Berlin und der Bund verfehlen ihre Wohnungsbauziele, versuchen aber mit kreativen Interpretationen der Statistiken die Ergebnisse als Erfolg darzustellen.
Berlin will jährlich 20.000 Wohnungen bauen. Bausenator Christian Gaebler (SPD) freut sich, dass es im vergangenen Jahr 17.310 neue Wohnungen geworden sind: „Es bedeutet, dass wir für bis zu 50.000 Menschen ein bezahlbares neues Zuhause geschaffen haben.“ Das ist reichlich hochgegriffen, denn es würde bedeuten, dass die neuen Wohnungen im Schnitt mit fast 2,9 Personen belegt sind. Im Berliner Wohnungsbestand liegt der Durchschnitt bei 1,9 Personen. Auf Nachfrage, wie Gaebler auf diese außergewöhnliche Zahl kommt, gibt die Senatsverwaltung keine schlüssige Antwort, betont aber, dass er von „bis zu“ 50.000 Menschen sprach. Also sind es vielleicht auch nur 30.000 Menschen – niemand weiß es.
Und was bedeutet für den Senator „bezahlbar“? Zu den Miethöhen sagt die amtliche Statistik nichts. Die Senatsverwaltung antwortet ausweichend: „Bezahlbarkeit ist ein relativer Begriff und richtet sich nach dem jeweiligen Haushaltseinkommen.“ Damit wäre jede Wohnung bezahlbar, sofern sich irgendjemand findet, der sie bezahlt.
Berliner Sozialwohnungsbau: 5000 angekündigt, 1500 realisiert
Unter den 17.310 angeblich bezahlbaren Neubauwohnungen befinden sich auch Luxusapartments, Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser. Als bezahlbar gelten für den Berliner Mieterverein geförderte Wohnungen mit Mietpreisbindung. Davon sind laut IBB-Wohnungsmarktbericht im Jahr 2022 nur 1483 bezugsfertig geworden. Unter den 20.000 neuen Wohnungen sollen eigentlich 5000 Sozialwohnungen sein. Dieses Ziel hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nochmals bekräftigt.
Schönrechnerei auch bei der Bundesregierung. Zu den Neubauzahlen des Statistischen Bundesamtes sagt Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD): „Der Bau bleibt in der Krise stabil. In 2022 wurden mehr Wohnungen gebaut als im Vorjahr.“ Es sind allerdings nur 1900 Wohnungen oder 0,6 Prozent mehr als 2021. Das Neubauniveau von 2020 wurde nicht wieder erreicht. Insgesamt sind im Jahr 2022 in ganz Deutschland 295.300 neue Wohnungen entstanden. Damit hat die Bundesregierung ihr selbstgestecktes Ziel, jedes Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen, meilenweit verfehlt.
Klara Geywitz will die Fertigstellungszahl aber lieber an den pessimistischen Prognosen einiger Verbände messen, die für 2022 einen Rückgang auf 200.000 Wohnungen prophezeit hatten. 295.300 Wohnungen seien „angesichts eines Krieges, zweier Förderstopps, steigender Zinsen, Materialengpässen und spürbarem Fachkräftemangel eine beachtliche Leistung der Branche“, so Geywitz.
Im Übrigen hofft die Ministerin auf die Zukunft. Zwar sind im Jahr 2022 sieben Prozent weniger Baugenehmigungen erteilt worden. Gleichzeitig ist der Bauüberhang auf 884.800 genehmigte, aber noch nicht fertiggestellte Wohnungen angewachsen. „So viele Wohnungen warten darauf, gebaut zu werden“, erklärt Geywitz.
Weil sich die Rahmenbedingungen des Bauens wohl kaum rasch verbessern werden, sind realistischerweise 400.000 Wohnungen auch im Jahr 2023 nicht erreichbar. Das Ziel, dass unter den 400.000 Wohnungen 100.000 Sozialwohnungen sein sollen, dürfte ebenfalls in die Binsen gehen. „Für 2023 wurde uns die Planung von 50.000 Sozialwohnungen in Deutschland gemeldet“, berichtet Klara Geywitz. Neben neugebauten Sozialmietwohnungen sind darin auch geförderte Eigentumswohnungen, Modernisierungsförderungen und der Erwerb von Belegungsrechten enthalten.
Jens Sethmann
Nachzügler mitgerechnet
Bei den 17.310 Berliner Neubauwohnungen handelt es sich um Fertigstellungen, die im Jahr 2022 gemeldet wurden, so das Amt für Statistik. Tatsächlich waren von den 2595 gemeldeten Bauprojekten 509 schon im Jahr 2021 fertiggestellt. Demnach dürften die realen Fertigstellungen des Jahre 2022 eher bei 15.000 Wohnungen liegen.
js
29.06.2023