Alleinwohnen liegt voll im Trend: Etwa die Hälfte der deutschen Großstädter lebt in Einpersonenhaushalten. Birgt diese Lebensform besondere gesundheitliche Gefahren? Immerhin wies die Single-Hauptstadt Berlin auch im vergangenen Jahr die höchste Anzahl seelischer Erkrankungen bundesweit auf. Berlin verzeichnet auch die höchste Arbeitslosenzahl. Und in einigen Stadtteilen einen erschreckend großen Anteil von Bürgern an der Armutsgrenze. Gibt es hier Zusammenhänge?
Erwin Benz*, agiler Endsechziger mit guter Rente in Wilmersdorf, lebt und wohnt seit Jahrzehnten allein. „Mir geht es gut!“ bekennt er und zählt auf: regelmäßiger Sport, enger Freundeskreis, endlich Zeit für Theaterbesuche.
Auch die 28-jährige Studentin Larissa Schäfer bewohnt ihre sonnige 30-Quadratmeterwohnung mit kleinem Bad und Küche allein. Als echte Kreuzbergerin fühlt sie sich nach vielen WG-Jahren zwar in ihrer „Parzelle“ wohl – stellt aber nach einem halben Jahr Einpersonenhaushalt fest: „Für mich ist das Alleinwohnen nicht das Richtige“. Ihr soziales Leben läuft eher auf Sparflamme, „der Rückzug bekommt mir nicht gut.“ Außerdem sei ihre Ernährung schlechter geworden, denn statt zu kochen kauft Larissa Schäfer sich „unterwegs schnell was zum Essen.“
Ein Großstadtphänomen
Jeder zweite Haushalt in deutschen Großstädten ist ein Einpersonenhaushalt, das Statistische Bundesamt nennt dies ein „Großstadtphänomen“. Nach dem Berliner Mikrozensus von 2004 fällt die bezirklich sehr unterschiedliche Verteilung von Einpersonenhaushalten auf (siehe Kasten). Wer allein wohnt, ist nicht zwangsläufig ein Single und begnügt sich nicht automatisch mit nur einem Raum. So haben in Berlin-Mitte „gutbetuchte Singles einen hohen Wohnflächenkonsum“, berichtet Wolfgang Bohleber vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Gerade im Alter zwischen 20 und 40 Jahren wohnen Menschen temporär allein – als Übergang. Ihre Perspektive sehen viele nach Umfragen im gemeinsamen oder familiären Wohnen.
Dass Alleinwohnen anfälliger für Krankheiten machen kann – nicht muss – zeigen die Gesundheitsreports 2005 und 2006 der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) auf. Hier wird das Zusammentreffen vom „Wegfall sozialer Strukturen“ bei „allgemein steigenden Belastungen“ für den Anstieg psychischer Erkrankungen verantwortlich gemacht. Hohe Scheidungsraten, eine hohe Zahl von Single-Haushalten und geringe soziale Unterstützung und Vernetzung in der Gesellschaft lassen ehemals bestehende soziale Strukturen bröckeln. Dagegen wachsen die Belastungen durch Arbeitsintensität oder Arbeitslosigkeit und Zukunftsängste. Ist das soziale Netz nicht mehr stabil, kann auch nichts aufgefangen werden. Ein guter Nährboden für seelische oder körperliche Krankheiten beziehungsweise Süchte.
Das Leben an oder unterhalb der Armutsgrenze ist ein weiterer Risikofaktor. Das Gros der Einpersonenhaushalte in Berlin, 40 Prozent, verfügt über ein Nettohaushaltseinkommen von weniger als 900 Euro im Monat. Das führt vor allem bei allein wohnenden Rentnerinnen in Berlin zu erhöhten Risiken im Krankheitsfall. Laut dem DAK-Gesundheitsreport werden Herzinfarkte bei Frauen oft erst spät entdeckt.
Aber diese „Symptome“ sind kein Beleg dafür, dass Alleinwohnen per se krank macht. Ebenso wenig ist die Gesundheit allein durch das Wohnen im Mehrpersonenhaushalt besser geschützt. Der Sozialstrukturatlas Berlin 2003 belegt sehr eindrucksvoll einen Zusammenhang zwischen Wohnbezirk und gesundheitlicher Situation: In Treptow werden die Bewohner durchschnittlich 79,2 Jahre alt, in Kreuzberg hingegen nur 74,7 Jahre.
Clara Luckmann
* Name geändert
MieterMagazin 6/06
Zeichnung: Eike Marcus
30.07.2013