Im Sommer 1990 besetzte eine Gruppe von jungen Künstlern, die sich von interdisziplinären Theaterprojekten an der Hochschule der Künste her kannten, den leerstehenden fünfstöckigen Altbau Auguststraße 10 in Berlin-Mitte. Sie hatten weder Erfahrungen noch Geld noch Kontakte, aber eine Vision: Aus der Hausbesetzung sollte ein funktionierendes Wohn- und Kunstprojekt werden.
Von 1994 bis 1998 renovierten sie das Haus in Zusammenarbeit mit den Eigentümern und mit Hilfe des Förderprogramms „Bauliche Selbsthilfe“. Heute bietet das Langzeitexperiment KuLe („Kunst & Leben“) Wohnraum für 16 Menschen – mit einer Gemeinschaftsküche, einer Lounge, einem multifunktionalen Theaterraum und einer Fassadengalerie. Der internationale Kulturaustausch ist für alle Bewohner wichtiger Bestandteil des Alltagslebens. Nach 25 Jahren leben sie in einem völlig veränderten Umfeld: Berlin-Mitte ist heute verwaltet, gentrifiziert, touristifiziert, teuer und überlaufen. „Aus dem KuLe-Haus als konkreter Utopie ist eher ein Schutzraum geworden für das, was unter diesen Umständen gerade noch möglich ist. Man könnte das Widerstand nennen“, schreiben die Herausgeberinnen in der Einleitung zu dem auch grafisch sehr gelungenen Buch. Anhand zahlreicher Texte, Interviews und Fotos wird ein Stück Stadtentwicklung von unten, aber auch ein Stück Zeit- und Kunstgeschichte spannend dokumentiert und erlebbar.
rb
29.06.2016