Die soziale Problemlage verschiebt sich in Berlin. Arme und arbeitslose Haushalte konzentrieren sich nicht mehr so stark in den innerstädtischen Altbaugebieten, sondern zunehmend in den Nachkriegssiedlungen und am Stadtrand – so das Ergebnis des Monitorings Soziale Stadtentwicklung 2013, das der Senat im Mai vorgelegt hat. Als Reaktion darauf hat die Verwaltung Korrekturen beim Programm „Soziale Stadt“ angekündigt.
Insgesamt zeichnet das Monitoring für Berlin ein positives Bild: Im Untersuchungszeitraum 2011 bis 2012 ist die Arbeitslosenquote auf 8,6 Prozent gefallen, die Langzeitarbeitslosigkeit ging auf 2,9 Prozent zurück. Mit 13,4 Prozent ist der Anteil der Haushalte, die Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Grundsicherung beziehen, nahezu gleich geblieben. Die Kinderarmut hat etwas abgenommen: 34,7 Prozent der Unter-15-Jährigen leben in Familien, die Transfereinkommen beziehen.
Unter den 434 Stadtvierteln ist die soziale Ungleichheit aber nach wie vor sehr groß. Während es im Gebiet Unter den Linden Nord nur 0,4 Prozent Transferleistungsbezieher gibt und gar keine Kinderarmut vorkommt, erhalten im Bereich um den Neuköllner Schulenburgpark 43 Prozent der Einwohner Sozialleistungen, in der Spandauer Siedlung um die Maulbeerallee sind über 78 Prozent der Kinder von Armut betroffen.
Anhand der vier Indikatoren Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Transferleistungsbezug und Kinderarmut werden die Planungsräume den Statusgruppen „hoch“, „mittel“, „niedrig“ oder „sehr niedrig“ zugeordnet. Gleichzeitig spielt die Auf- oder Abwärtsentwicklung der vier Indikatoren in den letzten zwei Jahren eine Rolle, die entweder als „positiv“, „stabil“ oder „negativ“ eingeschätzt wird.
Über die letzten Jahre hinweg kann man eine allmähliche Verschiebung der Probleme beobachten. Viele Altbaubereiche von Wedding, Moabit, Kreuzberg und Neukölln – früher die sozialen Brennpunkte schlechthin – haben sich stabilisiert. Die Benachteiligungen verlagerten sich stattdessen nach außen: So sind Teile von Spandau und Reinickendorf auf dem absteigenden Ast – Folge der Mietsteigerungen in den gefragten Innenstadt-Altbauten, die ärmere Mieter dazu zwingen, in weniger zentrale Lagen umzuziehen.
Hartz IV verstärkt die Abwanderung
Auffällig ist auch, dass sich besonders in den Neubausiedlungen der 60er und 70er Jahre die Sozialstruktur weiter verschlechtert. Während sich in Nord-Neukölln die Altbaukieze zwischen Reuterplatz und Schillerpromenade erholen, offenbaren die Weiße Siedlung und die High-Deck-Siedlung eine negative Entwicklung. Unter den Stadtrand-Großsiedlungen werden nach und nach auch Wohnanlagen von der Abwärtsbewegung erfasst, die bislang noch stabil waren, zum Beispiel das Märkische Viertel oder Lichtenrade-Ost. Ein Grund für diese Tendenz sind die Hartz-IV-Richtlinien zur Wohnkostenübernahme. Die betroffenen Haushalte können oft nur in einen Neubau umziehen, weil Altbauwohnungen typischerweise bei gleicher Zimmerzahl mehr Quadratmeter haben als vom Jobcenter bezahlt werden.
Die Erkenntnisse aus dem neuen Monitoring will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für eine „Neujustierung“ des Programms „Soziale Stadt“ und des Quartiersmanagements nutzen. Der Bund hat die Soziale-Stadt-Förderung aufgestockt, die neuen Modalitäten sind aber noch unklar. Vorausschauend hat die Senatsverwaltung schon „Gebiete mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf“ definiert. Das sind alle Planungsräume mit dem Status „sehr niedrig“ sowie die Gebiete mit niedrigem Status und negativer Dynamik. In diesen 51 Stadtteilen leben insgesamt 427.000 Menschen – jeder achte Berliner.
Jens Sethmann
MieterMagazin 7+8/14
Soziale Ungleichheit in Berlin 2013
Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
Monitoring Soziale Stadtentwicklung im Internet:
www.stadtentwicklung.berlin.de/
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Frühwarnsystem mit Verzögerung
Das Monitoring wurde 1998 erstmals erstellt. Von 2006 bis 2011 legte die Senatsverwaltung jährlich diese Studie vor. Das Monitoring soll ein „Frühwarnsystem“ für soziale Schieflagen in der Stadt sein. Allerdings krankt es daran, dass die Verarbeitung der Daten lange dauert und deshalb die Zahlen bei ihrer Veröffentlichung schon nicht mehr aktuell sind. So beruht das Monitoring 2013 auf den Daten von Ende 2012, bei Erscheinen im Mai 2014 waren die Zahlen also fast eineinhalb Jahre alt.
js
04.01.2017