Die geplante Sanierung der ehemaligen GSW-Siedlung am Grazer Damm in Schöneberg geht an den Bedürfnissen vieler Mieter vorbei. Rund 50 Euro sollen sie monatlich für neue Balkone zahlen, viele Bewohner sehen darin aber keine Wohnwertverbesserung. Es sieht eher so aus, als wollten die Eigentümer die Siedlung aufhübschen, um in den anstehenden Verkaufsrunden einen höheren Preis zu erzielen.
In den Blöcken um den Grazer Platz sind umfangreiche Instandsetzungen und Modernisierungen vorgesehen. Unter anderem will die GSW, die trotz aller Verkäufe weiterhin die Hausverwaltung stellt, den meisten Wohnungen einen Balkon anbauen. Geplant sind aus Denkmalschutzgründen so genannte Vorstellbalkone, und zwar ausschließlich zum Innenhof hin. Für einige Mieter bedeutet das: an der Nordseite. Die Wohnwertverbesserung durch einen Balkon, der nie von der Sonne beschienen wird, hält sich in Grenzen. Zudem ist in vielen Fällen der Balkon vor einem kleinen Zimmer oder vor der Küche vorgesehen. Für den Durchbruch der Tür muss der Heizkörper versetzt werden, so dass unter Umständen die Möbel nicht mehr passen. Allein für den Balkon sollen die Mieter rund 50 Euro monatlich mehr zahlen. Die gesamte Modernisierungsumlage bedeutet für die Mieter kleinerer Wohnungen schon eine Erhöhung der Nettomiete um 25 Prozent.
Bei der Privatisierung der GSW bekamen zwar alle Mieter einen Zusatz zum Mietvertrag, in dem Luxusmodernisierungen für die Zukunft ausgeschlossen werden. Doch die Herstellung eines Neubaustandards wird davon nicht erfasst. Die GSW geht davon aus, dass bei Neubauten heute ein Balkon dazugehört.
Die Siedlung am Grazer Damm wurde von 1938 bis 1940 gebaut. Die rund 2000 Wohnungen waren spartanisch ausgestattet, wurden aber in den 80er Jahren modernisiert. Im Verkaufskarussell haben sie schon mehrere Runden hinter sich. Nachdem im Juni 2004 die GSW an das Fonds-Konsortium Cerberus/Whitehall verkauft wurde, hat der neue Eigentümer 1529 Wohnungen am Grazer Damm im Oktober 2004 an die Kölner „Vivacon AG“ veräußert. Diese hat schon im Dezember 2004 davon 886 Wohnungen an die österreichische „conwert Immobilien Invest AG“ weiterverkauft. Weitere 637 Wohnungen sollen im Rahmen eines „Deutschen Wohnungsprivatisierungsfonds 1“ an private und institutionelle Investoren verkauft werden. Die Mieter sollen dabei Vorrang beim Kauf ihrer eigenen Wohnung haben – zum Kauf sind sie aber in den allerwenigsten Fällen in der Lage.
Jens Sethmann
MieterMagazin 6+7/05
Das Verkaufskarussell dreht sich weiter: ehemalige GSW-Siedlung Grazer Damm
Foto: Jens Sethmann
21.12.2016