Schon das 18. Jahrhundert kannte Wohnbeeinträchtigungen durch Lärm, der von Gewerbebetrieben ausgeht. Die folgende Geschichte handelt von einem König und einem Müller, ist aber dennoch kein Märchen – wenngleich man sehr genau unterscheiden muss, was Wahrheit ist und was Legende.
Auf der Anhöhe eines Weinbergs ließ Friedrich II. in den Jahren 1745 bis 1747 ein Sommerschloss nach eigenen Entwürfen bauen. Der Name „Sanssouci“ drückte des Königs Absichten aus: Sein Aufenthalt in diesem Rokokoschlösschen sollte „ohne Sorgen“ verlaufen: herrliche Aussicht, Zeit für Flötenspiel, Erholung und Stille. Doch wenige Meter vom königlichen Sommersitz entfernt stand eine Bockwindmühle. Sobald eine taugliche Brise wehte, begann die Maschine zu arbeiten und lautes Geklopfe dröhnte aus der Mühle und in des Monarchen Ohr. Von Ruhe und Entspannung konnte keine Rede sein. Der „aufgeklärte“ Herrscher zog vor Gericht, um einen Rechtsstreit wegen Lärmbelästigung anzustrengen. Seine Forderung: Die Mühle müsse abgebaut und an anderer Stelle neu errichtet werden. Das Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass hier nichts zu machen sei. Schließlich habe der Müller an besagtem Standort sein Korn schon gemahlen, bevor Ihre Majestät gütigst entschied, dort ein Schlösschen zu bauen.
Der Ursprung dieser scheinbar „echt preußischen“ Anekdote liegt erstaunlicherweise in Frankreich. Dort erschien 1787 unter dem Titel „La vie de Fréderic“ eine Biografie über Friedrich II., in der erstmalig über diesen – keineswegs zutreffenden – Streit wegen Lärmbelästigung berichtet wurde. Von dort wanderte der Bericht nach Deutschland und entwickelte sich im 19. Jahrhundert zur Legende.
Sinnbildlich verklärt sie einerseits die Unbestechlichkeit des preußischen Rechtssystems, andererseits Friedrich II. in seiner Bereitschaft, sich wie ein gewöhnlicher Bürger unter das Gesetz zu stellen.
Ein Spiegel preußischer Tugenden
Doch wie steht es mit den historischen Tatsachen wirklich? Windmühlen arbeiteten eher leise, und Friedrich II. beklagte zu keiner Zeit eine Lärmbelästigung. Es war vielmehr der Müller, der den König verklagen wollte – und zwar zu Schadensersatz. Der Mann hieß Johann Wilhelm Grävenitz, und sein Argument lautete: Schlossbau und Neuanpflanzungen von Bäumen beeinträchtigten die ungehinderte Windzufuhr, seine in Erbpacht betriebene Mühle könne nicht mehr so effektiv arbeiten wie zuvor. Er, der Müller, wolle und könne den daraus entstehenden wirtschaftlichen Schaden nicht tragen. Längst bevor die Bauarbeiten abgeschlossen waren, schickte Grävenitz seine Beschwerden direkt an den König. Friedrich II. leitete eines der Schriftstücke am 4. Juni 1746 zur Bearbeitung an das Gericht weiter und anerkannte im weiteren Verlauf die Argumentation des Müllers sowie die Notwendigkeit einer Schadenersatzleistung. Er ließ speziell für Grävenitz eine weitere Mühle in Babelsberg bauen und schenkte sie ihm. So betrieb der Mehlproduzent zunächst zwei Mahlwerke, bis er 1753 die Bockwindmühle bei Schloss Sanssouci an einen anderen Müller ver-kaufte und einen guten Gewinn dabei einstrich. Unter Friedrich Wilhelm II. wurde dann 1791 aufgrund der schlechten Windverhältnisse die alte Mühle durch jene hohe, das Schloss weit überragende Galeriemühle ersetzt, die man heutzutage noch besichtigen kann.
So verbürgen Legende und historische Ereignisse das im 18. Jahrhundert vergleichsweise moderne preußische Gesetzeswesen. Darüber hinaus enthält jedoch die oben erzählte Legendenfassung einen bis heute gültigen Kern der Rechtsprechung: Wer eine Wohnung beziehen möchte, möge vorher sorgfältig prüfen, welchen Lärm Gewerbebetriebe verursachen. Ein eventueller Rechtsstreit wegen Lärmbelästigung könnte sonst nachteilig ausgehen. Das passende Sprichwort lautet: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Michaela Schröder
MieterMagazin 6/08
Viele Anekdoten, Redenswendungen oder auch historische Skurilitäten sind in den Bereich des Wohnens eingebettet. Unsere Serie „Wohnen im Kulturgedächtnis“ wird solche Geschichten in loser Folge erzählen.
Eine Bockwindmühle machte dem Monarchen Friedrich II. zu schaffen – aber anders, als die Legende es will
Fotos: wikipedia
11.07.2013