Wenn Sie erwachsen und kleinwüchsig sind – zum Beispiel 110 Zentimeter groß – gehört dies zu Ihrem Alltag: Treppengeländer, Lichtschalter und Türgriffe sind zu hoch angebracht, aus Fenstern können Sie nicht hinausschauen, geschweige sie öffnen. Setzen Sie sich auf einen Sessel, baumeln Ihre Beine. Beim Kochen spritzt Ihnen das Fett direkt ins Gesicht und am Spülbecken erreichen Sie knapp den Wasserhahn, wobei das Wasser auch schon mal in Ihren Ärmel fließt. Vielleicht behelfen Sie sich und befestigen Kordeln an den Türgriffen, haben immer einen Plastikhocker zum Draufklettern in der Nähe. Doch gesunde, sichere Wohnqualität ist damit allein nicht gewährleistet.
Die 13-jährige Heidi Maler* könnte aufgrund ihrer unterdurchschnittlichen Körpergröße in einer normalen Mietwohnung nicht einmal aus dem Fenster schauen. Daher haben ihre normalgroßen Eltern Heidi und Jens Maler*, die sich beide ehrenamtlich im Berliner „Landesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien“ (LKMF) engagieren, für sich und die gemeinsame Tochter ein Haus gebaut, das ihren Wohnbedürfnissen gerecht wird. Dazu gehören weit nach unten reichende Fenster und eine Küchenzeile, die in den Raum hineingerückt und auf einer Seite mit einem höherliegenden Boden ausgestattet wurde, der über Treppenstufen erreichbar ist.
Allerdings bringt nicht jeder handwerkliches Geschick, Geld und Kreativität für solche Investitionen mit. Kleinwüchsige, die in Mietwohnungen leben und wenig Einkommen haben, sind bei der bedarfsgerechten Ausstattung auf Finanzierungen durch Krankenkassen und Sozialämter angewiesen. Es gibt auch diverse, kleinwuchsgerechte Einrichtungsgegenstände für den Sanitär- und Wohnbereich, die man beantragen kann, doch oft kann man sie nur in Katalogen studieren und nicht – wie in gängigen Möbelhäusern – vor der Anschaffung anfassen, begutachten und ausprobieren. Wie will man also beurteilen, wie praktisch die Sache wirklich ist, mit der man liebäugelt? Da Kleinwuchs vielfältige Ursachen hat und jeder Betroffene andere körperliche Voraussetzungen mitbringt, sind die Bedürfnisse unterschiedlich. Hinzu kommen die familiären Konstellationen. Sind alle Familienmitglieder kleinwüchsig? Oder teilen sich wie bei Familie Maler klein- und normalwüchsige Personen einen Haushalt?
Eine Wohnung zum Ausprobieren
Viele Fragen zur passenden Ausstattung lassen sich leichter beantworten, seit im Jahr 2007 das Deutsche Zentrum für Kleinwuchsfragen (DZK) in Bremen eingeweiht wurde und erstmalig in Europa eine Musterwohnung zum Probewohnen eingerichtet hat. Träger des Zentrums ist der seit 1988 existierende Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien (BKMF), dessen Traum es seit langem war, eine interdisziplinär angelegte Anlaufstelle rund um das Thema Kleinwuchs zu schaffen. Durch Spendengelder in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro konnte die Idee realisiert werden. Seither versammelt sich im DZK ein Team aus medizinischen, juristischen, pädagogischen und therapeutischen Fachleuten, um ein fundiertes Beratungsangebot anzubieten, die Erforschung von Wachstumserkrankungen voranzutreiben sowie jene Probewohnung zum Selbstkostenpreis tageweise zu vermieten. Sie bietet ein Elternschlafzimmer, Kinderzimmer, Bad, Wohnbereich mit Küchenzeile und ist vollständig barrierefrei sowie kleinwuchsgerecht konzipiert.
Schmuckstück der Einrichtung ist die Einbauküche. Hängeschränke und Arbeitsfläche sind per Fernbedienung höhenverstellbar – je nachdem, ob ein großer oder kleiner Mensch sie erreichen möchte. Die Kochplatten sind für kurzarmige Küchennutzer zudem nach vorne versetzt worden. Der angeschlossene Wohnbereich ist mit Polsterstühlen in diversen Höhen ausgestattet, Sofas mit verstellbaren Rückenlehnen und ausziehbaren Fußablagen können ausprobiert werden. Das Doppelbett im Schlafzimmer lässt sich mit Hilfe einer Schiene am Kopfende sowie Rollen auseinanderziehen. Wer klein gewachsen ist und kurze Arme hat, kann so problemlos die Betten machen. Hilfreich sind auch die Kleiderschränke mit nach unten beweglichen Kleiderstangen. Zum Sanitärbereich gehören eine barrierefreie Dusche sowie eine Badewanne mit Stufenaufgang und Einstiegshilfe. Waschbecken und Dusch-WC sind höhenverstellbar. Von Letzterem profitieren vor allem kurzarmige Menschen. Zwei Düsen, eine für reinigendes Wasser, eine für trocknenden Luftstrom, helfen bei der Hygiene.
Lösungen nach Maß
Die Wohnung ist neben niedrig angebrachten Schaltern und Griffen auch mit bis zum Boden reichenden, leichtgängigen Fenstern ausgestattet, aber auch mit Standardfenstern, die mit Hilfe eines kleinen Motors geöffnet werden können. Weitere Erleichterungen bieten den Kleinwuchsbetroffenen mit eingeschränkter Mobilität die vorhandenen technischen Steuerungssysteme. Mit einer multifunktionalen Fernbedienung kann man bequem Licht, TV, Jalousien und Vorhänge bedienen.
Bei einer Wohndauer von bis zu einer Woche lässt sich die gesamte Ausstattung angemessen erproben. Dies bietet für Entscheidungen bezüglich der eigenen vier Wände eine gute Grundlage. Sind individuelle Anpassungen für die vorhandene Wohnung nötig oder müssen Fragen zur Finanzierung geklärt werden, bietet das DZK-Team vor Ort seine Unterstützung an.
Auch Jens Maler ist froh über die Realisierung des Projekts. Bei den regionalen Treffen Kleinwüchsiger in und um Berlin stellt er die Probewohnung regelmäßig vor und resümiert: „Man kauft dann nichts, was man nicht wirklich braucht.“ Allerdings, wendet Maler ein, gibt es bei der Finanzierung bedarfsgerechter Ausstattungsmittel oft bürokratische Hürden. Die Krankenkassen, bemängelt er, sperren sich häufig gegen die Zuzahlungen.
Auch Jérome Ries, Geschäftsführer des BKMF in Bremen und zugleich Rechtsexperte im Team des DZK, kennt das Problem. Obwohl alles, was aus medizinischer Sicht notwendig ist, von den Krankenkassen finanziert werden müsste, lehnen diese rund 80 Prozent der Anträge zunächst einmal ab. Eine gute Beratung vor Antragstellung ist daher ratsam. Geht dann alles glatt, kann man sich auch als Kleinwüchsiger eine angemessene Wohnqualität schaffen.
Michaela Schröder
* Name von der Redaktion geändert
Ein- und Umbauten: Alles was Recht ist
Nach § 554 a BGB ist der Vermieter verpflichtet, baulichen Veränderungen und sonstigen Einrichtungen zuzustimmen, die für eine behindertengerechte Nutzung der Wohnung oder des Zugangs zu ihr erforderlich sind. Diese Vorschrift ist auch auf Kleinwüchsige anzuwenden. Der Vermieter kann seine Zustimmung nur verweigern, wenn sein Interesse – einschließlich des berechtigten Interesses anderer Mieter im Haus – an einem unveränderten Zustand des Gebäudes die Interessen an einer behindertengerechten Nutzung überwiegt.
Ergibt die Abwägung, dass der Vermieter den baulichen Änderungen zustimmen muss, kann er diese Zustimmung davon abhängig machen, dass der Mieter eine zusätzliche Sicherheit (Kaution) leistet. Die Sicherheit ist der Höhe nach angemessen, wenn sie die voraussichtlichen Kosten des Rückbaus abdeckt. Ob der Vermieter dem Mieter Wertersatz leisten muss, wenn dieser auszieht, bevor er seine Investitionen abgewohnt hat, hängt in erster Linie von einer möglichst genauen Vereinbarung zwischen Mieter und Vermieter ab.
dmb/mac
Rat & Tat
Aufgrund der gesetzlichen Grundlagen zur medizinischen, sozialen und beruflichen Rehabilitation (unter anderem Sozialgesetzbuch V, VI, IX und XII) haben Kleinwüchsige, je nach Behinderungsgrad, Anspruch auf Kostenübernahme diverser Hilfsmittel auch im Bereich des Wohnens. Medizinisch notwendige Maßnahmen müssen nach ärztlicher Verordnung von den Krankenkassen übernommen werden, nicht-medizinisch notwendige Ausstattungen tragen zum Teil die Sozialämter.
Beratung und Unterstützung bei der Beantragung:
Bundesverband Kleinwüchsiger Menschen und ihre Familien (BKMF e.V.)
www.bkmf.de/
Probewohnen in kleinwuchsgerechter Musterwohnung:
Landesverband Kleinwüchsiger Menschen und ihre Familien (LKMF) e.V.,
Leinestraße 2, 28199 Bremen
Tel. 04 21 / 33 61 69 0
Zuschüsse bei Umbauten/Wohnförderprogramm:
KfW-Bankengruppe
Charlottenstraße 33/33 a, 10117 Berlin
Tel. 202 64 0
www.kfw.de
MieterMagazin 6/09
Die Berliner Familie Maler* hat ihre Wohnung so umgebaut, dass alles im Haushalt für jeden gut erreichbar ist
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Ausstellungstipp:
„Betrachtungsweisen –
Kleinwuchs in Gesellschaft
und Wissenschaft“:
6. bis 30. August 2009: Charité
17.09.2022