Die derzeit angespannte Lage auf den Wohnungsmärkten der Groß- und Universitätsstädte erfordert ein unmissverständliches Eingreifen von Politik und Verwaltung. Doch an den erforderlichen Instrumenten und Strategien scheiden sich die Geister. Für den Berliner Mieterverein sind viele der jetzt aufgeworfenen Fragen nicht neu. Doch die Alltagsauseinandersetzungen verhindern manchmal den Blick auf das Wesentliche und auf Alternativen. Schon für einen möglichen roten Faden lohnt auch der Blick zurück in die Vergangenheit.
Das faschistische und kriegerische Deutschland hatte in den meisten Ballungsräumen einen Trümmerhaufen hinterlassen. Ohne massiven staatlichen Eingriff, wie zum Beispiel Mietpreisbegrenzungen, und ohne Fördermittel wären der Wiederaufbau der Städte und die Versorgung massenhaft zuströmender Flüchtlinge nicht möglich gewesen. Im Westen erhielten durch Kriegszerstörung betroffene private und kommunale Vermieter Ausgleichsmittel, mit denen in den zerbombten Innenstädten die Lücken durch eher gesichtslose Neubauten wieder geschlossen und an den Stadträndern Siedlungsbauten von großen, zumeist kommunalen Wohnungsunternehmen errichtet wurden. In puncto Haustechnik und Ausstattungsstandards spiegelte der Nachkriegswohnungsbau die Moderne wider, während vor allem die Gründerzeitaltbauten, errichtet vor dem ersten Weltkrieg, oft auf Abriss bewirtschaftet wurden.
Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts begann ein Nachdenken. Wo autogerechte Verkehrsplanung und wirtschaftliches Desinteresse den historischen Gebäudebestand hatten überleben lassen, regte sich Widerstand gegen das bisherige Leitbild. „Kaputte Stadt retten“, wurde kulturell überzeugend und ökonomisch wichtig, denn geburtenstarke Jahrgänge drängten zuhauf in die Innenstädte auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum.
Wohnen im Umbruch
„Wohnen darf nicht länger Ware sein“ oder „Wohnste sozial, haste die Qual“ – mit solchen oder ähnlichen Slogans im Kopf trat ich Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts meinen Job in der Geschäftsführung des Berliner Mietervereins an. Aus einer Schöneberger Mieterinitiative kommend war meine Aufgabe, die Öffnung einer eher sozialdemokratischen Traditionsorganisation hin zu den Interessen und Bedürfnissen einer breiten Bürgerinitiativ- und Stadtteilbewegung zu unterstützen. Möglich war dies durch einen Machtwechsel in der Spitze des Mietervereins Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit Hausbesetzungen und Mieterinitiativen im Rücken konnten Mieterverein und auch Konkurrenzorganisationen das Interesse von Öffentlichkeit und Politik auf neue Probleme mit der Bezahlbarkeit des Wohnens lenken.
Auf der anderen Seite wurde auch deutlich: Die durch Substanzverzehr heruntergewirtschafteten Altbauten im Westteil Berlins, der Insel des Kapitalismus im sozialistischen Umland, ließen sich nur mittels massiver öffentlicher Hilfe auf durchschnittlichen Wohnstandard bei bezahlbaren Mieten bringen. Ohne finanzielle Hilfe des Staates war die Gerechtigkeitslücke noch offenkundiger. Mussten West-Berliner Mieter in Anbetracht der niedrigen Einkommen im Verhältnis zum Bundesgebiet auch mit niedrigerem Wohnkomfort und unterlassener Instandhaltung auskommen, so führte die Mitte der 70er Jahre vollzogene Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen zu ersten Verdrängungseffekten durch Modernisierung und Umwandlung bei privaten Vermietern. Die Auseinandersetzungen um eine behutsame Erneuerung der Stadt, die auch die Interessen der ansässigen Bewohner berücksichtigt, konnten aber nicht verschleiern, dass ein Paradigmenwechsel die Wohnungs- und Mietenpolitik längst erfasst hatte. Die Interventionskultur der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte längst ein Ende gefunden.
Das Mietrecht war im Westen der Republik schon auf Sicherung privater Verwertungsbedingungen getrimmt worden. Wenn auch die vollständige Auslieferung der Mieter durch Einführung des Sozialen Mietrechts verhindert werden konnte, so gab es doch für weitergehende Alternativen, wie beim südlichen Nachbarn Österreich, so gut wie keine Fürsprecher, auch nicht in der bundesdeutschen Mieterorganisation. Einzig in West-Berlin, der am bundesdeutschen Tropf hängenden Halbstadt weit im Osten, gab es noch das Relikt einer öffentlich- rechtlich festgelegten Mietpreisentwicklung. Die größte selbst organisierte Mieterbefragung für die Beibehaltung einer staatlichen Mietpreisregelung war zweifellos für die beteiligten Organisationen ein Erfolg und demonstrierte Stärke und Organisationsfähigkeit. Sie konnte trotz einer halben Million Unterstützer aber nicht den Übergang in das Vergleichsmietensystem verhindern. Zweifellos eine bittere Erfahrung für einen Mieterstrategen. Doch das sollten nicht die letzten Rückschläge bleiben.
Gleichwohl war und ist „Aufstecken“ keine Perspektive, weder für die Geschäftsführung noch die sonstigen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Berliner Mietervereins. Mit frischem Mut ging es an die Erstellung des ersten Mietspiegels. Mit Kampagnen gegen das unglaublich verschwenderische System der Finanzierung des Berliner Sozialen Wohnungsbaus („Die Zeitbombe tickt“) und Aktivitäten gegen Immobilienspekulation bei Modernisierung und Umwandlung („Ich weiß Bescheid“) hatte sich der Mieterverein schon in den 80er Jahren breiter aufgestellt, mit wissenschaftlicher Unterstützung.
Die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung bei der Stadterneuerung galt es im Rahmen der Internationalen Bauausstellung zu thematisieren. Mietervereins-Geschäftsführung und Protest-Plakat konnten zwar bei der IBA-Eröffnung 1987 aus der Philharmonie für kurze Zeit in Polizeiarrest verbannt werden, neue Strategien für Kreuzberg ließen sich aber auch von der konservativen Stadtregierung nicht mehr ausblenden.
An die erste rot-grüne Landesregierung in Berlin ab 1989 knüpften wir große Erwartungen. Während in der Arbeitsgruppe Mietspiegel des Senats stundenlang um einzelne wohnwertmindernde und wohnwerterhöhende Merkmale mit den Vertretern der Wohnungswirtschaft gestritten wurde, sollte die neue Landesregierung andere Pflöcke setzen. Im Sozialen Wohnungsbau sollte das alte Fördersystem abgeschafft und auf Baudarlehensfinanzierung umgestellt werden. Mit dem Aufbau eines kommunalen Sondervermögens sollte nicht nur Wohnraumversorgung von den Verwertungsbedingungen des Kapitals entkoppelt, sondern für 5300 ehemals von den Bezirksämtern mehr schlecht als recht verwalteten Wohnungen eine Mietermitbestimmung eingeführt werden. Es kam anders.
Die Wucht der Wende
Mit der Wiedervereinigung der Stadthälften und dem Eintritt der neuen Länder in die Bundesrepublik gab es leider auch überwältigende Zeugnisse einer nicht funktionierenden staatlichen Wohnraumlenkung. Eine beispiellose Privatisierung öffentlichen Eigentums setzte zusammen mit der Rückübertragung von Grundstücken und Gebäuden in der ehemaligen DDR ein. Alle Reformvorschläge für die West-Berliner Wohnungssituation schmolzen dahin wie der Schnee in der Frühlingsonne.
Mit der Veräußerung der kommunalen Wohnungsunternehmen Gehag und GSW wurde noch ein i-Tüpfelchen draufgesetzt. Die Mieterorganisation war erneut zur Defensivarbeit gezwungen. Wochenlang zogen wir durch Mieterversammlungen bei GSW-Mietern, um wenigstens durch Zusatzvereinbarungen zum Mietvertrag noch weiteren Mieterschutz durchzusetzen. Einigermaßen erfolgreich. Beim Kündigungsschutz zahlt sich das heute tatsächlich noch aus.
Die Jahrtausendwende markierte einen weiteren Schlusspunkt. Trotz Hauptstadtumzug dümpelte die Stadt dahin, die wichtige Aufgabe der Sanierung der Ost-Berliner Innenstadtbezirke war weitestgehend mit den Renditeerwartungen des überwiegend privaten oder rückübertragenen Eigentums gelöst worden, unter überwiegendem Fortzug der bisherigen Bewohnerschaft. Im Westen wurde mittels Quartiersmanagement in den benachteiligten Stadtvierteln die notwendigste Reparatur in Angriff genommen.
Die mietpreisdeckelnde Förderung der Stadterneuerung wurde komplett eingestellt. Nicht dass es keinen Bedarf mehr gegeben hätte. Mangels Bevölkerungswachstums stellte der Senat auch die soziale Neubauförderung ein und kassierte die Anschlussförderung bei bestehenden Sozialwohnungen. Unter der rot-roten Landesregierung veränderte sich zwar die Wohnungsmarktsituation, nicht aber die Einstellung bei der sozialdemokratisch geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Erneut musste die „Bürgergesellschaft“ die Finger in die Wunde legen, um alte und neue Instrumente für den Umgang mit dem angespannten Markt in Erinnerung zu rufen. Schlechte Politik, von der wir in Berlin mehr als genug hatten, übt sich offenbar regelmäßig in einer immer wiederkehrenden Ignoranz gegenüber tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Auch in der Defensive ist aktive Mieterpolitik unentbehrlich. Sie kann aber nur erfolgreich werden, wenn die Organisation über Mitgliederstärke verfügt. Um dies zu erreichen, ist neben der politischen Interessenvertretung der Aufbau einer umfassenden Dienstleistung erforderlich gewesen. Nichts ist so gut, als das man es nicht noch verbessern könnte. Unter diesem Blickwinkel wollen wir den Mieterverein auch für die Zukunft stärken.
Mehr als 30 Jahre Engagement für den Mieterverein haben mir gezeigt, dass man mit Professionalisierung und Einbindung in Netzwerke, mit steter Öffentlichkeitsarbeit und beharrlicher Freude an der Diskussion letztendlich doch immer etwas bewegen kann, obwohl der Interessenvertretung der Mieter deutlich weniger finanzielle und andere Mittel zur Verfügung stehen als der Vermieterschaft. Von unserem Ziel auf eine gerechtere Gesellschaft lassen wir uns aber nicht abbringen. Es ist der Motor unseres Handelns.
Reiner Wild
Der Autor dieses Beitrages,
Reiner Wild, ist seit 1981
in der BMV-Geschäftsleitung
tätig, seit 2009 ist er
Geschäftsführer.
MieterMagazin 7+8/13
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24.02.2014