Auch wenn die EU nicht direkt Wohnungs-, Bau- und Stadtentwicklungspolitik betreibt, hat sie einen großen Einfluss auf das Bauen und Wohnen. Sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die EU-Verordnungen mit nationalen Gesetzen umzusetzen. So will die EU mit dem 2021 verabschiedeten Europäischen Klimagesetz den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 55 Prozent senken und bis 2050 klimaneutral werden. Damit sind die Mitgliedsstaaten in der Pflicht, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. In Deutschland hat die Bundesregierung daraufhin unter anderem das umstrittene Gebäudeenergiegesetz beschlossen, mit dem die Beheizung zügig auf klimafreundliche Energieträger umgestellt werden soll.
Außerdem stellt die EU Fördergelder für Städte und Regionen zur Verfügung. So werden beispielsweise im Rahmen des „Europäischen Green Deals“ Kohleförderregionen beim Strukturwandel unterstützt. Über das Programm „NextGenerationEU“ wurde in Frankreich die energetische Sanierung von 20. 000 Sozialwohnungen gefördert. Die Kommission hat außerdem einen Klima-Sozialfonds auf den Weg gebracht, den die Mitgliedsstaaten ab 2026 in Anspruch nehmen können, um Gebäude energieeffizient zu sanieren, saubere Heizungen zu fördern oder Haushalte zu unterstützen, die von Energiearmut betroffen sind.
Das deutsche Gebäudeenergiegesetz fußt auf einer EU-Verordnung
Am folgenschwersten regiert die EU aber als Hüterin des freien Wettbewerbs in die nationalen und kommunalen Angelegenheiten hinein. Vertragsverletzungsverfahren gegen einzelne Staaten und langwierige Gerichtsprozesse haben manchmal gravierende Konsequenzen, selbst wenn man sich am Ende gütlich einigt.
Einen unerfreulichen Verlauf hatte der sogenannte „Dutch case“, der Streit um den niederländischen Sozialen Wohnungsbau, der sich 13 Jahre lang hinzog. Die EU-Kommission hat 2005 die niederländische Regierung informiert, dass die dortigen staatlichen Beihilfen für öffentliche Wohnungsunternehmen gegen das Wettbewerbsrecht der EU verstoßen würden. Im Jahr 2009 hat sie die Niederlande angemahnt, den Sozialen Wohnungsbau gezielter auf einkommensschwache Gruppen auszurichten, und dafür konkrete Einkommensgrenzen verlangt. Das hätte unter anderem auch den deutschen Sozialen Wohnungsbau komplett in Frage gestellt, denn auch hierzulande zielt er auf die Wohnraumversorgung nicht der ärmsten, sondern breiter Bevölkerungsschichten ab.
Jetzt reicht es aus, wenn Auftrag und Ziel des Sozialen Wohnungsbaus genau beschrieben sind
Letztlich ging das ganze Verfahren aus wie das Hornberger Schießen: Das Gericht der Europäischen Union urteilte 2018, dass die Kommission zwar verlangen darf, dass Auftrag und Ziel des Sozialen Wohnungsbaus genau beschrieben werden. Dies hat aber nicht zwingend zur Folge, dass dessen Zulässigkeit am Einkommen der Bewohnerschaft bemessen wird. Die niederländische Wohnungsbauförderung war also rechtens. Die langjährige Unsicherheit während des Verfahrens hat das traditionsreiche niederländische System aber völlig verändert. Die konservativen Regierungen haben in dieser Zeit den Sozialwohnungsbau stark zurückgefahren und auch konkrete Einkommensgrenzen für die Bewohnerschaft festgelegt.
Wer mehr verdient, muss als „Schiefwohner“ eine höhere Miete zahlen und wird zum Auszug gedrängt. Eine Ghettoisierung der Sozialsiedlungen wird sehenden Auges in Kauf genommen. Gleichzeitig hat die Niederlande die Eigenheimförderung stark erhöht.
Ähnliche Verfahren gab es auch gegen die Finanzierung des Sozialen Wohnungsbaus in Frankreich, Schweden und Irland. Mit dem niederländischen Fall ist klargestellt, dass Sozialwohnungen zur Daseinsvorsorge gehören und daher nicht dem Beihilferecht der EU unterliegen.
Das oft als machtlos geschmähte Europäische Parlament hat Ende Februar mit großer Mehrheit einen Beschluss gefasst, der den touristisch attraktiven und davon stark in Anspruch genommenen Städten vermutlich helfen wird: Kurzzeitvermietungen werden strenger reguliert. Ferienwohnungsportale wie Airbnb und Booking.com dürfen keine Anzeigen mehr freischalten, wenn die geforderte offizielle Registrierungsnummer der angebotenen Unterkunft fehlt. Die Portalbetreiber werden auch verpflichtet, den Behörden monatlich Tätigkeitsdaten zu übermitteln. Ein einheitliches Registrierungssystem soll Licht in das intransparente Geschäft mit den Kurzzeitvermietungen bringen.
Fast 25 Prozent aller touristischen Übernachtungen in der EU werden mittlerweile über die global tätigen Online-Vermittlungsportale gebucht. In den gefragten Städten entzieht die teils legale, teils illegale Ferienbeherbergung dem Mietmarkt dringend benötigten Wohnraum und treibt die Mieten hoch. Das ist längst kein lokales Problem mehr. 22 europäische Städte, darunter auch Berlin, hatten sich 2020 zusammengeschlossen, um gemeinsam von der EU ein
länderübergreifendes Vorgehen zu fordern – nach vier Jahren mit Erfolg.
Jens Sethmann
Europäische Kommission ./. Gemeinde Selfkant
Schweres Geschütz hat die EU gegen die 10 .000-Einwohner-Gemeinde Selfkant aufgefahren. Wegen der Baulandvergabe der nordrhein-westfälischen Kommune startete die EU-Kommission 2007 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Die Gemeinde verkaufte Baugrundstücke an Einheimische mit einem Preisrabatt von einem Drittel. Die EU sah darin eine rechtswidrige Ungleichbehandlung und einen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Das Verfahren wurde 2009 noch auf vier bayerische Gemeinden ausgeweitet. Man einigte sich schließlich 2017 darauf, dass Einheimische nur dann bevorzugt werden dürfen, wenn sie gleichzeitig ein geringeres Einkommen und Vermögen haben als die örtliche Bevölkerung.
js
29.05.2024