Der umstrittene Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) ist im Frühjahr 65 Jahre alt geworden und geht zum Ende der Wahlperiode in den Ruhestand. Nun erhebt sich zum wiederholten Mal die Diskussion, ob Berlin in Zukunft überhaupt noch einen Senatsbaudirektor braucht. Oder ob man den Posten nicht kurzerhand abschaffen kann.
15 Jahre lang bestimmte Hans Stimmann die Berliner Baupolitik maßgeblich mit. Von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) 1991 nach Berlin geholt, hatte der neue Senatsbaudirektor gleich zu Beginn seiner Amtszeit genügend Gelegenheit, sich jede Menge Feinde zu machen. Alle Investoren und Architekten, die in der überhitzten Phase der Nachwendezeit in Berlin bauen wollten, mussten ihre Entwürfe über Stimmanns Schreibtisch gehen lassen. Und da wurde so mancher kühne Hochhausplan „kleingearbeitet“, wie Stimmann selbst es nannte. Unter seiner Regie wurde ein strenges Regelwerk zum Bauen in der Innenstadt aufgestellt, das sich eng an historische Vorgaben hält: Die Traufhöhe darf 22 Meter nicht überschreiten, die Gebäudefront muss an der Straßenflucht liegen, die Fassaden müssen aus steinernem Material sein und der Wohnanteil muss immer mindestens 20 Prozent betragen. Hochhäuser, Glasfassaden oder gar dekonstruktivistische Bauten waren damit tabu. „Kritische Rekonstruktion“ und „Berlinische Architektur“ nannte Stimmann seine Leitbilder. Der damalige Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter prägte dafür hingegen das Wort „Posemuckel“ und drückte am Ende doch noch seine Hochhäuser am Potsdamer Platz durch. Anhänger einer modernen Architektur nannten Stimmanns Doktrin ein „Geschmacksdiktat“ oder gar „reaktionär“, im Eifer des Gefechts hauten sich die Kontrahenten reihenweise Faschismusvorwürfe um die Ohren. Avantgarde-Architekten wie Daniel Libeskind und Rem Koolhaas zogen sich beleidigt zurück, Frank Gehry machte aus der DG-Bank am Pariser Platz fast eine Karikatur des Stimmannschen Leitbildes.
Als Staatssekretär in der Stadtentwicklungsverwaltung setzte Stimmann 1996 bis 1999 mit dem „Planwerk Innenstadt“ den historischen Stadtgrundriss als Planungsleitbild durch. Die Nachkriegsstadtplanung wurde dabei komplett ignoriert, was besonders im Osten heftige Entrüstung hervorrief.
Die damaligen Auseinandersetzungen kommen einem aus heutiger Sicht wie Szenen aus dem Kindergarten vor. Die Architektur, die heute, zehn Jahre später, gebaut wird, sieht noch konservativer aus als Stimmanns „Berlinische Architektur“ – und das freiwillig, ohne dass ein Geschmacksdiktator dahinter stünde.
Ein Amt mit großer Tradition
Das Amt des Senatsbaudirektors steht in einer großen Tradition. In der Ahnenreihe stehen Namen wie Werner Düttmann, Hans Scharoun, Hermann Henselmann, Martin Wagner und Ludwig Hoffmann, ja sogar der Berliner Architekten-Übervater Schinkel wird genannt. Dabei waren deren Amtsbezeichnungen und Aufgaben durchaus anders als die heutigen. Vor dem Krieg waren die Stadtbauräte für alle kommunalen Bauten zuständig. So hat Ludwig Hoffmann in seiner Amtszeit (1896 bis 1924) alle Berliner Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungsbauten, Museen, Feuerwehrgebäude und so weiter selbst entworfen und die Stadt damit geprägt wie bis dahin kein anderer. Sein Nachfolger Martin Wagner setzte 1926 bis 1933 vor allem neue Maßstäbe im Wohnungsbau. Nach dem Krieg beschäftigten sich die kurzzeitigen Gesamtberliner Stadtbauräte Hans Scharoun (1945 bis 1946) und Karl Bonatz (1946 bis 1948) mit Wiederaufbauplanungen. Nach der Teilung der Stadt wurde in Ost-Berlin der Posten eines Chefarchitekten geschaffen, der weitreichende Vollmachten hatte, aber fest in die Staats- und Parteihierarchie eingebunden war. Der erste und charismatischste Chefarchitekt war 1953 bis 1959 Hermann Henselmann.
In West-Berlin gibt es den Senatsbaudirektor seit 1951. Er ist dem Bausenator untergeordnet und mit kommunalen Bauaufgaben befasst. Dazu zählte in West-Berlin von der Kita bis zum Wohnungsbau fast alles. „Die Stadt musste unbedingt etwas tun, um zu überleben, denn privat geschah auf dem Bausektor nur wenig. Es wurde deshalb fast wie in einer Planwirtschaft gebaut“, erklärte Hans Christian Müller 2004 rückblickend. Als Senatsbaudirektor (1967 bis 1982) hat Müller zusammen mit seinem Vorgänger Werner Düttmann (1960 bis 1966) das Märkische Viertel geplant.
Die IBA ersetzte den Baudirektor
1982 entließ Bausenator Ulrich Rastemborski (CDU) Hans Christian Müller und ließ das Amt unbesetzt. Die übergreifende Stadtplanung werde weitgehend durch die – von Müller selbst angeregte – Internationale Bauaustellung (IBA) erfüllt, hieß es zur Begründung. Bis zur Berufung von Hans Stimmann 1991 gab es dann keinen Senatsbaudirektor mehr.
Mit den Aufgaben der Vorgänger ist das Amt heute nicht mehr zu vergleichen. Kommunale Neubauten gibt es kaum noch, der Staat zieht sich aus dem Wohnungsbau zurück. Der frühere Bausenator Wolfgang Nagel nannte seinerzeit den Senatsbaudirektor „meinen ästhetischen Arm“. Er sollte vor allem architektonische und städtebauliche Qualität bei privaten Bauvorhaben durchsetzen.
Über die Abschaffung des Senatsbaudirektors wird nun nicht das erste Mal diskutiert. Rücktrittsforderungen hatte sich der streitsüchtige Stimmann durch provokative Äußerungen reihenweise eingehandelt. Besonders CDU und FDP, aber auch die Grünen fordern, den Posten ersatzlos zu streichen. Den Konservativen sind die Ergebnisse der „Kritischen Rekonstruktion“ nicht konservativ genug, den Liberalen geht die Regulierungswut des Amtsinhabers schon generell gegen den Strich. Außerdem sei Berlin nun „fertig gebaut“, so dass man einen Senatsbaudirektor nun nicht mehr brauche.
Dieses Argument ist natürlich Unsinn. Auch wenn die Friedrichstadt und der Potsdamer Platz beinahe zu Ende „rekonstruiert“ wurden und Stimmann an vielen Stellen – etwa am Friedrichswerder und am Molkenmarkt – Pflöcke für die zukünftige Entwicklung eingeschlagen hat – „fertig“ wird eine Stadt wie Berlin nie. Am Friedrichshainer Spreeufer, am Alexanderplatz und am Zoo stehen noch große Bauvorhaben an. Gebaut wird selbst in einer Stadt, deren Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft stagniert. Architektonische und stadtgestalterische Fragen kann man dabei allerdings mit dem üblichen baurechtlichen Instrumentarium behandeln: mit Bebauungsplänen und, wenn nötig, einer Gestaltungssatzung. Das Verfahren hat den Vorteil, dass dabei auch die Bürger beteiligt werden – ein Schritt hin zur „Geschmacksdemokratie“. Die Problemlage der Berliner Stadtentwicklung hat sich allerdings verschoben. Die fortschreitende soziale Spaltung in der Stadt, die Schrumpfungsprozesse in einigen Stadtteilen und die zunehmende Alterung der Bevölkerung sind Fragen, die sich kaum mit Architektur beantworten lassen.
Den Amtssitz des Senatsbaudirektors in der Behrenstraße 42 gibt der Senat auf. Er soll verkauft werden. Seit Juni räumen Umzugsfirmen die Büros aus. Ist das eine Vorentscheidung für die Abschaffung des Senatsbaudirektors?
Jens Sethmann
MieterMagazin 7+8/06
Ästhetischer Arm oder Geschmacksdiktator?
Berlins umstrittener Senatsbaudirektor Hans Stimmann
Foto: Paul Glaser
Wie die Amtsbezeichnungen änderten sich auch die Aufgaben: Stimmann steht für ‚Berlinische Architektur‘ (Friedrichstraße)
Fotos: Kerstin Zillmer
… Hoffmann für die kommunalen Bauten zu Anfang des 20. Jahrhunderts (Pettenkofer Schule in Friedrichshain
… Düttmann/Müller für den Wohnungsbau der 60er Jahre (Märkisches Viertel)
15 Jahre Stimmann
Der 1941 in Lübeck geborene Hans Stimmann lernte erst Maurer und studierte dann Architektur. Er promovierte an der TU Berlin und wurde 1986 in Lübeck Bausenator. Von dort holte ihn der Berliner Bausenator Wolfgang Nagel 1991 als Senatsbaudirektor im Rang eines Staatssekretärs in die Spreestadt. Im Jahr 1996 verlor er mit dem Wechsel des Bausenatorenamtes von der SPD an die CDU das Amt zwar an Barbara Jakubeit, doch als Staatssekretär in der Stadtentwicklungsverwaltung machte er unter Senator Peter Strieder nahtlos weiter. Als 1999 die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Bauen zusammengelegt wurden, bekam Stimmann auch den Titel Senatsbaudirektor zurück. 2006 geht er in den Ruhestand.
js
29.07.2013