Berlins Wohnungsprobleme wünscht man wirklich niemanden, aber im Vergleich zu ihnen sind die Missstände in anderen Ballungsräumen der Welt um ein Vielfaches krasser. Diese Erkenntnis gewann die Geschäftsführung des Berliner Mietervereins (BMV) auf dem diesjährigen Kongress der International Union of Tenants (IUT), der vom 19. bis 21. April in Lissabon stattfand.
Ob in Skopje oder Sarajewo, Dublin, Brisbane oder Toronto: Vielerorts auf der Welt gibt es keine Regeln, mit denen die Miete nach einer Modernisierung begrenzt wird. Vielmehr werden Mietende dann einfach gekündigt, geradezu hinausgeworfen. Englischsprachige Aktivisten auf dem Kongress des Internationalen Mieterverbands sprechen von „Renoviction“, zusammengesetzt aus renovation und eviction (Vertreibung). Doch dagegen regt sich Widerstand. So hat die australische Aktivistin Eirene Noyce aus Victoria während der Corona-Krise landesweit Mietenstreiks organisiert und dadurch ein befristetes Mietenmoratorium erreicht. Ihre Flashmob-Bewegung hat sich dabei zur größten Mieterorganisation Australiens entwickelt.
Der Austausch über solche Erfolge motiviert vor allem kleinere Länder wie Nord-Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, wo erst wenige hundert Mieterinnen und Mieter organisiert sind.
Etwas optimistischer stimmten die Berichte aus Ländern wie Portugal, Barcelona und Deutschland, vor allem aber aus Schweden. Die dortige Mieterbewegung hat seit den 1950er Jahren eine so starke Stellung, dass sie ähnlich einer Gewerkschaft sogar Mieten aushandelt. Kaum verwunderlich, dass Schweden dem IUT seit jeher starke Impulse gibt, mit Marie Linder auch deren Präsidentin stellt und ein Büro in Brüssel unterhält.
„Manche Schilderungen der drei Kongresstage lassen eher an Verhältnisse wie im 19. Jahrhundert als an das Jahr 2023 denken“, resümierte Linder. Entsprechend einstimmig wurde die Schlusserklärung angenommen: Der IUT fordert unter anderem das Verbot von Modernisierungs-Preistreiberei, also von „Renovictions“, staatliche Maßnahmen zur Mieten- und Energiekostenbegrenzung sowie eine größtmögliche institutionelle Beteiligung der Mieterschaft bis hin zum Mitspracherecht an Gesetzgebungsverfahren für Mietergewerkschaften.
Sebastian Bartels
26.05.2023