Laut der vor fünf Jahren vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen Studie „Mobilität in Deutschland“ verlassen täglich 86 Prozent der Deutschen ihr Zuhause und sind durchschnittlich 84 Minuten unterwegs. Verkehrsteilnehmer werden in dieser Zeit so viel wie möglich mit Werbung überhäuft. Als neuestes Werbemedium verunzieren übergroße, frei stehende digitale Werbetafeln das Stadtbild.
Mehr als 6000 Werbekontakten ist jeder Deutsche pro Tag ausgesetzt. Werbung im öffentlichen Raum – Plakat-, Banden- und Fassadenwerbung, Werbung auf Bussen, Pkw und Bahnen. Das alles wird allerdings oft nicht mehr als Botschaft, sondern als „optisches Hintergrundrauschen“ wahrgenommen. Die Werbung treibende Wirtschaft ist deshalb ständig auf der Suche nach neuen „Eyecatchern“.
Das „Berliner Fenster“ in den U-Bahnen machte den Anfang und zurzeit installiert die „RoyalScreen Vertriebs GmbH“ in Berlin großformatige LED-Displays. Sechs der digitalen Werbetafeln stehen bereits, unter anderem am Mariendorfer Damm, an der Roedernallee und an der Landsberger Allee. Bis zum Herbst sollen noch circa 40 solcher Bildschirme dazukommen. Bis 2010 soll das Netz europaweit ausgedehnt werden. Dann sind flächendeckende Kampagnen möglich – ein äußerst attraktives Angebot, wie RoyalScreen-Geschäftsführer Hanan Bracksmajer findet.
Andere sehen das anders. Die Industrie nutzt das neue Medium noch eher zögerlich. Das Blitzen der schnell wechselnden Bilder stört Autofahrer und Anwohner. Gegen Lärmbelastungen gibt es EU-Richtlinien – warum nicht auch gegen optische Reizüberflutung? Die Ämter können nicht gegen die Bildschirme vorgehen, da diese allesamt auf Gewerbegrundstücken stehen. Ihre Lichtintensität übersteigt mit Sicherheit die zulässigen Werte, ist aber schwer zu messen, da zugleich zahlreiche weitere Lichtquellen strahlen. Das Umweltamt des Bezirkes Tempelhof-Schöneberg hat Lichtmessungen vorgenommen, die das bestätigen. Störungen von einer nachträglich angebrachten Leuchtreklame berechtigen allerdings nicht zur Mietminderung, befand bereits 2004 das Landgericht Berlin (Grundeigentum 2004, Seite 352). Inzwischen hat sich auch der ADAC gegen die Werbetafeln ausgesprochen, da sie die Autofahrer ablenken. Die Landesverkehrswacht Berlin wirbt allerdings bereits auf den Tafeln.
Auch wenn formell nicht gegen die Tafeln vorgegangen werden kann – der öffentliche Raum verträgt nicht noch mehr Werbung, und das Stadtbild sollte nicht noch mehr verschandelt werden. Die Aufstellung von Windrädern unterliegt einem Genehmigungsverfahren. Warum gilt das nicht auch für digitale Werbetafeln?
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 7+8/07
Störend für Autofahrer und Anwohner gleichermaßen: die neuen großformatigen Werbebildschirme im Berliner Stadtbild
Foto: Christian Muhrbeck
16.07.2013