In den letzten zwei Jahren haben sich in Berlin Dutzende von Mieterbündnissen gegründet. So unterschiedlich die Problemlagen und Arbeitsschwerpunkte in den verschiedenen Bezirken auch sind – eins verbindet alle: Sie wollen nicht länger zusehen, wie die Mieten immer weiter steigen und in den Kiezen bald kein Platz mehr ist für Menschen mit geringerem Einkommen.
Fast monatlich werden neue Initiativen und Runde Tische ins Leben gerufen. Die dramatische Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt betrifft eben immer mehr Menschen ganz unmittelbar. War der Kampf um die Häuser früher eine Domäne der Linken, hat der Protest mittlerweile das bürgerliche Lager erreicht. Längst brodelt es nicht nur in den besonders von Umwandlung und Verdrängung betroffenen Stadtteilen.
So wurde im Februar 2014 ein „Bündnis für ausreichenden bezahlbaren Wohnraum in Steglitz-Zehlendorf“ gegründet. Der Anstoß kam von sozialen Trägern. Sie stehen vor dem Problem, dass im Bezirk fast keine Belegwohnungen für sozial Benachteiligte mehr vorhanden sind. Die Bezirksverwaltung sieht es offenbar nicht als ihre Aufgabe an, Wohnraum für Behinderte, Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen oder andere „Sozialfälle“ bereitzustellen. „Es hilft nur Druck von außen“, sagt Barbara Boroviczeny vom Bündnis.
Auch das „Bündnis bezahlbare Mieten Neukölln“ entstand aus dem Unmut über die Untätigkeit des Bezirks. Die Initiative ging vom Quartiersrat Reuterplatz aus, einem Anwohnergremium des dortigen Quartiersmanagements. Nachdem eine neue Studie zur Sozialstruktur für erheblichen Wirbel gesorgt hatte, wandte sich der Quartiersrat in einem Offenen Brief an den Baustadtrat und forderte ein Handlungskonzept gegen die Verdrängung von Bewohnern mit niedrigem Einkommen.
Die lapidare Antwort von Stadtrat Thomas Blesing (SPD): Der Bezirk habe kaum Eingriffsmöglichkeiten. Genau diese Haltung will das im August 2013 gegründete Bündnis nicht länger hinnehmen. „Es gibt sehr wohl Instrumente – etwa eine Erhaltungssatzung oder die konsequente Wahrnehmung von Belegungsrechten“, meint Wilhelm Laumann, Neuköllner Bezirksleiter beim Berliner Mieterverein (BMV) und Mitglied im Bündnis.
Bezirke untätig
Doch die Neuköllner Offiziellen sehen keinen Handlungsbedarf, die „Verbesserung der Sozialstruktur“ durch den Zuzug Besserverdienender wird dort ausdrücklich begrüßt. Das Bündnis, in dem sich Bewohner, Kiezinitiativen und Mieterorganisationen zusammengeschlossen haben, will nun öffentlich Druck machen – durch Veranstaltungen, aber auch durch Redebeiträge in den Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung. Man wolle weitere Verbündete gewinnen, etwa soziale Träger wie die Diakonie, heißt es.
Ein breites gesellschaftliches Spektrum ist auch im „Bündnis Soziales Wohnen Spandau“ vertreten. Der Anfang 2014 gegründeten Initiative gehören Gewerkschaften, der Berliner Mieterverein und Vertreter von SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen an. „Das erhöht die Schlagkraft“, erklärt Initiator Jürgen Wilhelm, der gleichzeitig Leiter der BMV-Bezirksgruppe Spandau ist. Das Hauptanliegen: Im Neubau müsse billiger gebaut werden. „Wir setzen uns auch für bezahlbare Wohnungen im Bestand ein, aber weil in Spandau besonders viele Neubauprojekte geplant sind, wollen wir hier Druck machen für mehr Sozialwohnungen“, erklärt Wilhelm.
So fand kürzlich ein Gespräch mit der Charlottenburger Baugenossenschaft statt, die nach eigenen Angaben nicht unter 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter bauen kann, aber auch keine öffentlichen Mittel beantragen will. Innerhalb der Bündnispartner gibt es durchaus Interessenskonflikte. So bedeutet für die Gewerkschaften IG Bau und DGB jeder Neubau Arbeitsplätze. Auf der anderen Seite ist aber auch jeder Bauarbeiter Mieter – und kann sich in der Regel keine Miete von 14 Euro pro Quadratmeter warm leisten.
In Moabit, das wie kaum ein anderer Stadtteil von steigenden Mieten und Umwandlung betroffen ist, haben sich verschiedene Gruppen zum „Runden Tisch Gentrifizierung“ zusammengeschlossen. In den letzten Jahren sind hier viele Häuser an Großinvestoren und Fondsgesellschaften verkauft worden. Die Folgen: Luxusmodernisierungen und Umwandlung in Eigentumswohnungen. Der Runde Tisch will betroffene Häuser beim Kampf gegen Mieterhöhung und Verdrängung unterstützen. Auf der anderen Seite gehe es darum, eine Lobby für Mieter aufzubauen und auf politische Entscheidungen in Sachen Mietrecht Einfluss zu nehmen. Aktionen wie der kürzlich stattgefundene mietenpolitische Kiezspaziergang durch den Stephankiez machen die Folgen von Luxusmodernisierung und Umwandlung in Eigentumswohnungen am konkreten Beispiel deutlich.
Besonders aktiv sind seit einiger Zeit auch die Sozialmieter. „Nichts läuft hier richtig“, so der programmatische Titel einer Konferenz, die das „Bündnis Berliner Sozialmieter.de“ im November 2012 organisiert hat. Gefordert wird eine grundsätzliche Lösung für den Sozialen Wohnungsbau. Die Streichung der Anschlussförderung brachte das Fass zum Überlaufen. „Die Absurditäten des Fördersystems sind natürlich nicht neu, aber jetzt müssen die Mieter allein das Fördersystem ausbaden“, erklärt Initiator Sebastian Jung. Um die Debatte zu intensivieren, ist aus dem Bündnis nun der gemeinnützige Verein „mieterstadt.de – Netzwerk für soziales Wohnen und bürgernahe Stadtentwicklung e.V.“ hervorgegangen. „Wir wollen das Thema in die Mitte der Gesellschaft bringen“, betont Jung. Schließlich habe das Fördersystem das Land Berlin und den Steuerzahler geschädigt: „Das wollen wir in den Vordergrund rücken.“
Ins Blickfeld der Öffentlichkeit
Die Angst vor Verdrängung und die Empörung über die Ignoranz des Senats haben Menschen auf die Straße gebracht, die bisher stillgehalten haben. So engagieren sich in der Mietergemeinschaft „Kotti & Co“ türkische Frauen mit und ohne Kopftuch gemeinsam mit jungen Aktivisten gegen steigende Mieten im Sozialwohnungsblock rund um das Kottbusser Tor. Seit über einem Jahr gibt es ein „Protest-Gecekondu“, eine Holzhütte, die rund um die Uhr besetzt ist. Alle paar Wochen ziehen die Mieter mit Trillerpfeifen und Kochtöpfen bei „Lärmdemos“ durch Kreuzberg.
Die Probleme aufzeigen, Lösungen anbieten, Verbündete in der Politik finden – das ist keine einfache Aufgabe. Sebastian Jung: „Man muss schon dicke Bretter bohren.“ Doch immerhin steht der Soziale Wohnungsbau nun auf der politischen Tagesordnung. Im Abgeordnetenhaus fanden bereits mehrere Anhörungen statt.
Einige der Initiativen haben sich zu einer Dossiergruppe zusammengeschlossen, um grundsätzliche Lösungsansätze zu erarbeiten. Zwei „Mietenpolitische Dossiers“ wurden bisher veröffentlicht. Als „2. Mahnung“ wurde das Dossier Anfang April dem Senat überreicht. „Unsere Situation hat sich trotz des Dialogs nicht verbessert – die Frist für die solidarische Stadt läuft ab“, heißt es kämpferisch.
Birgit Leiß
MieterMagazin 7+8/14
Der „Runde Tisch Gentrifizierung“ in Moabit lenkt mit seinen Kiezspaziergängen den Blick auf wohnungspolitische Defizite
Foto: Sabine Münch
„Ein breites gesellschaftliches Spektrum erhöht die Schlagkraft“: Bündnis Soziales Wohnen Spandau
Foto: Sabine Münch
Foto: Kotti & Co
Mieterprotest im Roten Rathaus („Dossiergruppe“) und auf der Straße (Lärmdemo von „Kotti & Co.“)
Foto: Peter Homann/
Gegendruck
Mieterbündnisse im Internet:
www.mietenbuendnis.de
(Website des Neuköllner Mietenbündnisses)
www.wem-gehoert-moabit.de
(Website vom Runden Tisch Gentrifizierung Moabit)
www.kottiundco.net
(Website von Kotti & Co)
Rat und Tat
Bündnisse von oben
Nicht zu verwechseln sind die in den Bezirken gegründeten Mieterinitiativen mit dem „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“, das der Berliner Senat im September 2012 mit den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften geschlossen hat. Mieter oder Mieterorganisationen sind hier nicht beteiligt. Inhalte der Vereinbarung sind unter anderem die Erweiterung des öffentlichen Wohnungsbestands durch Zukauf und Neubau sowie verschiedene preisdämpfende Instrumente.
Ein Bündnis „von oben“ gibt es auch in Lichtenberg. 2012 wurde vom Bezirksbürgermeister ein „Bündnis für Wohnen“ ins Leben gerufen. Ihm gehören – übrigens einmalig in Berlin – nicht nur Wohnungsbaugesellschaften, sondern auch private Vermieter an. Sie alle haben sich verpflichtet, bei Neubauvorhaben einen bestimmten Anteil für Einkommensschwache bereitzustellen. Ein „Runder Tisch Wohnen“ soll das Bündnis kritisch begleiten. Doch das klappt bisher nicht so richtig, wie Lieselotte Bertermann, Leiterin der BMV-Bezirksgruppe Lichtenberg berichtet: „Mittlerweile wäre eine erste Bilanz fällig: Ich würde schon gerne wissen, inwieweit die Vereinbarungen umgesetzt wurden.“ Doch eine befriedigende Antwort vom Bezirk gab es bislang nicht. „Da fühlt man sich als Partner nicht so richtig ernst genommen“, so Bertermann.
bl
07.10.2020