Für viele Bürger der Europäischen Gemeinschaft sind die Beschlüsse aus Brüssel ein „Buch mit sieben Siegeln“. Das Zustandekommen von Richtlinien, Verordnungen et cetera ist wegen der Beteiligung von Europäischem Parlament, EU-Rat und EU-Kommission oft nicht transparent. Umso wichtiger ist es, mit einer hohen Wahlbeteiligung den Einfluss des Europäischen Parlaments zu stärken. Einzig mit unserer Wahl der Abgeordneten für das Europäische Parlament können wir als Mieter und Verbraucher Einfluss ausüben.
Mietrecht und Wohnungspolitik liegen zwar in der alleinigen Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten. Gleichwohl gibt es bei der Finanzierung von Aufgaben der Stadtentwicklung und des Sozialen Wohnungsbaus erhebliche Steuerungsmöglichkeiten der EU. Einen besonderen Stellenwert hat die EU-Klimaschutzpolitik. Im Wohngebäudebereich sieht die EU zu Recht ein großes Potenzial für Energieeffizienz und Klimaschutz. Ohne den Anstoß aus Brüssel wäre auch in der Bundesrepublik Deutschland manche zusätzliche Tonne CO2 emittiert worden.
Um die Entscheidung bei der Wahl zu erleichtern, hat das MieterMagazin die Wahlprüfsteine der „International Union of Tenants“ (Internationale Mieter Union), die seit einiger Zeit auch ein Büro in Brüssel unterhält, den Berliner Spitzenkandidaten zur Europa-Wahl mit der Bitte um Kommentierung vorgelegt. Das Ergebnis finden Sie hier.
Die Wahlprüfsteine der International Union of Tenants für die Wahlen zum Europäischen Parlament 2009
- Jeder sollte das Recht auf erschwinglichen und angemessenen Wohnraum haben – das Recht auf Wohnung ist ein Grundrecht.
- Die EU-Kommission soll geeignete Regeln für staatliche Beihilfen entwickeln, um nationale Systeme der Finanzierung von bezahlbarem Wohnraum zu unterstützen.
- Zur Bekämpfung der Ausgrenzung beim Wohnen und der Energie-Armut bedarf es genügend öffentlicher EU-Mittel, damit durch Energieeffizienz mehr erschwinglicher Wohnraum für einkommensschwache Gruppen zur Verfügung steht.
- Energieeffizienz im Wohnungsbau muss sichtbar gemacht werden – das garantiert eine transparente und verbraucherfreundliche Kennzeichnung, die den Schwerpunkt der Anpassung der neuen Richtlinie „Gesamtenergieeffizienz Gebäude“ im Jahr 2009 bildet.
- Die Finanzkrise erfordert einen „New Deal“ für bezahlbaren Wohnraum und soziale Stadtentwicklung – im Interesse der Bewohner unserer Städte.
Alexandra Thein/FDP
Seit 1991 bin ich als Rechtsanwältin im Mietrecht tätig und kenne daher die Probleme der Mieter hier in Berlin. Als Liberale sind wir der Auffassung, dass Sozialpolitik vor Ort, nah an den Menschen hier in Berlin gemacht werden muss. Dies vorausgeschickt fordert die FDP im Interesse von Mietern (und Vermietern): Vereinfachung des Mietrechts, Fortführung der Programme zur energetischen Sanierung und Senkung der Hürden im Mietrecht für eine energetische Sanierung, um so den Anreiz für eine klimafreundliche Erneuerung des Gebäudebestandes zu erhöhen. Weitere wirksame Methoden zur Bekämpfung der „Energiearmut“ sehen wir in der Rückgängigmachung der Erhöhung der Stromsteuer und der Herstellung von Wettbewerb auf dem Energiemarkt. Beide Maßnahmen würden zu sinkenden Strompreisen führen. Sozialpolitisch vertritt die FDP das Ziel, alle Sozialleistungen in einem einheitlichen Bürgergeld zusammenzufassen, welches zum Beispiel das ALG II einschließlich Leistungen für Wohnen und Heizung und das Wohngeld umfasst. Dies hätte den Vorteil, dass nur eine einzige Behörde für Beantragung und Auszahlung zuständig wäre.
Dagmar Roth-Behrendt/SPD
Die Wohnung ist Lebensmittelpunkt und Ausgangspunkt der sozialen Kontakte der Menschen. Sie darf daher nicht auf ihre Funktion als Wirtschaftsgut reduziert werden. Das Recht auf Wohnen sollte sowohl in der europäischen Verfassung als auch in den nationalen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten verankert werden.
Wohnungspolitik ist in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten. Das soll auch so bleiben. Wesentlich ist, dass ausreichend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. Dies muss im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung garantiert werden. EU-Binnenmarktregelungen müssen Besonderheiten der nationalen Systeme der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus respektieren.
Die energieeffiziente Sanierung des Wohnungsbestandes ist eine Schlüsselaufgabe der Zukunft. Die Senkung der Kosten des Wohnens durch mehr Energieeffizienz hat eine ökologische und eine soziale Dimension. Das EU-Klimapaket ist für beide richtungweisend. Die EU-Strukturfonds wurden für die energieeffiziente Sanierung des Wohnungsbaus geöffnet. Diese Fördermittel müssen weiterhin und verstärkt fließen. Mit der Neuregelung der EU-Gebäuderichtlinie werden Verbesserungen für Verbraucher garantiert. Der EU-Rat soll die neue Richtlinie noch in 2009 verabschieden.
Zu einem sozialen Europa gehört auch gutes Wohnen – bezahlbarer und angemessener Wohnraum in lebendigen und sicheren Quartieren. Ein Ziel unserer Europapolitik ist, dass Wohnungspolitik als wesentlicher Pfeiler der Kohäsionspolitik anerkannt wird. Jeder Bürger der EU muss Zugang zu angemessenem Wohnraum haben.
Michael Cramer/Grüne
Wir unterstützen die Position des Europäischen Parlaments, wie sie in seiner Entschließung vom 10. Mai 2007 zu Wohnraum und Regionalpolitik festgelegt ist. Darin wird das Recht auf angemessenen und qualitativ hochwertigen Wohnraum zu vernünftigen Preisen als wichtiges Grundrecht bezeichnet. Gleichzeitig bestätigt die Entschließung unsere Auffassung, dass die Wohnungspolitik in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fällt.
Damit auch morgen noch jeder seine Energierechnung bezahlen kann, müssen Effizienz und erneuerbare Energien im Wärmebereich Vorfahrt erhalten. In vielen Altbauten verpufft über die Hälfte der Wärme unnütz nach draußen. Diese Verschwendung können wir uns nicht mehr leisten. In Ergänzung zu den nationalen Programmen fordern wir auch eine aktive Rolle der EU in diesem Bereich. Darum haben wir die kürzlich angenommene Änderung der EFRE-Verordnung unterstützt, welche Energieeffizienz und erneuerbare Energien im Wohnungsbau in allen Mitgliedstaaten ermöglicht. Dadurch sind die Rahmenbedingungen von Seiten der EU geschaffen. Nun ist es an den Mitgliedstaaten und den Regionen, diese Möglichkeit zu nutzen und Fördergelder zur Verfügung zu stellen.
Wir stimmen der Forderung zu, dass Kohäsionsmittel der EU für den Sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden sollen. Die Inanspruchnahme von EU-Beihilfen möchten wir aber auf den Sozialen Wohnungsbau der öffentlichen Hand beschränkt sehen. Eine Förderung privater Wohnungsbaufirmen soll ausgeschlossen sein.
Das Konzept der Sozialen Stadt war schon immer ein Anliegen der Grünen. In Deutschland gibt es gute Ansätze dafür, die viele unserer Forderungen abdecken. Die zunehmenden Privatisierungen von kommunalen Wohnungsbeständen sehen wir in diesem Zusammenhang kritisch. Der größte Teil wird an private Investoren und Immobiliengesellschaften verkauft, deren Interessen vorrangig in einer schnellen Rendite und anschließendem Weiterverkauf bestehen. Leidtragende sind die Mieter, in vielen Fällen einkommensschwache Haushalte. Öffentliche Wohnungsgesellschaften sind häufig die besseren und verlässlicheren Partner von stadtentwicklungspolitischen Programmen sowie bei der Umsetzung von Modernisierungen, energetischen Sanierungen und barrierefreien Umbauten. Deshalb sprechen wir uns gegen weitere Privatisierungen von öffentlichen Wohnungsunternehmen aus. Vielmehr ist die öffentliche Hand gefragt, wieder mehr in den Neubau von Wohngebäuden zu investieren und Wohnraumkonzepte zu entwickeln.
Martina Michels / Die Linken
Das Grundrecht auf menschenwürdige und bedarfsgerechte Wohnungen für alle gehört ins Grundgesetz. In Artikel II-94 der Charta der Grundrechte der EU findet sich bereits das Recht auf Unterstützung für die Wohnung, die ein menschenwürdiges Dasein sicherstellt. Daraus folgt, dass ein bedarfsgerechtes Wohngeld gezahlt werden muss. Die Höhe der Erstattung der Wohnkosten für ALG-II-Empfänger ist stets an die tatsächliche Mietentwicklung anzupassen. Die Linke fordert, Mittel für den Sozialen Wohnungsbau bereitzustellen. Dort, wo kommunale Wohnungen nicht (mehr) vorhanden sind, soll ein neuer Bestand aufgebaut werden, um bezahlbare Wohnungen im ganzen Stadtgebiet anbieten zu können und Segregation zu verhindern. Durch die Umsetzung bereits vorhandener EU-Richtlinien, zum Beispiel in einem Lärmaktionsplan, können die Wohnverhältnisse vor Ort gesünder gestaltet werden. Der Energieausweis sollte als Kopie ausgehändigt und Bestandteil des Mietvertrages werden. Energieeffizienz und erschwingliches Wohnen schließen sich nicht grundsätzlich aus. Es gibt gute Beispiele, bei denen nach der energetischen Sanierung die Bruttowarmmiete nicht gestiegen ist, weil die Betriebskosten deutlich gesenkt werden konnten. Energetische Maßnahmen können für Vermieter und letztlich Mieter nur mit finanziellen Förderprogrammen umgesetzt werden.
Der Berliner Europawahl-Spitzenkandidat der CDU, Joachim Zeller, ist der Bitte des MieterMagazin um eine Stellungnahme zu den Wahlprüfsteinen nicht nachgekommen.
MieterMagazin 6/09
07.06.2013