Die Berliner Wohnungspolitik der vergangenen Jahre war ein unbeackertes Feld, sich selbst überlassen und ausgesetzt den unberechenbaren Launen von Kunjunktur-Winden und Investitions-Wetter. Seit rund 200 Tagen im Amt, bekundet der neue Senator für Stadtentwicklung ernste Absichten, die Ödnis wieder zu kultivieren. Im MieterMagazin-Gespräch erzählt Michael Müller, wo mit ihm zu rechnen ist.
MieterMagazin:Beim Berliner Mieterverein sieht man ohne Veränderungen im Mietrecht nur wenige Möglichkeiten, um auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt zu Mietpreisdämpfungen zu kommen. Wird der Berliner Senat seine Mietrechtsinitiative im Bundesrat erweitern und die Forderung nach einer Kappungsgrenze bei Neuvertragsmieten unterstützen, wie sie inzwischen von der gesamten Opposition – auch von der SPD – im Deutschen Bundestag erhoben wird?
Michael Müller:Eine nachhaltige Veränderung der Mietenpolitik erreichen wir in der Tat hauptsächlich auf Bundesebene. Insofern unterstütze ich einen solchen Vorstoß.
MieterMagazin:Wo sollten die Neuvertragsmieten konkret gekappt werden?
Michael Müller:Die SPD-Bundestagsfraktion spricht von einer Begrenzung bei 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete – einen solchen Wert kann auch ich mir vorstellen.
MieterMagazin:Sozial- und belegungsgebundene Wohnungen haben Miethöhen, die über die Verhältnisse von WBS-Inhabern und Geringverdienern hinausgehen. Häufig liegen sie sogar über denen vergleichbarer freifinanzierter Wohnungen. Warum werden die Sozialmieten nicht begrenzt, um sie wieder denen zugänglich zu machen, die am meisten auf sie angewiesen sind?
Michael Müller:Es gibt teils Sozialwohnungen, die über dem Mietspiegel-Mittelwert von 5,21 Euro pro Quadratmeter liegen, insbesondere solche, die aus der Anschlussförderung herausgefallen sind. Aber wir haben uns bewusst dafür entschieden, aus dem sehr teuren Fördersystem der Sozialwohnungen auszusteigen. Ich sehe daher nicht, dass wir beim Thema Sozialwohnungen Änderungen anbieten können.
MieterMagazin:Andere können: Die Stuttgarter Wohnungspolitiker haben die Sozialmieten bei einem Wert von 10 Prozent unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmieten gekappt.
Michael Müller:Das liegt aber auch daran, dass die Durchschnittsmiete in Stuttgart eine ganz andere ist als in Berlin. Außerdem hat Stuttgart einen Sozialwohnungsbestand von nur 10.000 Wohnungen. Für Berlin wäre eine vergleichbare Deckelung der Sozialmieten mit Kosten von bis zu 100 Millionen Euro jährlich verbunden. Das können wir nicht bezahlen.
MieterMagazin:Andere Großstädte versuchen ihren Bestand an Sozialwohnungen anzuheben. In Berlin ist der Sozialwohnungsbestand immer mehr abgeschmolzen. Sehen Sie Handlungsbedarf?
Michael Müller:Grundsätzlich ist es richtig, dass wir wieder eine größere Anzahl belegungsgebundener Wohnungen brauchen. Die Frage ist, wie man solche Bindungen schafft und – was noch wichtiger ist – wie man sie auch dauerhaft sichert. Es ist ja schnell mit einem privaten Bauträger vereinbart, dass dieser eine bestimmte Quote an Wohnungen im Rahmen eines sozialen Bindungssystems vermietet. Aber: Was machen wir, wenn dieser Bauträger dann irgendwann zum zweiten Mal Pleite geht? Gelten dann die Bindungen noch? Wir werden uns genau anschauen, wie beispielsweise andere Kommunen mit solchen Fragen umgehen und was wir davon übernehmen können.
MieterMagazin:Die Stadt München kauft jährlich für 25 Millionen Euro Sozialbindungen ein. Wie viel wollen Sie in Berlin ausgeben?
Michael Müller:Es gibt auch andere als finanzielle Anreize. Beispielsweise können wir landeseigene Liegenschaften an Bauträger nach Maßgabe eines Konzepts – und nicht nach dem Höchstpreis – vergeben. Erhält ein privates Unternehmen ein Grundstück der öffentlichen Hand ohne ein Bieterverfahren, muss es eben auch Auflagen erfüllen.
MieterMagazin:Welche Miethöhen haben Sie in solchen Neubauten im Auge?
Michael Müller:Ein Teil der Wohnungen soll mit seinen Mieten im Mietspiegel-Bereich liegen, ein anderer Teil wird deutlich mehr kosten. Denn mit diesen Wohnungen werden die anderen quersubventioniert.
MieterMagazin:Ein lange unterschätztes Problem: die Zweckentfremdung von Wohnraum. Sie haben nun angekündigt, ein entsprechendes Verbot in Teilen von Pankow, Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg einführen zu wollen. Damit wird sich die Zweckentfremdung aber doch nur an die Ränder dieser Gebiete verlagern – mit den bekannten Folgeerscheinungen.
Michael Müller:Eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung ist juristisch umstritten. Wir müssen deshalb aufpassen, dass eine solche Regelung vor Gericht Bestand hat. Das erfordert den Nachweis, dass eine angespannte Wohnungsmarktsituation vorliegt. Für bestimmte Innenstadtlagen lässt sich das belegen, aber nicht für ganz Berlin.
MieterMagazin:Soweit die juristische Seite. Bleibt die praktische: Das Problem wird verlagert.
Michael Müller:Aber was folgt aus der Vermutung? Sollen wir gar nichts unternehmen? Außerdem ist ja nicht beabsichtigt, nur die Zweckentfremdung zu verbieten, sondern auch den Leerstand und den Abriss, was zu einem größeren Wohnraumangebot in den begehrten Innenstadtlagen führen wird. In der Innenstadt soll es auch weiterhin städtisches Leben geben – Familien, die dort wohnen, arbeiten, einkaufen und mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen. Heute gibt es in Mitte ganze Straßenzüge, in denen Hotel an Hotel, Ferienwohnung an Ferienwohnung steht. Die Innenstadt erhält ihre Attraktivität aber durch die Wohnbevölkerung.
MieterMagazin:Ist der Prozess überhaupt noch umzukehren?
Michael Müller:Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber wir arbeiten daran.
MieterMagazin:Thema Umwandlung. Berlin könnte als Stadtstaat Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen in den Stadtquartieren mit Erhaltungsverordnungen unter Vorbehalt stellen. Werden Sie das tun, um die Verdrängung angestammter Bewohner zu verhindern?
Michael Müller:Auch hier wird geprüft, ob ein solches Vorgehen den Gerichten standhält. Das setzt wiederum den Nachweis eines angespannten Wohnungsmarktes voraus. Das stellt ja einen ziemlichen Eingriff in das Eigentumsrecht dar.
MieterMagazin:Zu Ihrem Vorstoß, bei den kommunalen Unternehmen die Mieten zu dämpfen, indem sie bei 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens gekappt werden. Wir haben das einmal durchgerechnet: Bei einem Einpersonenhaushalt mit einer durchschnittlich teuren 45-Quadratmeter-Wohnung würde die Kappung nur greifen, wenn sein Einkommen unter 750 Euro im Monat liegt. Eine Nettokaltmietbelastung von 30 Prozent bedeutet für den Beispielshaushalt eine Bruttokaltmietbelastung von 38,5 Prozent, und für die Warmmiete müsste er sogar 45 Prozent seiner Einkünfte aufbringen. Ihm blieben dann gerade noch 400 Euro zum Leben.
Michael Müller:Hinter der Mietenkappung bei den Wohnungsbaugesellschaften steht die Absicht, ganz konkrete Härten für breite Bevölkerungsschichten abzumildern. Das machen wir mit der 30-Prozent-Regel und mit weiteren Regelungen. Die vorgesehenen Mietreduzierungen gehen zu Lasten unserer Wohnungsbaugesellschaften. Die müssen aber auch weiterhin wirtschaftlich arbeiten können und wir dürfen sie nicht überfordern: Sie sollen Wohnungen kaufen, sie sollen Wohnungen bauen, sich in den Quartiersmanagements engagieren, sie sollen modernisieren und energetische Erneuerungen vornehmen. Auch das erfordert Geld. Ganz ohne Mieteinnahmen geht es also nicht.
MieterMagazin:Bei den von Ihnen angesprochenen breiten Schichten kommt von der Reduzierung aber dann nichts an.
Michael Müller:Das müssen wir erst einmal sehen. Wir haben bislang noch keine Erkenntnisse, wie viele Haushalte es betreffen wird. Im Übrigen ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ich möchte flexibel reagieren können, wenn wir die ersten Erfahrungen gemacht haben.
MieterMagazin:Eine letzte Frage: Wie wohnt der Stadtentwicklungssenator: Am Stadtrand oder in der Innenstadt? Im Eigentum oder zur Miete?
Michael Müller:Ich wohne in Tempelhof zur Miete.
MieterMagazin:Wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch mit Michael Müller führte MieterMagazin-Redakteur Udo Hildenstab
MieterMagazin 7+8/12
Das Gespräch mit Michael Müller führte MieterMagazin-Redakteur Udo Hildenstab (Bildmitte: Pressesprecherin Daniela Augenstein)
Fotos: Christian Muhrbeck
Zum Thema
Stein auf Stein
SPD-Mann Michael Müller hatte die klassischen Stationen der Parteikarriere vom Ortsverband bis zum Chef des Landesverbandes hinter sich gebracht, als ihn Berlins Regierender, Klaus Wowereit, nach gewonnener Wahl 2011 in sein Kabinett holte. Der 47-jährige gelernte Kaufmann, der mit seinem Vater eine Buchdruckerei in Tempelhof führte, steht seither an der Spitze der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Seine ersten Schlagzeilen im Amt machte er mit der Absicht, den Neubau in der Hauptstadt kräftig ankurbeln zu wollen, seine jüngsten handelten vor allem von dem Streit um den Berliner SPD-Vorsitz. Den musste Müller Mitte Juni an seinen Kontrahenten Jan Stöß abgeben.
uh
30.03.2013