Berlin – eine Stadt der Stararchitekten? Es sind noch immer die großen Namen, die Aufmerksamkeit erregen. Und auch in den meisten Büros brillieren Männer mit ihren Projekten. Wer aufmerksam hinschaut und nachfragt, findet an vielen Stellen Projekte von Frauen – nicht selten beim Umbau von altem Bestand. Der ist oft mühseliger, aber die Kreativität und Gestaltungsfreude von Architektinnen schaffen besondere Orte.
Das hier ist alles andere als ein ruhiger Ort: Rund um den Fernsehturm hasten Eilige, bummeln Touristen, hängen Jugendliche ab, werden Kinderwagen geschoben, Fotos geschossen, Einkäufe geschleppt. Aber selbst an einem noch kühlen Apriltag sind die Plätze entlang der erhabenen grünen Flächen gut besetzt. Wer aufmerksam hinschaut, entdeckt ein dekoratives Muster: Die dreieckigen Raseninseln nehmen harmonisch die geometrischen Formen des Fernsehturm-Sockels auf. Ein Hinweis auf Planung und Gestaltung findet sich nirgends. Es waren die Stadtplanerinnen Susanne Jahn („Jahn, Mack & Partner“) und Kerstin Lassnig („urbos“), die vom Bezirk Mitte und der damaligen Berliner Baudirektorin Regula Lüscher beauftragt wurden, die Umgestaltung des Platzes mit einem „Kooperativen Stadtortmanagement“ zu begleiten. Entwürfe und Ausführung tragen ebenfalls zu einem großen Teil die Handschrift einer Frau: Martina Levin gestaltete die Anlagen zusammen mit ihrem Partner Luc Monsigny. Ihr Büro erhielt dafür 2016 den Berliner Architekturpreis in der Kategorie „Parks und Plätze“.
„Es stehen nun einmal grundsätzlich keine Namen an den Bauten oder Anlagen“, sagt Theresa Keilhacker, Architektin und Präsidentin der Berliner Architektenkammer. Und fügt hinzu: „Damit wären wir aber auch schon bei dem Problem: Die mediale Aufmerksamkeit zielt oft auf bekannte Namen der Branche ab – auf große Stararchitektenbüros, die man sich überall auf der Welt einkaufen kann.“
Mediale Aufmerksamkeit zielt auf bekannte Namen
So wird immer aufs Neue das traditionelle Bild einer Branche gezeichnet, in der Männer die Stars sind. Und die Statistik scheint es zu bestätigen: Obwohl heute mehr als 55 Prozent aller Architekturstudierenden weiblich sind, lag 2021 der Anteil der Stadtplanerinnen und Architektinnen bei den Beschäftigten in den Büros bei nur 35 Prozent, Büroinhaberinnen waren lediglich zehn Prozent. Von den Top 20 der Architekturbüros in Deutschland wurde 2021 nicht ein einziges allein von einer Frau oder von einem Frauenteam geführt. Gründe für die Unterrepräsentation sieht Theresa Keilhacker in einer männlich dominierten Berufskultur: „Es gibt viele, die irgendwann aussteigen – wenn sie zehn Jahre in den Büros gearbeitet haben und nicht weitergekommen sind, keine Führungsposition, keine Projektleitung übernehmen konnten. Weil sie immer noch unter dem Generalverdacht stehen, dass sie über größere Zeiträume ausfallen als die männlichen Kollegen. Oder: Dass sie nicht so belastbar sind.“
Die Architektinnen Ulrike Reccius und Maria Rita Baragiotta haben sich mit einem besonderen Projekt durchgesetzt: Dem Umbau und der Sanierung eines ehemaligen Gemeindehauses der evangelischen Kirche der Freien Universität Berlin in Dahlem. Auftraggeber: Das „studierendenWerk“. „Wir haben uns beworben und waren bei der ersten Besichtigung von dem Gebäude begeistert“, erinnert sich Ulrike Reccius, „Das studierendenWerk hatte das Haus von der FU übernommen und wollte die Nutzungsänderung für Wohnzwecke prüfen.“ Können Sie damit wirklich was anfangen, lautete deren skeptische Frage. Reccius und Baragiotta konnten! Was sie besonders reizte, war die Verbindung von Altem und Neuem. Der Sanierungsbedarf des Gebäudes war hoch. Dazu stand das Haus unter Denkmalschutz, weil es 1962 von den bekannten West-Berliner Architekten Georg Heinrichs und Hans-Christian Müller gebaut worden war. Abreißen und neu bauen? Kam nicht in Frage!
Die Architektinnen konnten in vielem frei agieren. Sie wandelten den Raum, und es entstand ein Wohnort für 19 Studierende mit einem Gemeinschaftsatelier, das für die Berliner Architekturausstellung ausgewählt wurde. Unter den 60 „beispielhaften Lösungen aktueller Bauaufgaben“, fanden sich genau drei Frauenprojekte. Die beiden anderen: der Umbau eines denkmalgeschützten Stalles in ein Wohngebäude in der Schorfheide („Flacke + Otto Architekten“) und der Innenausbau einer sanierten Lagerhalle auf einem ehemaligen Brauereigelände in Räume für Netzwerk-, Beratungs- und Co-Working-Unternehmen („LXSY Architekten“).
Ist es ein Zufall, dass sich alle drei Frauenarchitekturbüros dem Um- und Ausbau bestehender Gebäude widmeten? „Es ist ein Feld, auf dem wir eher eine Chance haben“, weiß Ulrike Reccius. „Denn der Zugang zu alten Gebäuden ist ein bisschen komplizierter, der Entwurfsprozess mühsamer“ – eine Herausforderung für kreative Gestaltung und die Chance zu mehr Nachhaltigkeit.
„Das Feld, auf dem wir eher eine Chance haben“
Ein Beispiel: die ehemalige Wäscherei der Charité in der Hannoverschen Straße, errichtet 1882. Im Krieg wurde sie zum Teil zerstört, immer wieder umgebaut und erweitert, jahrzehntelang als Lager genutzt. Hätte die Humboldt-Universität nicht Ersatz für die Mensa in der Schumannstraße gebraucht, das Haus stände wohl nicht mehr. Ulrike Reccius realisierte das Projekt Mensa Nord gemeinsam mit ihrem 2019 verstorbenen Partner Hans-Peter Harm und mit Jürgen Nottmeyer. Die beiden machten es zu einem architektonischen Highlight. Dass heute nicht nur Studierende zur Mittagszeit in die Mensa mit ihrem markanten gläsernen Eingang kommen, sondern sich hier viele Ältere aus der Nachbarschaft zum Essen treffen, freut sie besonders.
Ein Ort der Begegnungen hätte auch ein Haus in Berlin-Westend werden können: Entworfen 1930 von der Bildhauerin und Architektin Marlene Poelzig für ihre Familie, umgeben von einem Garten der Landschaftsarchitektin und Professorin Herta Hammerbacher. „Es war ein architektonisch wegweisendes Haus, ein ganz besonderer Garten“, erinnert sich Elke Duda, Architektin und Redakteurin des Buches „Women in Architecture Berlin“. Zudem eines der wenigen Zeugnisse für modernes Bauen, das von einer Frau konzipiert worden ist. Aber weil das Dach baulich verändert worden war, stand das Haus nicht unter Denkmalschutz. Lange kämpfte eine Initiative für den Erhalt des Gebäudes, das ein Künstlerinnentreff werden sollte. Vergeblich. Hätte man das Haus auch abgerissen, wenn es das Signet von Ehemann Hans Poelzig getragen hätte? Elke Duda: „Wohl kaum. Es wäre sehr wahrscheinlich rekonstruiert worden.“
Rosemarie Mieder
Buchtipp: Weibliche Baukultur
Erst seit etwas mehr als 100 Jahren dürfen Frauen überhaupt Architektur studieren und ein Diplom erwerben. Obwohl die Zeiten heute bessere sind, wird die Branche noch immer männlich dominiert. Das Buch, das als Ergebnis des Festivals Women in Architecture 2021 in Berlin entstanden ist, berichtet von der Baustelle Gleichstellung. Es richtet seine Scheinwerfer auf die ganze Breite weiblicher Baukultur: Auf die Arbeit von Architektinnen, Innenarchitektinnen, Ingenieurinnen, Landschaftsarchitektinnen und Stadtplanerinnen. Wer darin blättert, findet eine Fülle faszinierender Ideen und Projekte jenseits von jedem Starkult, trifft auf Teamwork, das Verständnis für Lebensräume und entdeckt, wie viel Kreativität in der weiblichen Architekturszene steckt. Gleichzeitig werden Forderungen aufgelistet, die von paritätischer Besetzung auf allen Leitungsebenen bis hin zu Veränderungen in der Architektur-Ausbildung reichen.
rm
29.06.2023