Der Senat hat einen Bebauungsplan beschlossen, mit dem die Ödnis um den neuen Hauptbahnhof beseitigt werden soll. Das Abgeordnetenhaus soll noch vor der Sommerpause zustimmen. Damit wird Baurecht für das unmittelbare Bahnhofsumfeld geschaffen. Wann gebaut wird, ist damit noch nicht gesagt.
Den Namenszusatz „Lehrter Bahnhof“ hat die Bahn beim neuen Hauptbahnhof entgegen ihrer Versprechungen klammheimlich weggelassen. Doch im Bahnhofsviertel, das um den Hauptbahnhof entstehen soll, lässt die Bahn die niedersächsische Kleinstadt weiterleben: „Lehrter Stadtquartier“ soll es heißen.
Das städtebauliche Konzept stammt aus einem Wettbewerb von 1994, den Oswald Mathias Ungers gewonnen hat. Er entwarf fünf Blöcke und einen schräggestellten Kubus auf der Südseite des Bahnhofs sowie zwei Blöcke und ein 100 Meter hohes Hochhaus an der Invalidenstraße. So ist es nun auch im Bebauungsplan II-201 a festgesetzt, an dem der Senat schon seit zwölf Jahren arbeitet. Die Bearbeitung der anderen Pläne, die auch den Containerbahnhof an der Heidestraße einschließen sollten, wurde nach und nach eingestellt. Und auch bei dem letzten, jetzt beschlossenen Teilplan wurde der Humboldthafen ausgeklammert. Das Hafengelände gehört dem Land Berlin, und innerhalb der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist man uneinig über die Ungerssche Planung, die hier eine aufgestelzte Umbauung des Hafenbeckens vorsieht. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer will darüber noch mal diskutieren.
Das engere Bahnhofsumfeld gehört der Bahnflächenvermarktungsgesellschaft „Vivico Real Estate“. Das „Lehrter Stadtquartier“ soll 112.500 Quadratmeter für Büros, 26.500 Quadratmeter für Wohnungen und 6000 Quadratmeter für Einzelhandel haben und – so das ehrgeizige Ziel der Bahn – bis „spätestens 2010“ fertig sein. Dazu müssten erst mal Investoren gefunden werden. Zumindest für ein Hochhaus an der Invalidenstraße dürfte das schwierig sein. Die Bahn selbst, deren Mietvertrag im Sony-Hochhaus am Potsdamer Platz 2009 ausläuft, hat abgewunken. Sie wird das Hochhaus nicht als Konzernzentrale bauen, sondern in die Bügelbauten ziehen, die die Bahnhofshalle überspannen. Fraglich ist auch, ob überhaupt Wohnungen gebaut werden, die für ein lebendiges Stadtviertel unerlässlich wären. Der Bahnlärm dürfte die Vermarktungschancen der teuren Wohnungen schmälern.
Jens Sethmann
MieterMagazin 7+8/06
Ein aufgewärmtes Altkonzept will Urbanität in die Hauptbahnhofs-Ödnis bringen
Foto: Christian Muhrbeck
29.07.2013