Als wohnungsnahe Außenräume verschaffen Balkone, Loggien oder Terrassen Zugang zu dem, was Planer verharmlosend als „Wohnumfeld“ bezeichnen und damit zum Beiwerk des umbauten Raums der Wohnung machen. In Wirklichkeit hat der Umgang mit dieser Schnittstelle ganze Epochen des Städte- und Wohnungsbaus geprägt. Die Auseinandersetzung mit dem wohnungsnahen Außenraum als Brücke zwischen Wohnung und Stadt ist mitentscheidend für die Zukunft der Großstädte. Ein Plädoyer für die „Zwischenräume“.
„Wollt Ihr weg von die Blume, spielt mit’n Müllkästen!“ Heinrich Zilles legendär grantelnde Hinterhofbewohnerin thematisiert, was Großstadtbewohner wie Planer seit den Gründerjahren befasst: Der Kampf um die Verteilung und Nutzung des knapp rationierten wohnungsnahen Außenraums. Ob es sich dabei – wie im Fall von Zilles Kellerbewohnerin – um einen Hinterhof mit widerstandsfähiger Spontanvegetation handelt, um Balkone, Dachgärten und Terrassen oder gar um einen wohnungszugehörigen Privatgarten – gemeinsam haben all diese Räume unter freiem Himmel, dass sie Wohnung und Umfeld verbinden und die Chance eröffnen, den umbauten Privatraum der Wohnung durch einen besonnten wohnungsnahen Außenraum zu ergänzen.
Eine Untersuchung des „Instituts Für Soziale Stadtentwicklung“ (IFSS) in acht deutschen Städten hat ergeben, dass die Zuordnung des Außenraums zur Privatwohnung und dessen Ausgestaltung für Bewohner, egal ob Mieter oder Eigentümer, Qualitätskriterium Nummer Eins beim Wohnen ist. Für den Architekten und Baugeschichtler Peter Faller ist die Umsetzung des Außenraumbezugs von den Anfängen des Massenwohnungsbaus bis heute das entscheidende Kriterium für Wohnqualität: „So lässt sich wohl an keinem Bauelement rascher und treffender auf Wohnqualität und Wohnverhalten schließen als an den gebauten Außenräumen des Wohnens.“ Der Außenraum verbindet Wohnung und Umfeld, umbaute und besonnte Wohnfläche und schafft eine Brücke zur Natur, die im besten Fall ein Garten oder Park, im schlimmsten Fall nur der Blick auf einen fern stehenden Baum oder eine Balkonpflanze ist. Schon der Gebäudetypus bestimmt die Art und Weise des Bezugs. In den Wohnhochhäusern des Märkischen Viertels der 60er und 70er Jahre wird der Balkon im zwölften Stock zur windumtosten Aussichtsplattform. Der Naturbezug reduziert sich auf eine Blickbeziehung und das wohnungsnahe Grün wird zum Abstandsgrün. In gartenstädtischen Anlagen der Zwischenkriegszeit wie der Gartenstadt Staaken im Berliner Norden entschädigt der von der Wohnung aus direkt betretbare Garten die Bewohner für ihre – nach heutigen Standards – winzigen Wohnflächen. Hier beengtes, bodennahes Wohnen und Einbettung des Hauses in Gärten und ein grünes Umfeld, dort ein Solitär mit modernen und großzügigen Wohnungen, die über dem Boden schweben und den hygienischen, rein visuellen Kontakt mit der märkischen Stadtlandschaft bieten. Die ausschnitthafte Gegenüberstellung zeigt, dass wohnungsnahe Außenräume nicht nur entscheidende Qualitätsindikatoren des Wohnens sind. Mehr noch erkennt man an der Art, wie Außenräume ausgestaltet sind, welche Wohnideen, Zielgruppen und Haltungen die Planer getrieben haben.
Mietskasernen und Reformbaubewegung
Die gründerzeitliche Bauspekulation hebt mit der Privatisierung der Grundstücksnutzung, der Mehrgeschossigkeit und Überbauung des hinteren Grundstücksteils die Beziehung von Haus und Garten auf. Die dichte Bebauung der Hinterhöfe entfernt nicht nur Sonne und Grünflächen aus dem Nahbereich der Wohnungen, sie nimmt den Hinterhofwohnungen sogar mit den Balkonen jene privaten Außenräume weg, die bis heute das Unterscheidungsmerkmal von Gewerbe- und Wohnungsbau sind. Als hygienisches, aber auch als kulturelles Problem haben die freudlosen Berliner Hinterhöfe Legionen großstadtkritischer Literaten zum Abgesang auf die Mietskasernenstadt stimuliert.
Wenig erstaunlich, dass die historische Reaktion auf diese Naturenteignung um 1900 mit der Gartenstadtbewegung eine Epoche anstößt, bei der die Einheit von Haus und Garten zentraler Programmbestandteil ist. Sie sucht ihr Heil jenseits der dicht bebauten alten Stadt. Den kostenbedingt sparsam umbauten Wohnflächen der Kleinwohnungen wird ein Garten als kompensierender Freiraum zugefügt. Den Gartenstadtverfechtern geht es jedoch um mehr: „Der Kleingarten ist das Korrelat der Mietskaserne. Die ganze Frage spitzt sich darauf zu, ob der Kleingarten dazu da ist, das Prinzip der alten berüchtigten Stockwerkswohnung zu verschönern, oder ob er nicht vielmehr Anlass zur Änderung dieser erwiesenermaßen lebensfeindlichen Wohnungsform sein sollte.“ Der hier zitierte Gartenarchitekt Leberecht Migge will mit den Gartenstädten die Epoche der Mietskaserne beenden. Soweit solche Entwürfe gebaut wurden, hat sich die Großstadt diese bauliche Opposition durch ihr Wachstum einverleibt. Die Großgemeinde von Berlin ist in der Zwischenkriegszeit nicht nur größte Mietskasernenstadt, sondern auch die deutsche Stadt mit dem größten Villen- und Grüngürtel. Es gehört zu den Ironien der Baugeschichte, dass es ausgerechnet diese Gebiete sind, die als Wohn- und Naherholungsgebiete die nachhaltige Attraktivität der Mietskasernenstadt sichern.
Die Reformarchitekten der 20er Jahre waren in der Auseinandersetzung mit den Wohnbedürfnissen des „ewigen Bauern“ ambivalent. Einerseits knüpften sie an den Vorarbeiten der Gartenstadtbewegung an und entwarfen Siedlungen, die durch kleine Häuser mit Gartenbezug gekennzeichnet sind. Andererseits beginnen sie mit der Kollektivierung der Freiflächen und reduzieren den Freiflächenbezug auf Blickbeziehungen.
Emotionale Anforderungen wissenschaftlich nicht messbar
Die Fixierung auf wissenschaftlich fassbare, messbare und ergonomische Daten verstellt den Blick auf emotionale Anforderungen an das Wohnen, die in Bruno Tauts Planungen noch eine große Rolle spielen. Auch der genossenschaftliche Wohnungsbau in den Innenstadtquartieren schafft in dieser Zeit in großen Innenhöfen Freiflächen, deren kollektive Nutzungsqualität sich allerdings nur im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsgefühl der Genossen entfalten kann. Strenge Nutzungsregeln und soziale Kontrolle schränken die private Qualität nach heutigen Maßstäben ein.
„Es überrascht nicht sonderlich, dass nach dem Zweiten Weltkrieg eine ernsthafte Auseinandersetzung mit bewohnbaren und aus der Wohnung heraus entwickelten Außenräumen erst wieder einsetzt, nachdem die Not des Wiederaufbaus und die leider allzu rasch anschließende Phase eines unkritischen Massenwohnbaus überwunden sind“ – so das Resümee Peter Fallers. In der Wiederaufbauphase der 50er Jahre hat das Konzept der gegliederten und aufgelockerten Stadt zu Kleinsiedlungen geführt, in denen „die Zeilenbebauung ohne Hofbildung mit Zeilenerschließung“ dominiert. Eine klare Trennung von öffentlichem und privatem Grün ist im Umfeld der Zeilen nicht mehr gegeben.
Im Großsiedlungsbau der 60er und 70er Jahre wird das Umgebungsgrün für die hochverdichteten und gestapelten Wohnnutzungen kollektiviert. Je höher Balkone und Loggien liegen, desto weniger Aufenthaltsqualität bieten sie als Außenräume des Wohnens. Die Blickbeziehung muss den Freisitz ersetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass nur in den seltensten Fällen die Außenräume so sorgfältig geplant sind wie in Alvaro Aaltos Gebäude im Hansaviertel. Auch das Umgebungsgrün ist zumeist weit entfernt von den Qualitäten des Tiergartens. Grün verkümmert in den Großsiedlungen zum Abstandsgrün.
In allen Bauepochen war die Außenraumverbindung und -qualität für die Bewohner wichtig. Bis heute ist dies jedoch wenig ins Bewusstsein der Planer gedrungen. Besonders die Rückbesinnung auf die kompakte europäische Stadt hat in den 80er Jahren dazu geführt, dass sich erneut eine „Abfüllmentalität“ (Faller) breit gemacht hat, die an die Bausünden der Gründerzeit erinnert und dazu führte, dass hinter glatten stadtraumbildenden Lochfassaden Grundrisse phantasielos übereinander gesetzt wurden.
Ein Stadtmodell, das kaum funktioniert
Dieses Stapelprinzip verstellt im Unterschied zum Schichten und Versetzen der Wohnebenen die Möglichkeit, den einzelnen Wohnungen Außenräume mit hoher Qualität zuzuordnen. Vor allem im Geschosswohnungsbau stirbt der Außenraumbezug schon beim Grundrissentwurf. Er wird zum Opfer der Vorstellung, dass das mehrgeschossige Haus ohnehin nicht mit dem Gartenbezug des Eigenheims konkurrieren könne. Nur Urbanität, die mit hoher Baudichte, Blockrandbebauung und Nutzungsvielfalt erzielt werde, könne beim Wettbewerb mit dem Eigenheim in die Waagschale geworfen werden. So jedenfalls das Planervorurteil – ein folgenschwerer Irrtum, der die Planer seit Jahrzehnten auf ein Stadtmodell fixiert, das nur in wenigen Gebieten der kompakten alten europäischen Stadt wirklich funktioniert. Auch Berlin war schon in der Zwischenkriegszeit keine bauliche Einheit mehr, sondern ein Patchwork von Siedlungsformen und -gebieten mit unterschiedlichen Baudichten und Freiraumanteilen. Die gemessen an ihren Grundstücks- und Mietpreisen attraktivsten Wohngebiete liegen heute mit wenigen Ausnahmen – wie etwa dem Szeneviertel am Prenzlauer Berg in Berlin – außerhalb der dichten gründerzeitlichen Bebauung. Die geringe quantitative Bedeutung der „Szenestadt“ steht dabei nach Meinung der Soziologin Erika Spiegel in einem merkwürdigen Kontrast zu ihrer symbolischen Ausstrahlungskraft. Dass beim Neubau dieses Modells aus wirtschaftlichen Gründen ausgerechnet die angestrebte Mischung von Wohnen und Gewerbe auf kleinen Parzellen und die soziale Vielfalt der Bewohner auf der Strecke bleiben, macht den Irrtum zusätzlich fatal.
Nicht nur wirtschaftliche Zwänge und veränderte Lebensgewohnheiten stellen das alte Stadtmodell in Frage. Auch die sinkende Bevölkerungszahl und zunehmende Wohnungsleerstände bedrohen es. Planer sprechen von der zunehmend „perforierten Stadt“, weil in Städten wie Leipzig oder Cottbus mit der abnehmenden sozialen auch die bauliche Dichten zurückgefahren werden. Es ist kein Zufall, dass gerade in solchen Städten auch innerstädtisch Wohnbauten entstehen, die wenig mit den auf Blockrandschließung fixierten Bauformen zu tun haben und sich auf qualitätsvolle Beziehungen zwischen Gärten und Wohnung, Freiraum und Haus konzentrieren. Noch verstellt die Angst vor den „Löchern im Käse“, wie sie der Architekturtheoretiker Wolfgang Welsch genannt hat, den Blick auf die Chancen, die darin liegen, dass überzogene Dichten abgebaut werden, Stadtlandschaften geöffnet und durchgrünt werden können und eine hochwertigere Verbindung von Wohnungen und Außenraum geschaffen wird. Dazu müssten Architekten und Planer akzeptieren, dass nicht nur umbaute Räume Qualitäten schaffen, sondern dass auch das Freilassen, der Zwischenraum Lebensqualität herstellt. In einer pluralisierten und individualisierten Gesellschaft eigentlich ein zeitgemäßer Gedanke.
Armin Hentschel
MieterMagazin 6/07
Stiefkind der Planer bis heute:
der „Zwischenraum“
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Zwischenraumlos:
der Berliner Hinterhof
Begrünter Berliner Hinterhof (zeitgenössischer Rettungsversuch)
Der Gegenentwurf zur Mietskaserne:
Grünflächen (Helenenhof in Friedrichshain)
Der Außenraumbezug war allen Epochen wichtig – wenn auch von unterschiedlicher planerischer Qualität:
Dachterrasse in der Karl-Marx-Allee
Blick von einem Hochhaus der Gropiusstadt
Aalto-Bau im Hansaviertel
Der grüne Faden im Städtebau
Wie ein grüner Faden durchzieht die Zuordnung des Außenraums zur Wohnung die städtebaulichen Epochen, charakterisiert und unterscheidet sie. Die Spur reicht bis in die römische Antike, die Labor für viele architektonische und städtebauliche Muster war, die wir bis heute immer wieder aufnehmen und modifizieren. Wen die sommerliche Stadtflucht in das antike Pompeji in der Nähe von Neapel führt, der entdeckt neben dem Atrium in der Eingangszone eine Dachöffnung samt darunter liegendem Regenauffangbecken (Compluvium), im hinteren Bereich der pompejanischen Stadthäuser das Peristylum, das einen ins Haus integrierten Garten umsäumt. Es entsprach einer Mode der späten Jahrzehnte vor dem Vulkanausbruch, dass – so Pier Giovanni Guzzo, Leiter der archäologischen Arbeiten in Pompeji – die Besitzer städtischer Häuser mit dem Villengarten konkurrierend ihre Hausgärten vergrößerten. Durch Umbau wurden die meisten Räume um den Garten herum gruppiert und das Peristyl wurde „zum Mittelpunkt des Hauses“.
ah
Pompeji
Foto: Armin Hentschel
21.12.2016