Im Refugio in der Lenaustraße 4 wohnen rund 40 junge Leute, Geflüchtete und Einheimische, auf drei Wohnetagen – eine Gemeinschaft, die Talente teilt und miteinander wächst, so beschreibt es der Träger des Wohnprojekts, die Berliner Stadtmission.
Manchmal versteht Anna Pass das riesige Medieninteresse selbst nicht. Sogar die britische Queen Camilla stattete dem Haus kürzlich einen Besuch ab. „Eigentlich sollte eine solche Unterbringung doch normal sein“, findet die Leiterin der Einrichtung. Stattdessen würden weiter Massenunterkünfte gebaut, in denen die Leute dann nur unter sich sind.
2015, auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs, hat die Stadtmission das Modellprojekt in Neukölln gegründet. Ein Bewohner der ersten Stunde ist Eyad aus Syrien. Er hatte von einem Freund von dem Projekt gehört und war anfangs nicht so begeistert davon, die Küche mit anderen teilen zu müssen. Mittlerweile hat er sich daran gewöhnt – und wie in jeder Groß-WG existieren nun mal unterschiedliche Auffassungen von Sauberkeit, meint der 36-Jährige. Aber nach der Zeit in einem Flüchtlingsheim ohne jede Privatsphäre war sein neues Zuhause eine Wohltat. Es sollte eigentlich nur für ein paar Monate sein, der erste Schritt in sein neues Leben. Aber acht Jahre später wohnt er immer noch da. Denn der Wirtschaftsinformatiker hat zwar nach dem Studium schnell einen Job gefunden, aber eine eigene Wohnung sucht er bislang vergeblich. „Ich finde das Refugio großartig“, betont er. „Ich habe hier viele unterschiedliche Geschichten, Traumata und Erfahrungen mitbekommen – alles hat mich persönlich berührt und bereichert.“ Er sei toleranter geworden und entspannter. Doch auf Dauer sei ein Zimmer zum Wohnen und Schlafen zu klein, zumal er oft von zu Hause aus arbeitet.
Die Nachfrage steigt, die Fluktuation ist gering
Angedacht war ursprünglich, dass die Neuankömmlinge maximal 18 Monate in diesem Projekt bleiben. Aber das erwies sich angesichts der Wohnungssituation als unrealistisch, erklärt Anna Pass. Die Nachfrage ist riesig und die Fluktuation gering. Es wird allerdings niemand unter Druck gesetzt, auszuziehen. Wird ein Zimmer frei, entscheiden die Bewohner:innen selber, wer nachfolgt, erklärt Anna Pass: „Wir achten lediglich darauf, dass die Belegung nach Herkunft und Geschlechtern gemischt ist.“
Katja aus der Ukraine würde am liebsten langfristig bleiben: „Die Atmosphäre ist toll hier, und man bekommt viel Unterstützung.“ Wenn sie ein Behördenschreiben nicht versteht oder das Jobcenter anrufen muss, fragt sie eine deutschsprachige Mitbewohnerin. „Und wenn man sich einsam fühlt, kann man einfach runter ins Café gehen und sich mit anderen unterhalten“, erklärt die 23-Jährige.
Was Eyad und Katja am meisten schätzen: dass man hier so viele Kontakte knüpfen kann. Durch das öffentliche Café, durch die Künstlerateliers, aber auch durch die anderen Projekte, die im Haus untergebracht sind, ergeben sich viele Möglichkeiten.
Birgit Leiß
Prinzip Sharehaus
Gemeinsames Leben, Arbeiten und Teilen – das ist das Konzept der „Sharehäuser“, nach dem das Refugio entstanden ist. Neben den drei Wohnetagen gibt es 17 Ateliers, die an Externe vermietet sind, außerdem einen Veranstaltungssaal, in dem Tango-Kurse, Feste und das regelmäßige Sprachcafé stattfinden.
Auch die Stadtteilmütter, das Projekt „Give Something Back To Berlin“ mit der „Open Music School“ und der Verein „querstadtein“ haben im Haus ihr Büro. Letztere bieten Stadtführungen aus den Augen von Obdachlosen oder Geflüchteten an.
Auf den Wohnetagen leben jeweils 10 bis 15 Personen, die sich eine große Wohnküche teilen. Die Zimmer haben alle ein eigenes Bad. Sie kosten 380 bis 400 Euro inklusive Strom und riesiger Gemeinschaftsdachterrasse. Eigentümerin und Erbauerin der Lenaustraße 4 ist die Berliner Stadtmission, die zur Evangelischen Kirche gehört.
bl
26.05.2023