Seit Mai hat der Berliner Mieterverein zwei neue Vorstandsmitglieder und einen neuen Vorsitzenden. Im MieterMagazin-Gespräch erläutern sie ihre Ideen von der Zukunft des Vereins und ihre Vorstellungen von politischen Notwendigkeiten.
MieterMagazin: Welche Anforderungen muss der Berliner Mieterverein erfüllen, wenn er auch in Zukunft erfolgreich sein will?
Hartmann: Der Berliner Mieterverein ist schon heute sehr gut aufgestellt. Er ist einer der wenigen Mietervereine in Deutschland, die noch Mitgliederzuwächse verzeichnen. Natürlich muss man überlegen, wie der Verein seine Mitglieder auch künftig zufriedenstellen und halten kann.
Riebe: Da formiert sich zum Beispiel eine gewisse Konkurrenz durch Rechtsberatungsangebote im Internet. Vieles davon ist unseriös, aber es trifft auf eine bestimmte Nachfrage. Der Mieterverein wird künftig eine Art Online-Rechtsberatung anbieten müssen.
Tietzsch: Wir müssen allerdings auch verdeutlichen, dass es einen Unterschied macht, ob man Informationen „von der Stange“ im Internet abruft, die dann ungefähr zum vorhandenen Problem passen, oder ob man sein Problem einem Berater im persönlichen Gespräch darstellt. Denn der fragt nach, um den Fall in seiner individuellen Ausprägung zu erfassen und zu beurteilen. Dies ist der Kern der Beratungsleistung.
MieterMagazin: Das heißt, online kann eine Beratung niemals so gut sein wie eine persönliche?
Tietzsch: „Niemals“ würde ich mit Blick auf die Zukunft nicht sagen. Aber die Online-Beratungsangebote, die ich kenne, bleiben bislang an der Oberfläche und behandeln nur Standard-Situationen.
Ehrenamtliche – Rückgrat des Vereins
Hartmann: Neben dem individuellen Beratungsangebot sollte man auch vermitteln, dass der Mieterverein weitere wichtige Aufgaben wahrnimmt, etwa eine an Mieterinteressen ausgerichtete Einflussnahme auf die Politik. Das leisten die Internetanbieter gar nicht.
MieterMagazin: Der Berliner Mieterverein hat einen ausgeprägten Bereich von ehrenamtlich engagierten Mitgliedern. Ist auch das für die Zukunft des Vereins wichtig?
Hartmann: Die Ehrenamtlichen sind das Rückgrat eines Vereins. Beim BMV tragen sie die Inhalte in die Bezirke und zeigen Präsenz vor Ort.
Riebe: Um ein praktisches Beispiel aus meinem Bezirk zu nennen: Die Ehrenamtler organisieren oft die notwendigen Mieterversammlungen in den Wohnhäusern. Und: Sie verfügen über ihre eigenen Netzwerke, beispielsweise zu anderen Vereinen. So haben wir vor Kurzem eine Veranstaltung zum neuen Mietspiegel gemeinsam mit der „Volkssolidarität“ organisiert.
Tietzsch: Die ehrenamtlich Tätigen haben für den Verein deshalb eine so wichtige Funktion, weil sie den Unterschied ausmachen zu einer Beratungsfirma, bei der man einfach eine Dienstleistung abruft. Der Mieterverein ist mit den Menschen, die in den Bezirken leben, verbunden.
MieterMagazin: Das Rückgrat des Vereins, wie Frau Hartmann es nennt, wird schwächer: Die Ehrenamtlichen werden weniger, ihr Durchschnittsalter nimmt zu.
Riebe: Das ist tatsächlich ein Problem, dem wir uns stellen müssen. Ich habe den Eindruck, dass diejenigen, die am Anfang oder in der Mitte ihres Berufslebens stehen, heutzutage so unter Leistungs- und Mobilitätsdruck sind, dass ihnen dies ein längerfristiges ehrenamtliches Engagement unmöglich macht.
Tietzsch: Vielleicht können wir das Engagement fördern, wenn wir Vorstandsmitglieder mit den Bezirksgruppen Themenabende organisieren – ausgerichtet an dem, was dort vor Ort ansteht. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere Teilnehmer dann auch durch das Beispiel unserer jungen Vorstandskollegin Jutta Hartmann inspiriert, bei uns mitzuarbeiten.
MieterMagazin: Man kann an den vielen kleinen thematisch und quartiersbezogen arbeitenden Initiativen ablesen, dass die Mieten- und Wohnungspolitik in den letzten Jahren durchaus wieder ein „junges Thema“ geworden ist. Ist eine Organisation wie der Mieterverein den Jungen möglicherweise zu groß, zu schwerfällig, zu wenig an den Problemen orientiert, die sie direkt vor ihrer Haustür haben?
Riebe: Die Initiativen grenzen sich von großen Organisationen bewusst ab: keine Parteien, keine Verbände.
Tietzsch: Es herrscht dort die Sorge, dass große Organisationen die Diskussion bestimmen könnten. Dass dies nicht unser Ziel ist, müssen wir verdeutlichen, wo immer wir mit diesen Gruppen diskutieren. Was wir als Mieterverein politisch mittragen wollen und können, steht auf einem anderen Blatt. Für uns instrumentalisieren wollen wir die Initiativen auf jeden Fall nicht.
MieterMagazin: Neben dem Altersdurchschnitt der Ehrenamtlichen nimmt auch der der Mitglieder zu. Ideen, wie man das ändern könnte?
Hartmann: Um Jüngere zu erreichen, sollten wir mehr die Medien nutzen, über die sie kommunizieren: soziale Netzwerke wie Facebook und ähnliches.
Riebe: Auch eine Möglichkeit sind Veranstaltungen für bestimmte junge Gruppen wie Auszubildende oder Schüler der oberen Jahrgangsstufen. Ich habe beispielsweise an meinem früheren Arbeitsplatz regelmäßig einmal im Jahr eine Veranstaltung für Jugendliche mit dem Thema „Meine erste Wohnung“ organisiert. Das ist auf gute Resonanz gestoßen. Warum nicht versuchen, solche Veranstaltungen mit altersspezifischen Themen auch in größeren Betrieben anzubieten?
MieterMagazin: Vom Vereinsinternen zur Politik. Was ist das Thema, das Berlin mieten- und wohnungspolitisch am meisten unter den Nägeln brennt?
Tietzsch: Preiswerten Wohnraum erhalten und schaffen.
Riebe: Das sehe ich auch so.
MieterMagazin: Frau Hartmann, Sie auch?
Hartmann: Ja.
MieterMagazin: Und wie lässt sich das praktisch umsetzen?
Riebe: Viel wäre schon erreicht, wenn die Mietpreisbremse in der Form, wie es sie gibt, wirksam angewendet würde. Aber sie wird von den Vermietern bei vielen Wohnungsangeboten unterlaufen. Das muss sich ändern.
Tietzsch: Betrachtet man einmal nur die Berliner Handlungsmöglichkeiten, so ist im Bereich des Ordnungsrechts, zum Beispiel bei der Verfolgung von Zweckentfremdung, noch Einiges machbar. Außerdem müssen wir mit aller Kraft dafür sorgen, dass dort, wo wir noch Freiflächen in Berlin haben, im Neubau Wohnungen für die Teile der Bevölkerung geschaffen werden, die anders keinen Wohnraum bekommen. Mit dem neuen Wohnraumgesetz gibt es dafür auch ein geeignetes Instrument.
Die Richter sensibilisieren
Hartmann: Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in letzter Zeit oft zuungunsten von Mietern ausgefallen. Eine Chance für Berliner Mieter bestünde darin, dass sich die Instanzrechtsprechung nicht an diese – durch den BGH vorgegebene – Richtlinie hält und eigene, abweichende Urteile fällt. Durch entsprechende Veranstaltungen, wie sie vom Berliner Mieterverein bereits durchgeführt wurden, könnte man die Richterschaft dafür sensibilisieren.
MieterMagazin: Neben den dringlichen Anliegen der Wohnungs- und Mietenpolitik gibt es auch die Aufgaben, die langfristig angegangen werden müssen. Welches sind diese „dicken Bretter“, die es zu bohren gilt?
Tietzsch: Wir brauchen wieder eine Wohnungsgemeinnützigkeit, und in deren Rahmen muss eine erhebliche Anzahl von neuen Wohnungen gebaut werden. Diese Wohnungen müssen dauerhaft für eine soziale Wohnraumversorgung gesichert werden.
Riebe: Neben dem Neubau stellt sich auch die Frage, wie Modernisierungen in Zukunft in sinnvollem Umfang und bezahlbar durchgeführt werden können. Und: Wie kann man verhindern, dass die Grundstückspreise immer weiter explodieren?
Hartmann: Wir haben in Deutschland prinzipiell ein starkes soziales Mietrecht. Allerdings wird es immer wieder durch die Rechtsprechung ausgehöhlt. Um das zu verhindern, braucht es entsprechende gesetzliche Regelungen und Konkretisierungen. Man kann inzwischen beobachten, dass Mieter aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren, darauf verzichten, ihre Ansprüche rechtlich geltend zu machen.
MieterMagazin: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Ein Dreierbund aus Überzeugungstätern
Als Rainer Tietzsch 1980 seine Anwaltspraxis in Kreuzberg eröffnete, waren Wohnungsverfall, „Häuserkampf“ und die Debatte um Wohnungsspekulation in West-Berlin auf ihrem Höhepunkt. Kein Zufall, dass sich der promovierte Jurist, Jahrgang 1953, von Anfang an den Problemen von Mietern widmete. Seit drei Jahren im Vorstand des Berliner Mietervereins (BMV) tätig, wählten ihn die Delegierten im Mai zum neuen Vorsitzenden. Assistiert wird er von Gundel Riebe, die vor ihrer Pensionierung als Chemikerin bei der Bundesanstalt für Materialprüfung arbeitete. Sie gehörte zu den Gründern des 1990 in Ost-Berlin entstandenen „Mietervereins Berlin“. Die 66-Jährige engagierte sich seit 1990 in der Friedrichshainer (und nach der Bezirksfusion der Friedrichshain-Kreuzberger) Bezirksleitung und kümmert sich in weiteren Ehrenämtern um Belange von Mietern und Nachbarn. Dritte im Bunde des Vorstands ist die als Justiziarin in der Rechtsabteilung des Deutschen Mieterbundes tätige Jutta Hartmann. Sie ist durch Studium und Promotion auf das Mietrecht als Schwerpunkt gestoßen. Die 35-Jährige lebt in Neukölln und ist dort seit 2016 in der BMV-Bezirksleitung aktiv.
uh
05.07.2017