2006 gibt es besonders viele Blütenstäube, beobachten Experten. Keine gute Nachricht für Allergiker. Denn Heuschnupfen ist mehr als eine lästige Lappalie – er trübt Leistung und Lebensfreude. Wie Pollenallergiker sich und ihr Zuhause wappnen können.
Endlich Sonne! Die Lust auf Unternehmungen im Freien steigt, die meisten Menschen reagieren offener, viele spüren Schmetterlinge im Bauch. Bei Pollenallergikern aber kribbelt es vor allem in der Nase.
Inzwischen leiden etwa 25 Prozent der Bevölkerung an Heuschnupfen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie. Vor 50 Jahren war es nur jeder 50ste. Fachleute beobachten besorgt, dass die Pollensaison Jahr für Jahr früher beginnt und länger dauert. Sie machen die Erderwärmung dafür verantwortlich. Insgesamt gibt es hier zu Lande rund 100 Pflanzen, die eine Pollenallergie auslösen können. Dabei spielt das Immunsystem verrückt und reagiert auf Stoffe, die eigentlich nicht krank machen.
Schnupfen, Niesattacken, juckende und tränende Augen sind nicht nur körperlich anstrengend, sie verringern auch deutlich die Konzentration. Laut Untersuchungen büßen Kinder in der Schule und Erwachsene am Arbeitsplatz bis zu 30 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit ein. Dennoch tun viele Betroffene Heuschnupfen leichtfertig ab. Manche verwechseln ihn schlicht mit einer Erkältung, die irgendwann vorüber geht. Erkennungsdienlicher Hinweis: Bei Heuschnupfen juckt’s auch.
Doch was können Allergiker tun, um sich gegen Pollen zu schützen? Experten sind sich einig: Am meisten hilft es Betroffenen, problematischen Blütenstäuben aus dem Weg zu gehen. Ein Blick in einen Pollenflugkalender gibt einen groben Überblick, welche Pflanzen zu welcher Zeit blühen.
Einen weiten Bogen um den Blütenstaub
Ein erfolgreicher Trick, um allergieauslösenden Blühern zu entgehen: Urlaub nehmen und in pollenarme Gebiete fahren – zum Beispiel ans Meer oder ins Gebirge.
Wer daheim ausharren muss, sollte seine Planungen nach der täglichen Pollenflugvorhersage richten. Berliner können die aktuelle Belastung einer Tageszeitung entnehmen oder telefonisch bei der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID) unter Tel. 09001-11548087 erfragen. Die Daten stammen aus der Messstation auf dem Dach des „Allergie-Centrum-Charité“, die seit Anfang des Jahres in Betrieb ist. Grundsätzlich gilt: Morgens zwischen 6 und 8 Uhr und abends zwischen 18 und 23 Uhr ist der Pollenflug geringer. Die besten Zeiten für Outdoor-Aktivitäten also – und zum Lüften der Wohnung.
Ansonsten sollten Heuschnupfenpatienten die Fenster geschlossen halten. „Auch nachts fliegen Pollen“, betont Torsten Schäfer, Allergologe am Institut für Sozialmedizin der Uniklinik Lübeck. Eine Alternative zu stickiger Zimmerluft bieten Pollenschutzgitter. Das ultrafeine Gewebe wird auf den Fensterrahmen geklebt. Eine Begutachtung des „Protect“-Gitters der Firma Tesa ergab, dass es mindestens 87 Prozent der kleinsten Blütenstäube zurückhält. Dafür bekam das Produkt das Gütesiegel vom PID und die Note „gut“ vom Verbrauchermagazin Öko-Test. Wem Pollenschutzgitter nicht zum Durchatmen verhelfen, sollte den Einbau einer Klimaanlage überlegen.
Da Blütenstaub gut haftet, empfehlen Experten vorm Zubettgehen die Haare zu waschen und Straßenkleidung nicht im Schlafzimmer abzulegen. Auch nach einem längeren Aufenthalt im Freien am besten duschen und umziehen. Pollenallergiker sollten überdies täglich mit einem Spezialstaubsauger durch ihre Wohnung gehen – herkömmliche Geräte wirbeln Blütenstaub nur unnötig auf. Auf glatten Böden aus Holz, Fliesen oder Linoleum haften Pollen übrigens längst nicht so gut wie auf tiefem Teppich. Außerdem sind sie leicht abzuwischen.
Abholzen ist keine Lösung
„Blühende Bäume und Sträucher schlichtweg abholzen!“, findet mancher Heuschnupfen-Geplagte. Doch so einfach ist das nicht. Das Landgericht Frankfurt am Main entschied 1995: Ein Grundstücksnachbar kann auch nicht per Gerichtsurteil dazu verpflichtet werden, seine Birke zu fällen, weil ein angrenzender Nachbar unter einer Birkenpollenallergie leidet (Aktenzeichen 2/16 S 49/95). Das Gericht sah in der Allergie nur eine „lästige Störung“. In fast allen Bundesländern sorgen „Baumschutzverordnungen“ dafür, dass geschützte Bäume nur dann geschlagen werden dürfen, wenn von ihnen eine Gefahr für Menschen oder Sachen ausgeht, die eine Fällung beseitigen kann. Um das Kappen eines Baumes zu erwirken, müsste ein Allergiker nachweisen, dass seine Beschwerden von eben jenem Übeltäter herrühren. Das dürfte meist schwerfallen.
Bei Neubepflanzungen aber lässt sich auf Pollenallergiker Rücksicht nehmen. „Wo es geht, sollte man in Wohnanlagen allergieträchtige Pflanzungen vermeiden und nicht gerade Frühblüher wie Birken, Haselnuss oder Erlen setzen“, urteilt Allergologe Schäfer. Das schone Patienten mit Heuschnupfen – im Fall der Birken allerdings vorwiegend entfernt Wohnende. Denn die Bäume verbreiten ihre Pollen über große Distanz, während die unmittelbare Umgebung nur wenige abbekommt. Ein Problem: Birken werden oft gar nicht gepflanzt, sie wuchern mit Vorliebe auf Brachen. Kaum ein Entkommen gibt es auch vor Roggenpollen.
„Völlig allergenfrei kann man einen Hof nicht machen. Aber wir versuchen in der Nähe von Häusern keine allergieträchtigen Arten zu pflanzen“, berichtet Angela Reuter, Pressesprecherin der HOWOGE in Berlin. „Das gelingt uns nicht immer. Wir müssen zum Beispiel auf die Bodenbeschaffenheit achten.“ Alternativ zu allergenreichen Frühblühern setzt die HOWOGE Flieder, Jasmin und Nadelhölzer. Für das Gros der Wohnungsunternehmen sind Pollenallergiker indes kein Thema, ergab eine Nachfrage des MieterMagazin beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen.
Kein Halt an der Grundstücksgrenze
Allergenarmut sei kein Maßstab für die DEGEWO, sagte Pressesprecherin Erika Kröber und erläuterte: „Das wäre auch unsinnig. Pollen machen ja nicht an der DEGEWO-Grenze Halt.“ Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die Bezirksämter setzen bei neuen Pflanzungen nicht auf allergenarme Arten. „Der Wunsch ist auch noch nie an uns herangetragen worden“, berichtet Dagmar Elbrandt, stellvertretende Fachbereichsleiterin im Grünflächenamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Als Aufsichtsbehörde könnte die Senatsverwaltung eine entsprechende Richtlinie für die Bezirke erlassen, bindend wäre sie zwar nicht, manchem aber vielleicht eine Anregung.
„Alternativen zu allergenträchtigen Frühblühern sind Obstbäume und Pflanzen, die durch Insekten bestäubt werden“, sagt Schäfer. Auch Kastanien, Linden und Gingkobäume werden von Allergikern gut vertragen. Bei anderen Baumarten sei es ausreichend, auf das Geschlecht zu achten, berichtet der Ärzteverband Deutscher Allergologen (ÄDA): Bei Ahorn, Weide und Pappel produzieren nur die männlichen Bäume Pollen – weibliche sind keine Gefahr für Allergiker. Zudem rät der ÄDA auf Hecken aus Liguster und Hainbuchen zu verzichten oder sie zumindest nicht in der Blütezeit zu stutzen.
Martina Janning
MieterMagazin 7+8/06
Birkenblüte: für Pollenallergiker der Beginn des alljährlichen Martyriums
alle Fotos: Christian Muhrbeck
15 Prozent der 7-Jährigen leiden unter Allergien: Kind mit einem Inhalationsspray zur Akuthilfe
Quelle: PID, Grafik: AOK-Mediendienst
Vorsicht: Der allergische Marsch
Nur etwa zehn Prozent der Pollenallergiker lassen sich behandeln. Dabei kann Ignoranz fatale Folgen haben: Wird ein Heuschnupfen nicht therapiert, besteht die Gefahr, dass die Beschwerden eine Etage tiefer in die Bronchien wandern und chronisches Asthma entsteht. „Deshalb ist es wichtig, frühzeitig zum Arzt zu gehen“, betont Ulrich Wahn, Allergie-Experte an der Berliner Charité. „Nur durch regelmäßige Kontrolle und Behandlung kann der so genannte allergische Marsch verhindert werden.“ Leichter Heuschnupfen lässt sich mit anti-allergischen Nasensprays und Augentropfen lindern, bei schweren Symptomen sind so genannte Antihistaminika angezeigt. Um Heuschnupfen wieder loszuwerden, besteht ab einem Alter von etwa acht Jahren die Möglichkeit einer Hypersensibilisierung. Dabei spritzt ein Arzt die Wirkstoffe der Pollen unter die Haut – in regelmäßigen Abständen und steigender Dosis. So soll das Immunsystem lernen, auf Pollen nicht mehr überzureagieren. Die Behandlung dauert zwar mindestens zwei Jahre, ist aber bei 90 Prozent der Patienten erfolgreich.
mj
29.07.2013