Als Anfang Mai die Richtlinien für die Übernahme der Mietkosten bei Hartz-IV-Empfängern auf dem Tisch lagen, waren die Reaktionen geteilt. Während die Sozialsenatorin erklärte, dass Arbeitslose nur in wenigen Ausnahmefällen umziehen müssten, bezweifelt man beim Berliner Mieterverein diese Selbstsicherheit.
Vorangegangen war den nun beschlossenen Ausführungsvorschriften ein heftiger Streit zwischen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS). Während Sarrazin die Angemessenheit der Wohnung auch an der Größe festmachen wollte, setzte sich Knake-Werner dafür ein, nur die Nettomieten zur Grundlage zu machen. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: Kriterium wird künftig die Bruttowarmmiete sein.
Mietbelastung häufig höher als Richtwerte
Außerdem wurden für bestimmte Personengruppen Ausnahmeregelungen getroffen. Bei ihnen werden Überschreitungen der Richtwerte um bis zu 10 Prozent akzeptiert. Dazu zählen Schwangere, allein Erziehende, Familien mit kleinen Kindern, über 60-Jährige sowie Menschen, die schon mindestens 15 Jahre in ihrer Wohnung leben. Die Regelung zur Angemessenheit der Miete tritt zum 1. Juli 2005 in Kraft.
Der Berliner Mieterverein (BMV) kritisiert die Richtwerte als zu niedrig. Die Mietbelastung vor allem bei modernisierten Wohnungen und in Sozialwohnungen mit ausgeschöpfter Kappungsgrenze sei höher, ein Zwangsumzug vielfach für Arbeitslose unausweichlich, so der BMV-Hauptgeschäftsführer Hartmann Vetter. Völlig unverständlich sei, dass der Senat seine Entscheidung auf einer ungesicherten Datenbasis getroffen habe. „Die Daten der ALG II-Empfänger liegen seit Anfang des Jahres vor. Hätte man sie ausgewertet, wüsste man, wie viele Personen betroffen sind und hätte das gegen die Folgeprobleme abwägen können“, kritisiert Vetter. Bei 490.000 Berlinern, die Arbeitslosengeld II erhalten, sei eine Zahl von bis zu 30.000 von Zwangsumzügen betroffenen Haushalten realistisch, meint Vetter.
Wie geht es nun für die Mieter weiter, deren Wohnkosten die in der Tabelle genannten Oberwerte übersteigen (siehe Kasten)?
Ein Jahr lang ab Beginn des Leistungsbezugs werden die tatsächlichen Kosten der Wohnung einschließlich Heizung grundsätzlich übernommen, ganz egal wie hoch die Miete ist. Erst dann wird die Angemessenheit der Miete von den Job-Centern überprüft. Ist die Miete zu hoch, haben die Betroffenen dann sechs – in besonderen Fällen auch zwölf – Monate Zeit, ihre Wohnkosten zu senken, zum Beispiel durch Untervermietung oder indem sie sich eine billigere Wohnung suchen. „Es wird aber auch akzeptiert, wenn Mieter in der teuren Wohnung bleiben und die Differenz zur übernommenen Miete aus eigener Tasche zahlen“, erklärt Steinbrenner. Umzugskosten, Kaution sowie Genossenschaftsanteile können vom Amt übernommen werden, nicht aber Renovierungskosten.
Theoretisch dürfte also vor dem 1. Juli 2006 überhaupt nichts passieren. Offenbar preschen einzelne Job-Center aber immer mal wieder vor. Beim BMV hatte man kürzlich den Fall, dass ein Mieter vom Job-Center aufgefordert wurde, sich eine andere Wohnung zu suchen – dieses Schreiben kam Monate, bevor die Richtlinien überhaupt beschlossen wurden. BMV-Rechtsberater Volker Hegemann beschwerte sich daraufhin schriftlich beim Senat – und schon war die Sache erledigt. In Zukunft wird es nicht nur darauf ankommen, solche Vorstöße abzuwehren. „Jede Mieterhöhung und jede Betriebskostenabrechnung sollte mit Hilfe des Mietervereins sorgfältig geprüft werden“, empfiehlt BMV-Hauptgeschäftsführer Vetter.
Birgit Leiß
Hartz IV: So teuer darf die Miete sein
Folgende Bruttowarmmieten (inklusive Betriebs- und Heizkosten) gelten als angemessen:
Einpersonenhaushalt: 360 Euro
Zweipersonenhaushalt: 444 Euro
Dreipersonenhaushalt: 542 Euro
Vierpersonenhaushalt: 619 Euro
Fünfpersonenhaushalt: 705 Euro
Für jede weitere Person erhöht sich der Richtwert um 50 Euro. Behindertengerechte Wohnungen, insbesondere für Rollstuhlfahrer, gelten in der Regel immer als angemessen.
bl
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