Wenn Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel bei den Delegierten des Berliner Mietervereins (BMV) auf ein Heimspiel hoffte, nur weil in jüngster Zeit einige aus Mietersicht begrüßenswerte politische Entscheidungen gefallen sind, wurde er enttäuscht. Die jährliche Zusammenkunft des obersten BMV-Gremiums, die Delegiertenversammlung, ließ den Senator wissen, dass die aus ihrer Sicht dringlichste Frage nach Mobilisierung von Wohnraum zu bezahlbaren Mieten einer Antwort und seines Einsatzes harrt.
Als es darum ging, den Entwurf der Mietpreisbremse im Rahmen des Bundesgesetzgebungsverfahrens noch einmal nachzubessern, habe der Berliner Stadtentwicklungssenator keine rühmliche Rolle gespielt, eröffnete der BMV-Vorsitzende Edwin Massalsky den Disput. Und so wie die Mietpreisbremse nun in Kraft tritt, habe sie für ein Drittel der Berliner keine Wirkung. Man hoffe nun, so der Vorsitzende zum Senator, dass es im Hinblick auf die beabsichtigte zweite Tranche der Mietrechtsnovellierung noch zu einem gründlichen Gedankenaustausch komme. Angemahnt wurde von Massalsky auch eine Politik, die dem Zweck und dem Namen des Sozialen Wohnungsbaus wieder gerecht wird.
Geisels Einlassung „Zu lange ist die Fiktion aufrechterhalten worden, dass es genug Wohnraum in Berlin gäbe“ kann man immerhin als Eingeständnis nehmen, dass Wohnungspolitiker seiner Partei wertvolle Zeit verschenkt haben. Dass der vom Stadtentwicklungssenator als Allheilmittel gepriesene Neubau auch neue Probleme mit sich bringt, ist Geisel bewusst: Die Entwicklung der Grundstückspreise sei besorgniserregend. Überdies locken die augenblicklich schlechten Renditen auf dem Finanzmarkt Investoren verstärkt in die Spekulation mit Immobilien. Landeseigene Grundstücke werde man nun verstärkt lenkend einsetzen: Wer bei der Vergabe zum Zug kommt, muss sich auf eine 25-prozentige Sozialbindung verpflichten.
Keine Privatisierung mehr bei den Städtischen
Einige Ankündigungen ließen – weil neu – die Delegierten dann aber doch aufhorchen: Der Senator will sich für ein verfassungsrechtlich verankertes Privatisierungsverbot kommunaler Wohnungsbestände stark machen. In den nächsten zehn Jahren soll der Bestand der Städtischen von 300 000 auf 400 000 Wohnungen steigen, sowohl durch Zukauf wie auch durch eine deutlich aufgestockte Neubauförderung.
Die Ansagen des Senators fallen wohl nicht zufällig in die Auftaktzeit des „Berliner Mietenvolksentscheids“, das auch vom Berliner Mieterverein unterstützt wird. Das Anliegen der Initiative ist populär, mit einem Erfolg des Plebiszits muss der Senat rechnen. So versucht Geisel wohl die Geister einzufangen, indem er viele Anliegen des Volksbegehrens für berechtigt erklärt und Gesprächsbereitschaft für eine gemeinsame Lösung mit den Initiativen signalisiert. Aber er holt auch zu einem grundsätzlichen Angriff aus: Ein Erfolg des Volksentscheids würde alle verfügbaren Finanzmittel der Stadt binden, für andere Aufgaben und Anliegen verschiedener Bevölkerungsgruppen bliebe nichts übrig. Geisel: „Wird der Interessenausgleich in der Gesellschaft durch diese Form der direkten Demokratie nicht ausgehebelt?“
Die folgende Diskussion zeigte, dass die Delegierten weiterhin vor allem die Sorge um bezahlbaren Wohnraum umtreibt. Der bislang realisierte Neubau sei nicht das, was man sich unter einer sozialen Wohnraumversorgung vorstelle. Ob man politisch tatsächlich am „gleichen Strang“ zieht, wie Geisel den Mietervertretern abschließend versicherte, bleibt abzuwarten – die Delegierten werden den Stadtentwicklungssenator an seinen jetzigen Ankündigungen messen.
Udo Hildenstab
Die Bilanz eines Jahres
Der Berliner Mieterverein (BMV) ist unter den deutschen Mietervereinen der mit den meisten Mitgliedern. Und er ist noch immer auf Wachstumskurs: Rund 2000 Mitglieder (plus 1,2 Prozent) hat der BMV im vergangenen Jahr hinzugewonnen, so Geschäftsführer Reiner Wild in seiner Bilanz vor der Delegiertenversammlung. Interessant: Zwei Drittel werden aus reiner Vorsorge Mitglied, nur ein Drittel treibt ein aktuelles Mietrechtsproblem.
Nach einer Untersuchung stellen Mundpropaganda und eine gute Öffentlichkeitsarbeit die erfolgreichste Werbung für den Mieterverein dar. Reiner Wild: „90 Prozent der Befragten haben sowohl die Arbeit als auch das Image des BMV als gut bezeichnet.“ Die Rechtsberater des Mietervereins haben im vergangenen Jahr 70 000 Beratungen durchgeführt. Wirtschaftlich steht der Verein auf stabilen Beinen.
Anhand diverser Anträge aus den Bezirken haben die Delegierten dem Verein Aufgaben für das kommende Jahr erteilt. Zur Vorlage auf dem Deutschen Mietertag wurden ein Leitantrag („Mehr Mieterschutz ist dringender denn je“) sowie 13 Einzelanträge mit konkreten wohnungspolitischen Forderungen formuliert.
uh
01.06.2015