Es geht um 36.000 Kilometer. So lang ist das Berliner Stromverteilnetz. Sowohl der Berliner Energietisch als auch die „Genossenschaft BürgerEnergie Berlin eG“ (BEB) wollen es in öffentlicher beziehungsweise in Bürgerhand sehen. Auch die rot-schwarze Landesregierung will das Stromnetz rekommunalisieren und hat dafür das landeseigene Unternehmen „Berlin Energie“ gegründet. Und: Der Strom, der durch das Netz fließt, soll grüner werden. Das fordern alle drei.
Der Betrieb des Stromnetzes, quasi ein Wegenutzungsrecht, verspricht eine solide Rendite. Deshalb will der bisherige Betreiber Vattenfall mit seiner Tochter Stromnetz Berlin GmbH es auch nicht so einfach hergeben und bewirbt sich gleichfalls um die neue zu vergebende Konzession, plant sogar Investitionen von 1,4 Milliarden Euro für Modernisierung und Ausbau des Netzes in den nächsten zehn Jahren. Weitere Mitbewerber sind das holländische Unternehmen Alliander und der chinesische Staatskonzern State Grid. Umstritten ist, was die Übernahme des Stromnetzes kosten wird. Der Energietisch geht von 400 Millionen Euro aus, die BEB von etwa 800 Millionen. Vattenfall wiederum spricht von drei Milliarden. Über die endgültige Summe werden wohl die Gerichte entscheiden. Alle Bewerber sind sich hingegen einig darin, dass sich die Investitionen aufgrund der sicheren Einnahmen aus dem Netzbetrieb mehr als rechnen werden.
Am 11. Februar hatte der Berliner Energietisch das nun erfolgreiche Volksbegehren „Neue Energie für Berlin“ gestartet. 173.000 gültige Unterschriften musste er bis zum 10. Juni zusammenbekommen, damit im Herbst ein Volksentscheid stattfinden kann. 265.000 sind es nach dem vorläufigen Endergebnis geworden. Hinter dem Energietisch stehen über 50 Mitglieder, unter anderem der Berliner Mieterverein sowie mehrere Umwelt- und Sozialverbände. Der von ihm vorgelegte Gesetzentwurf sieht die Übernahme des Berliner Stromnetzes durch eine Anstalt öffentlichen Rechts sowie die Gründung von ökologisch und sozial ausgerichteten Stadtwerken ebenfalls als öffentliche Anstalten vor. „Der Energietisch ist ein Energiewendeprojekt“, sagt dessen Sprecher Stefan Taschner. Deshalb sollen die Stadtwerke langfristig 100 Prozent erneuerbaren Strom aus eigenen dezentralen Anlagen im Angebot haben. „Wir wollen dabei aber nicht nur die Potenziale in Berlin nutzen, sondern beziehen auch die Region Brandenburg mit ein“, so Taschner. Ausgeschlossen sind Solar- oder Wasserkraftimporte aus dem Ausland. Die Stadtwerke sollen außerdem soziale Tarife anbieten, Energiesparmaßnahmen fördern und die energetische Gebäudesanierung sozialverträglich gestalten.
Energietisch für Basisdemokratie
Bei Netzgesellschaft und Stadtwerken soll es laut Gesetzentwurf zudem basisdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten geben, etwa durch die Direktwahl des Verwaltungsrates. Für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt liegt vor allem hierin der Grund, warum die Regierungskoalition das Volksbegehren abgelehnt hat. „Man kann Aufsichtsräte nicht durch eine Volksabstimmung wählen“, sagt Daniela Augenstein, Sprecherin der Senatsumweltverwaltung, und kritisiert zudem die komplizierten Beteiligungsregelungen, die der Gesetzesentwurf vorsehe. Ansonsten gebe es keinen grundlegenden Konflikt zwischen Energietisch und Senat. Das sieht Taschner anders: Das von der rot-schwarzen Regierung geplante Stadtwerk solle nur in Berlin selbst produzierten Strom vertreiben und bleibe damit eine Miniatur. Auch spricht die Senatsumweltverwaltung lediglich von „einem klaren Fokus auf erneuerbare Energien“.
Der Senat prüft derzeit drei Varianten für ein Ökostadtwerk: als Tochter der landeseigenen Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) oder, Variante Nummer 2, als Tochter der Berliner Energieagentur GmbH (BEA). Neben dem Land Berlin und der staatlichen KfW-Bankengruppe wären dabei allerdings auch Vattenfall und die Gasag Anteilseigner. Die Tochtergesellschaft wäre demnach kein reines Landesunternehmen. Die Senatsumweltverwaltung kläre derzeit in Gesprächen mit beiden Unternehmen, ob sie ihre Anteile an der Berliner Energieagentur reduzieren oder ganz darauf verzichten, so Augenstein. „Als dritte Möglichkeit gibt es die Gründung einer neuen, zu 100 Prozent öffentlichen Gesellschaft, die zunächst unabhängig agiert und sukzessive die anderen Landesunternehmen einbezieht.“ Momentan scheine diese Variante die größten Spielräume zu bieten, so die Sprecherin.
Am Ende doch wieder Vattenfall?
Die Gründung der landeseigenen Berlin Energie begrüßt der Energietisch zwar. Aber, so Taschner: „Es handelte sich allzu lange um eine leere Hülle.“ Tatsächlich hat Umweltsenator Müller erst Mitte Mai mit Wolfgang Neldner einen Geschäftsführer für das Unternehmen präsentiert. Neldner war lange Zeit Technischer Geschäftsführer einer Tochter des Vattenfall-Konzerns. Doch auch Taschner hält ihn für einen ausgewiesenen Netzexperten und unabhängig von Konzerninteressen. Der Senat müsse aber weiter nachlegen, damit Berlin Energie keine Alibibewerbung abgebe, so der Energietisch-Sprecher. Man fürchte ohnehin, dass vor allem die CDU am Ende doch wieder Vattenfall das Stromnetz überlassen könnte. Denn der rot-schwarze Senat ist beim Netzbetrieb auch für die Kooperation eines Landesunternehmens mit einem privaten Bewerber zu haben. Und da bringt sich Vattenfall wieder ins Spiel: Man könne sich eine solche Kooperation durchaus vorstellen.
Während der Energietisch in puncto Stromnetz für die Rekommunalisierung kämpft, wollen die Genossen von der „BürgerEnergie Berlin“ (BEB) ihre Mitglieder – das müssen nicht unbedingt Berliner sein – direkt am Netzkauf beteiligen. Sie sollen dann auch von den zu erwartenden Gewinnen profitieren. Eine reine Kommunalisierung sieht die BEB skeptisch, da die Entscheidungen über Netzbetrieb und Gewinnverwendung dann größtenteils im Ermessen von Senat und Verwaltung lägen und die Gefahr bestünde, dass sie den politisch-taktischen Zielen der Landespolitik unterworfen würden. Technischer Partner der Genossenschaft sind seit April die Stadtwerke Schwäbisch Hall, die sich ursprünglich selbst um die Konzession beworben wollten und bereits Erfahrung mit dem Betrieb von Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmenetzen haben.
Die Rechtsform Genossenschaft gilt als besonders demokratisch und ermöglicht aktive Bürgerbeteiligung schon mit überschaubaren finanziellen Mitteln. 100 Euro kostet ein Anteil. „Jedes Mitglied sollte aber möglichst mindestens fünf Anteile zeichnen“, sagt BEB-Vorstand Luise Neumann-Cosel. Wer das Risiko scheut, kann auch zunächst für mindestens 500 Euro Treugeber und erst beim tatsächlichen Netzkauf Mitglied werden. Bekommt die BEB den Zuschlag nicht, bekommen die Treugeber das Geld zurück, während die Mitgliedereinlagen für neue Projekte verwendet werden. „Das wäre dann zum Beispiel die Umsetzung einer erneuerbaren Stromerzeugung.“
Anfang Juni 2013 hatten rund 1200 Genossen und Treuhänder bereits 5,4 Millionen Euro zusammen. Zu den Genossen gehören auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und Bundesumweltminister Peter Altmaier. „Wir gehen davon aus, dass wir am Ende 40 Prozent der Kaufsumme als Eigenkapital aufbringen können“, so Neumann-Cosel. Während die Genossenschaft zunächst eine gemeinsame Netzübernahme mit dem Land Berlin nur in Betracht zog, sieht sie darin jetzt im Vergleich zur alleinigen Übernahme das realistischere Szenario. Denkbar sei auch ein Kooperationsmodell mit unabhängigen, fortschrittlichen Netz-Partnern, die großen Energiekonzerne schließt die BEB allerdings kategorisch aus. Wer am Ende das Rennen macht, entscheidet die Finanzverwaltung unabhängig vom Volksentscheid erst im Herbst 2014.
Kristina Simons
MieterMagazin 7+8/13
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Die neue Konzession
Zum 31. Dezember 2014 läuft der Konzessionsvertrag mit Vattenfall beziehungsweise seiner im April gegründeten Netztochter Stromnetz Berlin GmbH aus. Das Land Berlin kann das Stromverteilnetz nicht einfach selbst übernehmen. Die Senatsverwaltung für Finanzen muss die neue Konzession in einem transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahren vergeben. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) gibt in seinem Paragrafen 1 vor, dass die Stromversorgung möglichst sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich sein soll. Wie diese Vergabekriterien aber genau gewichtet werden – was wiederum Einfluss auf die jeweiligen Chancen der Bewerber hat -, will der Senat erst Anfang Oktober 2013 festlegen. Die Opposition wirft dem rot-schwarzen Senat deshalb ein „Vergabeverfahren im Hinterzimmer“ und „preußische Geheimbürokratie“ vor.
ks
18.08.2013