfG vom 1. April 2020 – 1 BvR 714/20).
Das neue Mieterschutzgesetz sei wichtig und der erste Schritt in die richtige Richtung, lobte DMB-Präsident Lukas Siebenkotten: „Mieterinnen und Mieter haben nun die Gewissheit, dass sie in der aktuellen Krise nicht auch noch ihre Wohnung oder ihre für den Lebensunterhalt benötigten Gewerberäume verlieren.“ Auch der Berliner Mieterverein begrüßte das schnelle Handeln der Bundesregierung, sieht aber genauso wie der DMB dringenden Nachbesserungsbedarf. „Das Hauptproblem ist, dass die Miete nur gestundet wird“, sagt Reiner Wild. Mit dem entstehenden Schuldenberg würden die Mieter dann alleine gelassen. Gerade bei Haushalten mit niedrigem Einkommen sei davon auszugehen, dass sie die aufgelaufenen Schulden nicht bis zum 30. Juni 2022 abtragen können. Gar nicht nachvollziehbar sei zudem, dass sogar noch Verzugszinsen von voraussichtlich 4 bis 6 Prozent zulässig sein sollen.
Verbände fordern einen „Sicher-Wohnen-Fonds“
Auf der anderen Seite gerät aber auch der ein oder andere kleine Vermieter in wirtschaftliche Bedrängnis, wenn plötzlich monatelang die Zahlungen seiner Mieter nicht mehr fließen. Gemeinsam mit dem Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) macht sich der BMV daher für einen „Sicher-Wohnen-Fonds“ stark. Bund und Land müssten dafür finanzielle Hilfen zur Verfügung stellen. Aus einem solchen Solidarfonds könnten Mieter Hilfen beantragen, wenn Wohngeld oder Hartz IV nicht ausreichen sollten, um die Mietkosten zu stemmen.
Auf Bundesebene forciert der Deutsche Mieterbund (DMB) zusammen mit dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) die Einrichtung eines solchen Fonds. „Genauso schnell, wie die Bundesregierung für die Krisenzeit das Mietrecht angepasst hat, muss sie nun auch den ‚Sicher-Wohnen-Fonds‘ auf den Weg bringen – mit einem Mietenmoratorium alleine ist am Ende keinem geholfen“, erklärte GdW-Präsident Axel Gedaschko. Schließlich müsse sichergestellt werden, dass die Wohnungswirtschaft trotz Mietausfällen auch weiterhin ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann.
Der Fonds soll schnell und unbürokratisch helfen. Mieter müssen darlegen, dass sie ihre Miete ganz oder teilweise nicht zahlen können. Der Vermieter wiederum muss deutlich machen, dass er auf diese Miete aus Gründen der Existenzsicherung angewiesen ist oder bei Nichtzahlung in eine erhebliche finanzielle Schieflage geraten würde. Mitnahmeeffekte, wie man sie beispielsweise bei dem Sportartikelhersteller Adidas erlebt hat, sollen unbedingt vermieden werden. Der Branchenriese hatte bekanntlich angekündigt, die Miete für seine geschlossenen Läden nicht mehr zu zahlen. Erst nach einem öffentlichen Aufschrei lenkte er ein.
DMB und GdW schlagen vor, dass die bereitgestellten Gelder als Sofortzahlung an die Vermieter gehen sollen. Das zunächst zinslose Darlehen kann im Nachhinein in einen Zuschuss umgewandelt werden, wenn Mieter ihre Mietschulden nicht bezahlen können. Aus Sicht des Berliner Mietervereins müssen zwei Dinge sichergestellt sein. Zum einen, dass wirklich nur bedürftige Mieter und Vermieter zum Zuge kommen. Entsprechende Nachweise müssten vorgelegt werden. Zum anderen, so BMV-Geschäftsführer Wild, sei nicht jede Miethöhe akzeptabel: „Akelius-Mieten von 24 Euro pro Quadratmeter wollen wir nicht finanzieren.“ Es sei nicht einzusehen, dass der Steuerzahler 100 Prozent der Mietforderungen der Wohnungsunternehmen übernehme. Hier müssten die Vermieter Verzicht leisten. Sollte der Bund mit der Einrichtung eines solchen Fonds nicht rasch vorankommen, müsste das Land in die Bresche springen, fordert Wild.
Kommunale Vermieter verzichten auf Mieterhöhungen
Der Berliner Senat hat bislang lediglich angekündigt, flankierend zum Bund eigene Hilfsangebote für Mieter und Vermieter bereitzustellen. Auf Initiative der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung sowie für Justiz wurde am 24. März ein Maßnahmepaket beschlossen. Dazu Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher: „In diesen Zeiten darf Solidarität keine leere Worthülse sein. Eventuell drohender Wohnungsverlust muss vermieden und denjenigen, die durch die Corona-Krise ihre Miete nicht mehr bezahlen können, geholfen werden.“ Konkret wies sie die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften an, derzeit auf Mieterhöhungen zu verzichten und bereits angekündigte zurückzunehmen. Bei Mietrückständen sollten „individuelle und kulante Lösungen“ mit den Mietern vereinbart werden. Zudem sollten keine Räumungstitel erwirkt und keine Räumungen vollstreckt werden. Gleiches gilt für Gewerberäume. Diese Maßnahmen gelten zunächst für einen Zeitraum von sechs Monaten.
Keine Wohnungsräumungen, keine Versorgungssperren
Zwangsräumungen sind in der derzeitigen Situation ohnehin weitgehend ausgesetzt. Die Berliner Amtsgerichte haben die Gerichtsvollzieher angehalten oder zumindest empfohlen, auf die Vollstreckung von Wohnungsräumungen und Strom- und Gassperren aktuell zu verzichten. „Wenn Menschen in dieser Krisenzeit in Obdachlosigkeit geraten würden oder bei Nachtfrost plötzlich ohne Heizung leben müssten, wäre das eine unzumutbare Härte“, so Justizsenator Dirk Behrendt. Der Energieversorger Gasag hat bereits von sich aus angekündigt, auf Zählersperrungen und Versorgungsunterbrechungen zu verzichten. Das Berliner Landgericht hat zudem entschieden, dass Räumungsfristen derzeit generell bis zum 30. Juni 2020 zu verlängern sind. In einem laufenden Verfahren wurde einem Mieter Recht gegeben, der aufgrund der Corona-Krise eine Verlängerung seiner zum 31. März 2020 auslaufenden Räumungsfrist erreichen wollte (LG Berlin vom 26. März 2020 – 67 S 16/20). Die Richter wiesen darauf hin, dass die Anmietung von Ersatzwohnraum derzeit wegen der Beschränkungen des öffentlichen Lebens so gut wie ausgeschlossen sei.
Die Wohnungswirtschaft ist unterdessen bemüht, Solidarität zu zeigen. So kündigte das börsennotierte Unternehmen Vonovia an, bis auf Weiteres auf Mieterhöhungen als Anpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete zu verzichten, was allerdings in Berlin wegen des Mietendeckels ohnehin nicht möglich wäre. Der zweite große Vermieter, die Deutsche Wohnen, hat sogar einen eigenen Corona-Hilfsfonds über 30 Millionen Euro aufgelegt. Die letzten Details seien noch in Abstimmung, so Dr. David Eberhart vom BBU. Vorgesehen sei, dass bei nachweislich durch Corona verursachten Zahlungsschwierigkeiten und dem Ausbleiben staatlicher Unterstützung die Miete von Wohnungs- und Gewerbemietern nicht nur gestundet, sondern „in begründeten Fällen“ auch auf Miete verzichtet wird. Der Hilfsfonds speist sich aus einem geplanten Dividendenverzicht der Aktionäre. „Nur“ noch 90 Cent je Aktie soll die Dividende betragen. Wenn man bedenkt, dass in den Vorjahren 87 Cent (2019) beziehungsweise 80 Cent (2018) ausgeschüttet wurden, dürfte der Verzicht der Aktionäre nicht allzu groß ausfallen. Deutlich wird, welch hohe Gewinne das Unternehmen einfährt.
Umfrage: Mieter sehen Wohnungsunternehmen in der Pflicht
Nach einer repräsentativen Umfrage sehen Deutschlands Mieter die Immobilienunternehmen in der Pflicht, einen gesellschaftlichen Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise zu leisten. Fast zwei Drittel der Befragten in der kürzlich vom Meinungsforschungsunternehmen Civey veröffentlichen Umfrage erwarten von ihrem Vermieter größere Kulanz bei Mietschulden. Gut die Hälfte findet, dass die Immobilien- und Wohnungskonzerne in der Krise insgesamt mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen.
Das Sozialschutz-Paket verkürzt Bewilligungsverfahren
Eines ist klar: Aufgrund der Corona-Krise werden viel mehr Menschen als bislang staatliche Leistungen benötigen. Künftig soll daher der Zugang zu Wohngeld und Hartz IV erleichtert werden. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung rechnet mit einer erhöhten Zahl von Wohngeldanträgen und hat kürzlich eine Verfahrensvereinfachung beschlossen. So hat man den Bezirken empfohlen, demnächst auslaufende Bewilligungen automatisch für sechs weitere Monate zu verlängern – ohne neuen Antrag. Auch der Bund hat Hinweise zu Verfahrenserleichterungen beim Wohngeld erlassen. Insbesondere soll auf die Plausibilitätsprüfung sowie auf die Prüfung von eigenen Unterhaltsansprüchen verzichtet werden. Zudem gibt es die Möglichkeit von Vorschusszahlungen.
Der Zugang zu Hartz-IV (ALG II) wurde ebenfalls erleichtert. Das neue „Gesetz für den erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Corona-Virus SARS-CoV-2“ („Sozialschutz-Paket“) sieht vor, dass für die Dauer von sechs Monaten keine Vermögensprüfung stattfindet. Außerdem werden die tatsächlichen Kosten für die Wohnung und Heizung für sechs Monate übernommen – die bisherige Angemessenheitsprüfung entfällt. Bereits bewilligte Leistungen, die bis zum 31. August 2020 erneut beantragt werden müssten, werden für zwölf Monate ohne erneute Prüfung weiterbewilligt. Die neuen Regelungen gelten für alle Anträge auf ALG II, die bis zum 30. Juni 2020 beim Jobcenter eingehen. Per Verordnung kann die Bundesregierung die Regelungen bis zum 31. Dezember 2020 verlängern.
Viele Fragen zu den Auswirkungen auf das Mietverhältnis
Die Corona-Krise hat aber auch Auswirkungen auf das Mietverhältnis. Beim Berliner Mieterverein melden sich derzeit viele Mitglieder, die zum Beispiel wissen wollen, ob ihnen der Vermieter plötzlich die Nutzung der Schaukel im Hof untersagen darf. Dazu ist er wegen der Ansteckungsgefahr und dem geltenden Infektionsschutzgesetz sogar verpflichtet. Auch Spielplätze in Wohnanlagen wurden seit Mitte März mit Flatterband abgesperrt. Im Gegenzug haben die Mieter aber ein Mietminderungsrecht – maximal 5 Prozent für einen nicht mehr zu benutzenden Spielplatz. Sind lediglich zwei Schaukeln vorhanden, wohl nur 2 Prozent. „Am häufigsten haben wir aber Fragen rund um Zahlungsschwierigkeiten“, berichtet Wibke Werner von der BMV-Geschäftsführung. Die Unsicherheit ist groß. „Kürzlich wollte jemand wissen, ob er wegen seines gesunkenen Einkommens die Miete mindern kann.“ Das geht natürlich nicht. Die Pflicht zur Mietzahlung besteht weiter, auch wenn man, wie bereits erläutert, bis mindestens Ende Juni 2020 nicht wegen Mietrückständen gekündigt werden kann. Einfach die Mietzahlung einzustellen ist trotzdem keine gute Idee, heißt es beim BMV: „Gehen Sie bei sich abzeichnenden Zahlungsschwierigkeiten so frühzeitig wie möglich auf Ihre Vermieter zu, um beispielsweise Ratenzahlungen zu vereinbaren“, rät Reiner Wild. Außerdem sollte man prüfen, ob man Anspruch auf Wohngeld oder Hartz IV hat.
Wohnungszutritt während Kontaktbeschränkungen?
„Viele Mieter wollen auch wissen, ob sie fremde Personen, etwa Heizungsableser oder Handwerker in die Wohnung lassen müssen“, sagt Wibke Werner. Grundsätzlich gilt: Alles was nicht dringend ist, sollte verschoben werden. Dabei ist das Eigentumsrecht des Vermieters und das Recht des Mieters auf körperliche Unversehrtheit gegeneinander abzuwägen. Konkret bedeutet das: Die Heizungsablesung oder die Anbringung von Rauchmeldern kann zurückgestellt werden. Auch die Legionellenprüfung kann ohne Weiteres noch zwei Monate später erfolgen. Mieter können in diesen Fällen den Zutritt verweigern. Schließlich geht es darum, die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Bei Rohrbrüchen oder anderen dringenden Reparaturen muss man dagegen den Zutritt gewähren, wobei die Monteure die Hygienevorschriften beachten müssen: also Abstand halten und Mundschutz tragen. Das sieht man auch beim Vermieterverband BBU so. „In vielen Häusern ist ohnehin bereits auf Fernablese umgestellt, da sehen wir kein großes Problem“, so Sprecher Dr. David Eberhart. Zudem kann man den Heizkostenverteiler auch selber ablesen und einen Zettel an die Wohnungstür hängen. Oder man macht ein Foto davon und mailt es an die Ablesefirma. Viele Firmen haben bereits von sich aus angekündigte Ablesetermine verschoben. Bei dem Messdienstleister Techem teilt man mit, man habe alle nicht-sicherheitsrelevanten Tätigkeiten in bewohnten Räumen bis auf Weiteres verschoben. Als dringlich erachtet man hier allerdings neben Legionellenprüfungen auch die Anbringung von Rauchwarnmeldern – obwohl die gesetzliche Frist erst zum Jahresende ausläuft. „Das können Mieter ablehnen, solange die Kontaktbeschränkungen gelten“, heißt es dazu beim Mieterverein.
Wohnungsbesichtigung durch Kaufinteressenten?
Umstritten ist die Frage, ob man Kaufinteressenten oder potenzielle Nachmieter in die Wohnung lassen muss. Eindeutige Antworten gibt es nicht – es handelt sich um juristisches Neuland. Dass der Makler Massen von Interessenten durch die Wohnung schleust, ist auf jeden Fall unzulässig. Beim BBU empfiehlt man seinen Mitgliedsunternehmen derzeit Einzelbesichtigungen unter Einhaltung der Hygienevorschriften. Beim BMV hält man es dagegen in den meisten Fällen für unzumutbar, Kaufinteressenten oder Wohnungsbewerber in die noch bewohnte Wohnung zu lassen. Allenfalls wenn Mieter nicht zu einer Risikogruppe zählen, sei eventuell der Besuch von Einzelpersonen zu dulden. Da es auf die Dringlichkeit im Einzelfall ankommt, empfiehlt sich eine Rechtsberatung. Das gilt aber nur, solange Kontaktbeschränkungen in Kraft sind. „Wenn diese nicht mehr bestehen, kann man den Zugang zur Wohnung nicht mehr wegen Corona verweigern“, erklärt BMV-Rechtsexperte Frank Maciejewski. Auch Hochbetagte, Schwerstkranke oder andere Risikogruppen müssen dann den Zutritt gewähren – obwohl das Virus in ein paar Monaten nicht verschwunden sein wird. Vielleicht kann in solchen Fällen ein Angehöriger anwesend sein. Oder man bittet den Vermieter um einen späteren Termin. Viele werden dafür Verständnis haben.
Viele Makler sind bereits dazu übergegangen, nur noch virtuelle Wohnungsbesichtigungen anzubieten. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft Degewo führt derzeit wegen des Infektionsrisikos keine Besichtigungen mehr durch. Man kann die Wohnungen anhand inserierter Fotos beziehungsweise virtueller Rundgänge anmieten. Auf das gesetzliche Widerrufsrecht nach Abschluss des Mietvertrags – das man ohne „richtige“ Besichtigung hat – wird ausdrücklich hingewiesen. Bei der Deutsche Wohnen kann man sich in einem der Vermietungsbüros den Schlüssel abholen – in einer verschlossenen, desinfizierten Verpackung.
Umzug unter Beachtung der Hygienevorschriften
Derzeit umzuziehen, ist aber noch aus anderen Gründen eine Herausforderung. Ein Umzug mit Hilfe des Freundeskreises ist untersagt. Lediglich eine einzelne haushaltsfremde Person – oder aber enge Familienmitglieder oder die eigene WG – darf beim Möbelschleppen helfen. Man muss also wohl oder übel ein professionelles Umzugsunternehmen beauftragen – das selbstverständlich die Hygienevorschriften befolgen muss. Das heißt aber auch: Ein Umzug ist möglich. Wer bereits seine Wohnung gekündigt hat, kann vom Vermieter keine Verschiebung des Termins verlangen.
Etwas völlig anderes gilt, wenn man an Covid-19 erkrankt ist und unter Quarantäne steht. In dieser Situation kann der Vermieter nicht verlangen, dass man zum vereinbarten Kündigungstermin die Wohnung räumt. Die Miete für die neue Wohnung beginnt aber wie vertraglich festgelegt, auch wenn man wegen der Quarantäne nicht umziehen kann. Und was ist, wenn es dem Vermieter nicht möglich ist, den Schlüssel für die neue Wohnung auszuhändigen? Dazu Frank Maciejewski: „Dann muss man erst ab dem Zeitpunkt die Miete zahlen, an dem man tatsächlich einziehen kann.“ „Es ist auf jeden Fall ratsam, sich so schnell wie möglich mit dem zukünftigen Vermieter in Verbindung zu setzen und telefonisch abzustimmen, ob alles wie geplant ablaufen kann“, empfiehlt Wibke Werner. Eventuell verzögert sich der Mietbeginn, da die jetzigen Mieter aufgrund der Corona-Krise nicht wie geplant ausziehen können.
Corona-Krise und Mietminderung
Viele Fragen drehen sich auch um Mietminderung. Zunächst einmal: Wenn ein Nachbar an Covid-19 erkrankt ist, stellt dies selbstverständlich keinen Mangel an der Mietsache dar. Grundsätzlich muss eine Corona-Infektion dem Vermieter auch nicht gemeldet werden. In der Regel werden die Nachbarn dadurch schließlich nicht beeinträchtigt. Nur dann, wenn eine Gefährdung anderer Nutzer, Dienstleister oder Besucher des Gebäudes nicht ausgeschlossen werden kann, müssen Mieter dem Vermieter Bescheid geben. Dieser muss dann alle Hausbewohner entsprechend informieren. Der Vermieter ist in der Regel nicht verpflichtet, das Treppenhaus oder andere Gemeinschaftsflächen zu desinfizieren. Auch muss er nicht durch bauliche Maßnahmen für die Sicherstellung des Mindestabstands von 1,50 bis 2 Meter sorgen. Treppenhäuser, Kellerzugänge und Eingangsbereiche sind in der Regel so eng, dass dies schlicht undurchführbar wäre.
Ein großes Problem vieler Mieter ist derzeit auch der Krach durch Bauarbeiten. In einer Zeit, wo man sich überwiegend zu Hause aufhält, ist das eine enorme Belastung. Grundsätzlich sollte von Vermieterseite versucht werden, Modernisierungsmaßnahmen auf die Zeit nach der Corona-Pandemie zu verschieben, finden sowohl Mieterverein als auch BBU. Doch bereits begonnene Modernisierungsarbeiten können nicht einfach unterbrochen werden. „Für den Anspruch auf Mietminderung spielt es keine Rolle, ob man den ganzen Tag außer Haus ist oder nicht“, erklärt Maciejewski. Die Corona-Pandemie ändert hier nichts an der mietrechtlichen Lage.
Das Homeoffice erfordert keine Erlaubnis
Relativ eindeutig ist auch die Frage zu beantworten, ob das Homeoffice einer Genehmigung durch den Vermieter bedarf. Da es sich ausschließlich um Arbeit am heimischen Schreibtisch ohne Publikumsverkehr handelt, ist das nicht erforderlich.
Und noch etwas zum Thema Homeoffice: Weil man sich derzeit viel zu Hause aufhält, stört auch Lärm, den man normalerweise gar nicht mitbekommt. Kürzlich ging der Fall einer Opernsängerin durch die Presse, die seit Jahren zu Hause übt – ihren Übungsraum notdürftig schallisoliert mit Eierkartons – und die nun mit Beschwerden ihrer Nachbarn bombardiert wird. Unabhängig von der derzeitigen Ausnahmesituation gilt: Man darf zu Hause musizieren. Etwa zwei Stunden pro Tag gelten als angemessen. Doch anstatt stur auf sein Recht zu pochen, sollte man sich lieber untereinander absprechen, empfiehlt der Mieterverein. Eine professionelle Mediation, wie sie der BMV seinen Mitgliedern anbietet, kann helfen, einen Kompromiss zu finden.
Vermieter muss bei Beantragung staatlicher Hilfen mitwirken
Ein letzter wichtiger Hinweis: Mieter, die staatliche Hilfen beantragen, müssen mitunter eine Bestätigung des Vermieters, etwa über Mietrückstände vorlegen. Vermieter sind verpflichtet, bei der Beantragung staatlicher Hilfen mitzuwirken und entsprechende Bescheinigungen auszustellen. Verweigert der Vermieter dies, kann man ein Zurückbehaltungsrecht von Mietzahlungen geltend machen.
Birgit Leiß
Wohnungslose müssen von der Straße runter
„Daheim bleiben“ – diese dringende Empfehlung aller Experten ist für Wohnungslose schlicht nicht möglich. Sie haben kein Zuhause, in das sie sich zum Schutz vor der Ansteckung zurückziehen können. Auch die Hygiene- und Desinfektionsregeln sind in ihrem Alltag praktisch nicht umzusetzen. Dazu kommt, dass viele Notübernachtungen, Suppenküchen und ähnliche Einrichtungen nur noch eingeschränkt oder gar nicht arbeiten. „Die Leute sind sehr verängstigt, viele fragen nach Mundschutz“, berichtet Jörg Richert, Geschäftsführer des Vereins „Karuna – Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not“ und als Vorstand der Karuna Sozialgenossenschaft auch mit erwachsenen Obdachlosen befasst. Viele derjenigen, die auf der Straße leben, haben unbehandelte Vorerkrankungen und sind daher besonders gefährdet. Um die Situation zu entschärfen, hat der Senat Anfang April in der Kluckstraße in Tiergarten Berlins erstes Hostel mit 200 Betten für Obdachlose eröffnet. Weitere 150 Plätze inklusive Quarantäne-Station entstehen in Pankow. Für den Senat ist das erst einmal ausreichend. Jörg Richert sieht das anders und fordert die Unterbringung in leerstehenden Hotels: „Die Plätze reichen hinten und vorne nicht, die Leute müssen sofort runter von der Straße.“ Die Hotels seien sehr interessiert. „Wir haben mit einigen Gespräche geführt und sind auf positive Resonanz gestoßen.“
Auch die Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez fordert einen Corona-Schutzschirm für Wohnungslose. Hotels und leerstehende (Ferien-)Wohnungen sollten für Menschen, die „auf den Straßen, in Sammelunterkünften und beengten Wohnverhältnissen“ leben, beschlagnahmt werden.
Etwa 2000 Obdachlose gibt es nach den Zählungen von Anfang 2020 in Berlin, die Dunkelziffer soll wesentlich höher sein.
bl
Eine Welle nachbarschaftlicher Hilfe
Die Corona-Krise fördert Erstaunliches zutage. Zum Beispiel eine nachbarschaftliche Solidarität, die man gerade in der anonymen Großstadt nicht erwartet hätte. Allerorten bieten Menschen ihren Nachbarn, die in Quarantäne sind oder zu einer der Risikogruppen gehören, ihre Unterstützung an. Es gibt Aushänge im Supermarkt, Zettel im Treppenhaus und vor allem unzählige Aktionen und Gruppen in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter und Instagram posten Tausende unter Hashtags wie #nachbarschaftschallenge oder #coronahilfe ihre Unterstützungsangebote. Auf Facebook und dem Messenger-Dienst Telegram haben sich zahlreiche Gruppen gebildet, die sich „Wedding solidarisch – Gemeinsam gegen Corona“ oder „Quarantäne Helden “ nennen. Auch Gabenzäune, an die man Tüten mit Kleidung und Hygieneartikeln für Obdachlose hängen kann, wurden nachbarschaftlich organisiert.
„Wir beobachten gerade eine Welle der Solidarität“, heißt es bei der Nachbarschaftsplattform nebenan.de. Seit dem Ausbruch der Pandemie verzeichnet man hier einen rasanten Anstieg der Neuanmeldungen. Viele bieten an, für alte und kranke Menschen aus der Nachbarschaft einzukaufen oder mit dem Hund Gassi zu gehen, berichtet Pressesprecherin Hannah Kappes. Auf die Einhaltung der gebotenen Abstands- und Hygieneregeln wird dabei penibel geachtet. Die Einkaufstasche wird einfach an die Türklinke gehängt oder kontaktfrei im Treppenhaus übergeben. Bislang gibt es wesentlich mehr Angebote als Nachfragen – was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass nicht alle 80-Jährigen das Internet nutzen. Bei nebenan.de gibt es daher auch einen Vordruck, den man als Aushang im Hausflur anbringen kann. Zudem wurde eine Hotline eingerichtet. Hier kann man sich telefonisch melden, wenn man Unterstützung braucht. Viele Nachbarn sorgen sich auch um das lokale Gewerbe und haben Gutscheinaktionen für kleine Läden oder einen Mittagessen-Abholservice für den Lieblings-Vietnamesen ins Leben gerufen. „Über diese Zeichen der Solidarität freuen wir uns sehr, denn genau dafür haben wir nebenan.de entwickelt. In Krisenzeiten zeigt sich, wie essenziell eine gut vernetzte und hilfsbereite Nachbarschaft ist“, sagt Hannah Kappes.
Doch das Zusammenrücken im wahrsten Sinne des Wortes hat auch eine Kehrseite. Wo die Menschen jetzt viel mehr zu Hause sind als früher, gibt es auch mehr Konflikte. Wer ruhig am Computer arbeiten möchte, ist schnell genervt von der Nachbarin, die stundenlang Klavier übt. Dazu kommt die enorme seelische Anspannung, unter der derzeit viele Menschen stehen. Beim Berliner Mieterverein beobachtet man, dass das inzwischen weit verbreitete Homeoffice zu verstärkten Nutzungskonflikten in Mehrfamilienhäusern führt. BMV-Geschäftsführer Reiner Wild: „Wir empfehlen, sich in der Hausgemeinschaft solidarisch zu verhalten, den Kontakt über den Balkon, die geschlossene Wohnungstür oder telefonisch zu suchen und sich abzusprechen.“ Fast immer gebe es eine Lösung, gegenseitige Rücksichtnahme sei gerade in der jetzigen Situation unabdingbar. So kann man beispielsweise bestimmte Zeiten vereinbaren, in denen das Klavierspiel der Nachbarin am wenigsten stört. Vor allem Familien brauchen derzeit viel Verständnis. Kitas und Schulen sind geschlossen, Spielplätze und Sportvereine dicht, und sogar das Spielen mit Freunden ist wegen der Ansteckungsgefahr nicht erlaubt. Zum Spielen und Toben bleibt da nur die Wohnung.
Nur wenn es gar nicht anders geht, sollte man in solchen Fällen den Vermieter einbinden. An ihn appelliert Wild, bei Nutzungskonflikten im Hause streitschlichtend und nicht eskalierend tätig zu werden. Für Mitglieder bietet der Mieterverein auch eine Mediation an. Die kann infolge der Kontaktverbote derzeit aber nur telefonisch stattfinden.
bl
Hotline für Nachbarschaftshilfe bei nebenan.de:
Tel. 0800-866 55 44
Die Mediation des Berliner Mietervereins ist donnerstags von 17 bis 18 Uhr unter Tel. 030 226 26-187 zu erreichen (mit Anrufbeantworter) oder per E-Mail an
mediation@berliner-mieterverein.de
20.06.2023