Full house bei der Podiumsdiskussion mit Finanzsenator Thilo Sarrazin und Fraktionsvertretern. Auf Einladung des Berliner Mietervereins (BMV) waren im Haus des Lehrers am Alexanderplatz Vertreter aller Fraktionen im Abgeordnetenhaus zur Podiumsdiskussion über die Zukunft der Städtischen Wohnungsunternehmen erschienen.
„Brauchen wir die Städtischen und wenn ja, wozu brauchen wir sie?“ Über diese Kernfrage – so der Vorsitzende des Berliner Mietervereins, Edwin Massalsky – sollte diskutiert werden. Eine Antwort auf diese Frage blieb der Finanzsenator allerdings schuldig. „Behalten oder nicht, das hat keinen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Es gibt keinen belegbaren Zusammenhang zwischen niedrigen Mieten und dem Anteil der Wohnungen, die die städtischen Wohnungsunternehmen haben.“ Als Beleg führte der Finanzsenator zahlreiche Städte an, die diesen angeblichen Zusammenhang widerlegten. Eine Position, die vom PDS-Koalitionspartner Nelken auf dem Podium unterstrichen wurde. Um billige Wohnungen zu sichern, brauche man die Städtischen nicht. Allerdings, so Nelken, hätten wohnungspolitische Argumente beim Verkauf auch gar keine Rolle gespielt – eine Einsicht, die wohl kaum einen der Anwesenden überraschte.
Der Hauptgeschäftsführer des BMV, Hartmann Vetter, widersprach Sarrazin. Er hält den Städtevergleich für oberflächlich und unterstrich die weitergehende Bedeutung der städtischen Wohnungsunternehmen für Berlin. Es gehe, so Vetter, um die Unternehmen als Partner für eine sozial integrative Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Es gehe um das Absichern eines Vermieterverhaltens, das langfristig eine ordentliche Bewirtschaftung von Wohnungen und einen angemessenen Umgang mit Mieterinteressen sichere, die bekanntermaßen nicht darauf zu reduzieren seien, „… dass die Mieten niedrig sind.“ Mit dem „Schwarzbuch Privatisierung“ habe man belegt, dass die neuen Investoren auch eine besorgniserregende neue Gangart eingeführt hätten. Entscheidend sei, an wen veräußert werde. Mit dieser Aussage war das „Heuschreckenthema“ auf dem Tisch, auf das wohl die meisten Anwesenden gewartet hatten. Bis auf den FDP-Vertreter herrschte auf dem Podium Konsens, dass weitere Abverkäufe den Berliner Wohnungsmarkt nicht zur Weidefläche für Heuschrecken machen dürfen, die den Berlinern nach dem Abgrasen nur noch die teure Schadensverwaltung übrig ließe. Der Finanzsenator bescheinigte den so genannten Heuschrecken dagegen große „Seriosität“ und warf dem Mieterverein Angstpropaganda vor. Ob die abschließende Aufforderung von Hartmann Vetter Früchte trägt, sich doch einmal eingehend mit den Schwarzbuch-Inhalten zu befassen statt von Panikmache zu reden, wird man sehen. In jedem Fall aber stehen Unternehmen wie Cerberus, Oaktree, Apellas, Vivacon und andere nun in Berlin unter verstärkter Beobachtung der Öffentlichkeit.
ah
MieterMagazin 7+8/06
‚Ob städtisch oder privat hat keinen Einfluss auf den Wohnungsmarkt‘: Finanzsenator Sarrazin auf einer BMV-Veranstaltung
Foto: Paul Glaser
29.07.2013