So wichtig der mit angestellten Mitarbeitern ausgestattete Dienstleistungsbereich des Berliner Mietervereins ist – ohne die Arbeit der aktiven Mitglieder an der Basis wäre der Verein nicht funktionsfähig. Sie organisieren in den Bezirken Mieterversammlungen, machen bei öffentlichen Veranstaltungen Info-Stände und setzen sich bei Lokalpolitikern für eine mieterfreundliche Politik ein. Vor allem aber ermutigen sie Mieter, die von Mieterhöhung oder Verdrängung bedroht sind, sich gemeinschaftlich zur Wehr zu setzen.
„Mir ist wichtig, dass die Mieten nicht noch mehr steigen“, erklärt Renate Richter, frischgebackene Leiterin der Bezirksgruppe Charlottenburg-Wilmersdorf beim Berliner Mieterverein (BMV). Sie ist zwar schon länger Mitglied, doch mit der Übernahme der Bezirksleitung ist sie ins kalte Wasser gesprungen. „Wenn mich etwas ärgert, muss ich etwas tun, und ich weiß, dass Flugblätter verteilen alleine nicht hilft“, sagt sie zu ihrer Motivation. Gemeinsam mit Kiezinitiativen, etwa am Klausenerplatz, will sie sich für bezahlbare Mieten engagieren und dabei auch über die Bezirksverordneten Einfluss nehmen. Nach dem Tod des sehr engagierten, langjährigen Bezirksleiters Otto Eigen lag die Arbeit nahezu brach, nun will Renate Richter für neuen Schwung sorgen.
Der Berliner Mieterverein versteht sich als Selbsthilfeorganisation. Der Aufbau ist demokratisch, über die Bezirksgruppen sind die Mitglieder an der Willensbildung des Vereins beteiligt und bestimmen den politischen Kurs mit (siehe auch Kasten). Die jeweiligen Arbeitsschwerpunkte und Strukturen sind in den einzelnen Bezirken allerdings völlig unterschiedlich. Es gibt Bezirksgruppen, die sich jede Woche treffen und darüber hinaus Ausflüge unternehmen. Andere kommen nur alle paar Monate zusammen.
Zu den Bezirksleitern mit einem zeitweiligen Achtstundentag gehört Lieselotte Bertermann. Kurz nach der Wende im Ostteil der Stadt hatte sie die Bezirksgruppe Lichtenberg mitgegründet. Seitdem ist sie mit Unterbrechungen für den BMV aktiv. Sie geht zu Ausschusssitzungen, pflegt den Kontakt zu den Mieterbeiräten des Wohnungsunternehmens Howoge sowie zu Parteien und Vereinen und sammelt Unterschriften für das Energie-Volksbegehren. Auch bei dem vom Bezirksbürgermeister ins Leben gerufenen Runden Tisch Wohnen in Lichtenberg ist sie dabei – und schaut den beteiligten Wohnungsbaugesellschaften genau auf die Finger, ob sie ihre Selbstverpflichtungen auch einhalten. Als vor einiger Zeit rund 200 Mieter in einem Wohnkomplex der GSW mit modernisierungsbedingten Mieterhöhungen um 130 Prozent konfrontiert wurden, steckte sie Infoblätter in die Briefkästen. Mittlerweile ist sie als Repräsentantin des Berliner Mietervereins so bekannt, dass sie regelmäßig zu Veranstaltungen als Rednerin oder Diskussionsteilnehmerin eingeladen wird. „Mir macht es Spaß, aktiv zu bleiben und meine grauen Zellen in Bewegung zu halten“, meint die 75-Jährige.
Wissen, wo es brennt
Es gehört zur Vereinskultur des BMV, die Bezirksgruppen nah an die Servicetätigkeiten des Vereins heranzuführen. Zwar sind die dort Aktiven keine Juristen und können daher keine Rechtsberatung vornehmen. Aber durch Schulungen erhalten sie wichtiges Hintergrundwissen. Die meisten Bezirksgruppen beteiligen sich an der organisatorischen Betreuung der Beratungsstellen in den Bezirken. Auf diese Weise sind sie mit den Problemen im Kiez vertraut und erfahren als erste, wo es „brennt“. Hilfe zur Selbsthilfe lautet das Motto.
Doch so wichtig eine qualifizierte Beratung auch ist – genauso wichtig ist es, seine Interessen nach außen zu vertreten. Die Mitglieder zu motivieren, sich zusammenzuschließen und aktiv zu werden, betrachtet der Bezirksleiter von Mitte, Wilfried Jugl, daher als eine der wichtigsten Aufgaben. Gemeinsam ist man bekanntlich stärker. Als beispielsweise das Unternehmen Schering vor einiger Zeit ein Haus in Wedding abreißen wollte, hat die Gruppe Mieterversammlungen organisiert und ist mit den betroffenen Mietern in die Sitzung des Bauausschusses gegangen. Immerhin konnten bessere Auszugskonditionen ausgehandelt werden – ein Teilerfolg, wie Jugl sagt.
Druck auf Politiker auszuüben ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt aller aktiven Bezirksgruppen. Regelmäßig finden Gespräche mit dem Bezirksbürgermeister oder dem Baustadtrat statt, bei denen die aktuellen Probleme der Mieter vorgetragen werden. Die Spekulation mit Sozialwohnungen, Zweckentfremdung und Abriss von Wohnraum sind gerade in Mitte drängende Probleme.
Jeden vierten Donnerstag im Monat lädt die Bezirksgruppe Mitte zum Aktiventreffen. Dazu werden immer kompetente Gesprächspartner eingeladen, beispielsweise zum neuen Mietrechtsänderungsgesetz oder zu Möglichkeiten der Heizkosteneinsparung. Doch es ist nicht einfach, neue Mitstreiter zu gewinnen. So musste der gemeinsam mit der Stadtteilvertretung Müllerstraße eingerichtete Weddinger Mietertreff mangels Resonanz wieder eingestellt werden.
Das Ehrenamt liegt nicht im Trend
„Es fehlen Leute, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, da geht es uns nicht anders wie den politischen Parteien“, sagt Edwin Massalsky vom Vorstand des BMV. Es sei schade, dass es nicht in allen Bezirken Gruppen gibt, die auch nach außen aktiv sind. Engagement, so seine Erfahrung, ist oft abhängig von Einzelpersonen: „Ohne einen solchen Motor läuft es nicht.“
„Jüngere Leute tun sich schwer mit ehrenamtlichem Engagement“, sagt Jürgen Wilhelm, langjähriger Bezirksleiter aus Spandau. Auch die Zahl der Mietergemeinschaften, bei denen sich betroffene Mieter einer Wohnanlage zusammenschließen, sei zurückgegangen. Für viele sei der Mieterverein nur noch ein Serviceunternehmen.
Dass man das Vereinsleben nicht genügend pflege, glaubt Thomas Koch nicht. Er ist in der Hauptgeschäftsstelle des BMV für die Betreuung der Bezirksgruppen zuständig und sagt: „Bezirksgruppen, die gemeinsame Feste oder Fahrten machen möchten, unterstützen wir dabei.“ Aber für viele Mitglieder sei der Verein nun mal ein Dienstleister. „Sie haben den Anspruch, dass er sie auch politisch vertritt, ohne das sie selbst aktiv werden müssen“, so Koch. Immer mehr Menschen, so seine Einschätzung, wollen sich nicht mehr in einem Verein betätigen.
Darauf hat der Verein reagiert – Netzwerkarbeit heißt das Schlagwort: Die Zusammenarbeit mit Initiativen bündelt Kräfte und sorgt für eine bessere Schlagkraft. So arbeitet die Bezirksgruppe Mitte bereits seit einiger Zeit mit dem „B-Laden“, einer Stadtteilvertretung in Moabit zusammen. Es gab gemeinsame Veranstaltungen und Gesprächsrunden, etwa zum Mietspiegel oder zum Milieuschutz für die Lehrter Straße. Auch beim „Runden Tisch Gentrifizierung“, einem Zusammenschluss verschiedener Initiativen, ist die Bezirksgruppe des Mietervereins beteiligt. Für den 4. Juni ist ein Kongress zum Thema „Strategien gegen Verdrängung“ geplant.
Doch wer würde schon einen großen Teil seiner Freizeit opfern, wenn die Sache nicht auch Freude machen würde? „Mir macht es Spaß, Mieterversammlungen zu organisieren, außerdem ist es ein schönes Gefühl, wenn man Leuten helfen kann“, meint dazu Jürgen Wilhelm. Die Angst der Mieter sei größer geworden. Aus Furcht, die Wohnung zu verlieren, schlucken sie Mieterhöhungen oder Modernisierungen, so der Spandauer: „Den Leuten diese Angst zu nehmen, ist ein gutes Gefühl.“ Dafür macht er auch gerne seit Jahrzehnten einen unbezahlten Fulltime-Job. Seine Erfahrung: Es lohnt sich, zu kämpfen.
Birgit Leiß
MieterMagazin 6/13
Fotos: Sabine Münch
Die Lichtenbergerin Lieselotte Bertermann ist mittlerweile eine gefragte Referentin aus den Reihen des BMV
„Leuten zu helfen ist ein schönes Gefühl“: der Spandauer Bezirksleiter Jürgen Wilhelm (vorn) an einem BMV-Infostand
Erfolge durch organisierten Druck: Wilfried Jugl steht der BMV-Bezirksgruppe Mitte vor
Alle Bezirksgruppen freuen sich über Verstärkung. Wer mitmachen möchte, auch bei einzelnen Veranstaltungen oder Aktionen, kann sich beim Berliner Mieterverein melden, Ansprechpartner ist Thomas Koch. Auch Initiativen, die Kooperationspartner suchen, sind willkommen.
Tel. 226 26 144
E-Mail: koch@berliner-mieterverein.de
Nächste Veranstaltung der Bezirksgruppe Mitte: Forum mit Kandidaten aller Parteien für den Bundestag 2013 zum Thema „Ist Wohnen noch für alle Bürger bezahlbar?“ am Donnerstag, 27. Juni, 18 Uhr in der Seniorenfreizeitstätte Torstraße 203/205
Kongress „Strategien gegen Verdrängung“, veranstaltet vom Runden Tisch Gentrifizierung Moabit am 4. Juni von 17 bis 20 Uhr im Stadtschloss Moabit, Rostocker Straße 32
Rat und Tat
So bestimmen Bezirksaktive die Vereinspolitik
In jedem Bezirk gibt es eine Bezirksgruppe des Berliner Mietervereins. Die Bezirksleitung besteht aus drei Personen, die für drei Jahre von der Bezirksmitgliederversammlung gewählt werden. Außerdem gibt es sogenannte kooptierte Mitglieder, die in der Gruppe aktiv sind, ohne gewählt zu sein. Jede Bezirksgruppe hat einen eigenen finanziellen Etat, über dessen Verwendung sie weitgehend autonom entscheiden kann. Die Bezirksleitungen sind im Beirat des BMV vertreten. Laut Satzung entscheiden sie gemeinsam mit dem Vorstand, den Sprechern der Arbeitsausschüsse und einem hauptamtlichen Mitarbeiter über organisatorische Dinge, etwa über die Höhe der Mitgliedsgebühr. Aber auch die wohnungs- und mietenpolitischen Richtlinien des Vereins werden im Beirat erarbeitet, wobei die Delegiertenversammlung als höchstes Beschlussorgan das letzte Wort hat. Die Delegiertenversammlung findet in der Regel einmal im Jahr statt. Neben dem Vorstand und den Bezirksleitungen sind hier weitere 200 von den Bezirksgruppen gewählte Mitglieder vertreten.
bl
18.08.2013