Regentonnen auf dem Gehweg, Rigolen unter dem Gendarmenmarkt, hochmoderne Klärwerke: Berlin unternimmt viel für seine Wasserver- und -entsorgung. Doch das wird nicht genügen, auch die Stadtentwicklung muss ihren Teil zum nachhaltigen Umgang mit Wasser und Gewässern beitragen.
Wer von der verkehrsreichen Bismarckstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf in die Fritschestraße einbiegt, wechselt den Stadtraum: Hier die laute, staubige und im Sommer heiße und trockene Magistrale – dort ein grüner Korridor, in dem es rund um die Straßenbäume blüht und summt, wo Farne und Funkien auf zwei Hochbeeten wuchern und Bänke zu einer schattigen Auszeit einladen.
„Wir haben uns vor vier Jahren zusammengefunden, ganz nach dem Motto ‚Unser Dorf soll schöner werden‘ “, erzählt Jörg Winners, ein Sprecher der Initiative Fritschestraße. Der Filmproduzent und seine Nachbarn – Mieterinnen und Mieter, aber auch Eigentümerinnen und Eigentümer – wollten mehr Grün anlegen, schattige und kühle Ruhepunkte schaffen, Insekten und Vögel in ihre Straße locken und damit dem Klimawandel etwas entgegensetzen.
„Dazu brauchten wir natürlich Wasser.“ Das sollte aber kein Trinkwasser sein, und es sollte auch nicht erst vom Hof oder gar aus Wohnungen herangeschleppt werden müssen. Warum also nicht Regentonnen auf den Bürgersteig stellen? Die Idee kam vom bundesweiten Projekt „Wassertanke“, das für die Realisierung des Vorhabens in der Fritschestraße Beratung und Hilfe anbot. Etwa bei der Überwindung bürokratischer Hindernisse: Denn was auf privatem Grund wie in Gärten und auf Höfen eine Sache der Eigentümer ist, bedarf im öffentlichen Raum einer amtlichen Genehmigung. Die Anfrage aus der Fritschestraße war ein Novum – nicht nur im Bezirk, sondern in ganz Berlin.
Eine Regentonne im öffentlichen Raum
„Es gab viele Fragen und Bedenken“, erinnert sich Jörg Winners. Wie wird die Tonne angeschlossen? Kann sie überlaufen und das Pflaster unterspülen? Wer ist in Notfällen zuständig? Bekommen wir jetzt in der Straße vielleicht ein Mückenproblem?
Dass dann im vorigen Jahr in Berlin die ersten beiden „öffentlichen“ Regentonnen aufgestellt werden konnten, ist der Hartnäckigkeit der Nachbarschaftsinitiative zu verdanken, aber auch einem aufgeschlossenen Bezirksamt für Ordnung, Umwelt, Straßen und Grünflächen in Charlottenburg-Wilmersdorf. Und so fließt jetzt ein guter Teil des Regenwassers nicht mehr vom Dach direkt in die Kanalisation. Das nämlich wäre eine Verschwendung, die sich Berlin längst nicht mehr leisten könne, befindet Stephan Natz, Pressesprecher der Berliner Wasserbetriebe (BWB): „Wir sind eine der niederschlagärmsten Regionen in Deutschland.“
Statistisch gesehen hat die Stadt im Jahr 580 Liter Niederschlagswasser auf den Quadratmeter zu erwarten. Aber in den zurückliegenden Jahren waren es mitunter nur 300 bis 400 Liter. Und es regnet nicht nur zu wenig, durch die steigenden Temperaturen verdunstet auch mehr. Natz: „Die Bilanz ist immer defizitärer geworden, und das kann man an vielen Berliner Gewässern sehen, die grundwassergespeist sind.“ So sinkt der Wasserspiegel des Weißen Sees, der eiszeitlichen Ursprungs ist und keinen eigenen Zufluss hat, seit langem. Einstige Fließgewässer wie Wuhle und Panke fallen zeitweise oder ganz trocken, genau wie Moore und Teiche.
Weniger Regen – mehr Verdunstung
Was in der Fritschestraße im Kleinen vollzogen wurde, beschäftigt die Stadt schon seit Jahren: Wie mit dem Regenwasser umgehen. „Jahrzehntelang waren Ingenieure glücklich, wenn der Regen so schnell wie möglich in die Gullis und durch Abwasserkanäle floss“, erklärt der Sprecher der Wasserbetriebe. Aber mit fortschreitendem Klimawandel setzte sich die Erkenntnis durch, dass Regenwasser eine kostbare Ressource ist, dass jeder Tropfen zählt, der versickern oder verdunsten kann.
„Die Abkehr von der Regenwasserableitung war ein Paradigmenwechsel“, so Stephan Natz. Vollzogen wurde er 2018 mit einer eingeführten Pflicht zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung und der entsprechenden Regelung im Baurecht: Bei der Neubebauung eines Grundstücks oder dem Umbau eines bestehenden Gebäudes darf seither kein Niederschlagswasser mehr in die Kanalisation eingeleitet werden.
Die praktische Umsetzung dieser Bestimmung lässt Bauherren beziehungsweise Eigentümer:innen freie Hand: Ob sie nun Gründächer anlegen, Versickerungsmulden schaffen oder Rigolensysteme bauen: Wichtig ist, dass der Untergrund das Wasser wie ein Schwamm aufnimmt, damit es von dort weiter ins Grundwasser sickert, aber auch damit Straßen, Gebäude und öffentliche Plätze in heißen Sommermonaten durch Verdunstung gekühlt werden.
Um die dabei zum Tragen kommenden Mechanismen bekannt zu machen, haben das Land Berlin und seine Wasserbetriebe 2018 die Regenwasseragentur gegründet. Seit sechs Jahren berät sie erfolgreich Wohnungsbauunternehmen und Privatleute, Industriebetriebe, Gewerke und öffentliche Einrichtungen, auch Schulen und Kitas rund um Speicherung und Verwendung des Regenwassers. Auf der Website der Agentur finden sich Planungstools, Modellrechner für die Kostenkalkulation, eine Fördermitteldatenbank und ein Leitfaden mit Tipps für die Umsetzung von Projekten. Das alles soll Planung und Ausführung erleichtern.
Allerdings: Vorgeschrieben ist Regenwasserbewirtschaftung nur für Neu- und Umbauten. „Da geht auch alles gut voran“, erklärt Darla Nickel, Chefin der Regenwasseragentur. „Unser Sorgenkind ist der Bestand und vor allem der Umbau des öffentlichen Raums, wo die Flächenkonkurrenzen am größten sind.“ Und wo die Stadt an vielen Stellen wie in einem Korsett aus Beton steckt.
Welche dramatischen Folgen das haben kann, zeigte sich am 29. Juni 2017. An diesem Tag brach um die Mittagszeit eine Sintflut über Berlin herein: In nur 18 Stunden fiel so viel Regen, wie sonst in drei Monaten. Das Wasser flutete Keller und Parkplätze, stoppte Busse und Bahnen und versetzte die Feuerwehr in den Ausnahmezustand.
Die Kanalisation in Berlins Innenstadt, im 19. Jahrhundert wie damals üblich als Mischwasserkanalisation angelegt, muss sowohl Regen- als auch Schmutzwasser aus Haushalten und Gewerbe in denselben Rohren zu den Klärwerken ableiten. An diesem Tag lief sie über: Rund 2,8 Millionen Kubikmeter Regenwasser – teilweise vermischt mit Abwasser und Fäkalien – ergossen sich ungefiltert in die Berliner Flüsse und Seen.
Für solch ein Extremwetterereignis reichen die jetzt in Angriff genommenen Maßnahmen zum Ablaufen und Versickern bei Weitem nicht. Nun sollen aufwendige Eingriffe in die Stadtlandschaft die Aufnahmekapazitäten erweitern. Sie folgen einerseits dem Prinzip der Schwammstadt, wie am denkmalgeschützten Gendarmenmarkt, wo 6000 Tonnen Pflastersteine abgetragen wurden, um darunter sechs mehrere Hundert Quadratmeter große, rund 60 Zentimeter tiefe Rigolen ins Erdreich zu versenken. Die Kunststoffverschalungen können große Mengen Niederschlagswasser aufnehmen, zwischenspeichern und es langsam versickern lassen.
Andere Projekte dienen ausschließlich dem Gewässerschutz: Das „Stauraumprogramm“ schafft bei Starkregen Platz in großen und kleinen unterirdischen Wasserspeichern mit einem Gesamtumfang von 300.000 Kubikmetern. Von hier werden die Wassermassen dann kontrolliert in die Kanalisation eingeleitet, den Klärwerken zugeführt und später gereinigt in die Oberflächengewässer entlassen.
Ablaufen und versickern reicht nicht mehr
Für den Reinickendorfer Schäfersee, dicht an der Residenzstraße, gibt es keine solche Entlastung. Seit Jahrzehnten ist er Teil des städtischen Entwässerungsnetzes. Durch fünf Straßenzuflüsse spült das Regenwasser den Dreck der verkehrsreichen Umgebung pur dort hinein: Reifenabrieb, Zigarettenreste, Hundekot, Plastik und allerlei Müll. Der 4,5 Hektar große und bis zu sieben Meter tiefe eiszeitliche See, der zu Beginn der 1920er Jahre mit einem Naturpark umrandet wurde, birgt auf seinem Grund schätzungsweise 70.000 Kubikmeter teilweise hochgiftigen Schlamm. Ab einer Tiefe von zweieinhalb Metern ist der See tot. Seit vielen Jahren engagieren sich Umweltschützer für seine Rettung und fordern von der Stadt, dass etwas gegen die andauernde Belastung unternommen wird, in deren Folge Kröten und heimische Vogelarten verschwanden und 2018 hunderte Fische qualvoll erstickten.
Versuche, den Schlamm aus dem See herauszuholen und zu entsorgen, gab es. So wurden um 2013 rund 7000 Tonnen aufwendig entfernt – ganze sieben Prozent der unten liegenden Schicht für 1,8 Millionen Euro. Aber was soll das bringen, wenn Jahr für Jahr aufs Neue wieder mindestens 276 Tonnen Dreck hineingespült werden, fragen sich Aktive wie auch Anwohnerinnen und Anwohner. Denn hier wird nicht nur ein Stück Natur zerstört, sondern auch ein seit 100 Jahren bestehendes Naherholungsgebiet für ein dichtbesiedeltes Umfeld.
Verena Fehlenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Landesverband Berlin, weiß um den Zustand der Berliner Gewässer. Das Urteil der Umweltexpertin: „Sie sind allgemein in einem schlechten Zustand.“ Bei den einen spült Regenwasser Biozide, Schwermetalle und Mikroplastik hinein. Bei anderen fehlen Personal und Geld für notwendige Pflegearbeiten. Und weil vielerorts die Grundwasserstände sinken, fallen Feuchtgebiete trocken und bedrohen die Artenvielfalt.
Fehlenberg: „Kein einziges Gewässer weist den guten chemischen und ökologischen Zustand auf, den die EU-Wasserrahmenrichtlinie fordert und der eigentlich schon 2015 hätte erreicht sein müssen.“
Die Richtlinie verlangt, dass Gewässer nachhaltig bewirtschaftet werden, um ihre Funktions- und Leistungsfähigkeit als Bestandteil des Naturhaushaltes und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu erhalten.
Ein guter Zustand von Seen und Flüssen ist jedoch auch eine essentielle Voraussetzung für die Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Berlin gewinnt es seit mehr als 160 Jahren überwiegend aus dem eigenen Stadtgebiet: 70 Prozent stammen heute aus dem Uferfiltrat von Oberflächengewässern. So versorgen die Brunnen rund um den Großen Müggelsee etwa ein Viertel der Berliner Bevölkerung. Vor Ort, in Friedrichshagen, hat das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) seinen Sitz. Jörg Lewandowski leitet dort eine Forschungsgruppe, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen Grundwasser und Oberflächenwasser beschäftigt: „Wir untersuchen, wie über den Grundwasserpfad Verunreinigungen in Seen eingebracht werden oder auch, was mit den Einleitungen von Kläranlagen in die Flüsse passiert.“
Kläranlagen beseitigen 18,5 Prozent der Verunreinigung
Zu den Stoffen, die dort nicht oder nicht vollständig entfernt werden können, gehören beispielsweise Arzneimittelrückstände und Röntgenkontrastmittel. „Problematisch sind auch Industriechemikalien wie Benzotriazol, ein Korrosionsschutzmittel, das beispielsweise in Geschirrspültabs enthalten ist“, erklärt der Biogeochemiker. Oder PFAS, eine riesige Gruppe von wasser-, fett- und schmutzabweisenden, hitzebeständigen Chemikalien, die sich in beschichteten Bratpfannen, Regen- und Outdoorbekleidung wie auch Fast-Food-Verpackungen finden.
Klärwerke heutigen Standards reinigen Abwasser bereits zu 98,5 Prozent. Um Rückstände weiter zu minimieren, werden gerade Milliarden Euro in alle Großklärwerke im Berlin-Brandenburger Spree-Havelraum investiert und Reinigungsstufen nachgerüstet, die Reste der Nährstoffe Phosphor und Stickstoff, Spurenstoffe oder Keime beseitigen können.
„Wir überwachen die Qualität unserer Gewässer mit Argusaugen, weil sie von so vielen Dingen beeinflusst wird“, erklärt BWB-Sprecher Natz. Vom Bergbau in Sachsen und der Lausitz beispielsweise, der die Sulfatkonzentration in der mittleren und unteren Spree und damit auch im Rohwasser des Klärwerkes Friedrichshagen ansteigen ließ. Nur durch ein gezieltes Wassermanagement aller Beteiligten gelingt es, dass der Trinkwassergrenzwert von 250 Milligramm pro Liter eingehalten wird.
Mit dem Ende des Braunkohletagebaus dürfte das zwar kein Problem mehr sein, doch die Herausforderung wird nicht kleiner. Im Gegenteil. Die Spree wird mit der schrittweisen Einstellung der Sümpfung, also des Abpumpens von Grundwasser aus den Tagebauen, und der Flutung der einstigen Kohlegruben nur noch einen Bruchteil des heutigen Wassers bis zum Müggelsee transportieren.
Das Ende der Braunkohle bringt neue Probleme
Ein wasserwirtschaftliches Gesamtkonzept der drei Spreeanrainer-Bundesländer Sachsen, Brandenburg und Berlin soll das Problem in den nächsten Jahren länderübergreifend angehen. Von Speichermöglichkeiten ist die Rede, aber auch von Überleitungen aus anderen Flüssen wie der Oder, der Elbe oder der Neiße.
Dazu liegt seit zwei Jahren auch ein Masterplan Wasser auf dem Tisch des Berliner Senats, der von besserer Regenwasserbewirtschaftung bis zum Bohren neuer Brunnen reicht. BUND-Mitarbeiterin Verena Fehlenberg geht das längst nicht weit genug: „Wir entnehmen schon jetzt fünf Prozent mehr Wasser, als wir dürften“, kritisiert die Umweltaktivistin und fordert: „Runter mit dem Verbrauch!“ Sie hat dabei auch Privathaushalte im Blick, die den übergroßen Teil des Wassers beanspruchen: „Wir sind mittlerweile bei circa 120 Litern Trinkwasser pro Tag, und in trockenen Monaten geht das noch deutlich nach oben, weil Pflanzen bewässert, Rasen gesprengt, Pools befüllt und vermutlich auch mehr geduscht wird.“ Hier sind also alle gefordert.
Ein gewaltiges Einsparpotential sieht sie auch bei der Wiederverwendung von Grauwasser, dem Wasser vom Duschen und Waschen. Es lässt sich längst soweit reinigen, dass damit die Toiletten gespült und das Grün vor der Haustür gegossen werden kann. Um 30 bis 60 Prozent könnte der Wasserverbrauch auf diese Weise gesenkt werden. Allerdings ist der Einbau von Grauwasseranlagen teuer. Groß angelegte Förderprogramme müssten ihn erleichtern und ebenso zu Dach- und Fassadenbegrünungen oder einer Hofentsiegelung motivieren, meint Verena Fehlenberg vom BUND: „Der Blick in die Zukunft zeigt uns: Wir müssen die Stadtentwicklung gewässerverträglicher gestalten.“
Denn mit dem Entstehen von 14 neuen Stadtquartieren, der Erweiterung von 14 bestehenden Siedlungen und einem zu erwartenden Bevölkerungsanstieg bis 2040 auf fast 4 Millionen Menschen wird der Verbrauch von Wasser noch einmal deutlich größer – und so auch die erfordlichen Anstrengungen, um die Stadt in eine wasserwirtschaftlich nachhaltige Zukunft zu führen.
Rosemarie Mieder
Schwamm macht Schule
Die Idee und der Begriff der Schwammstadt wurde in China erfunden, nachdem man bei starken Regenfällen der Wassermassen in den Millionenstädten Herr werden musste.
Skandinavien griff das Prinzip als erste europäische Region auf: Kopenhagen entwickelte nach einem katastrophalen Hochwasser 2011 seinen Skybrudsplan (Wolkenbruchplan). In Wien wird das Prinzip derzeit in der Seestadt Aspern umgesetzt. In Deutschland sind Berlin und Hamburg Vorreiter, aber auch Leipzig. Das Ruhrgebiet und München stellen sich nach und nach auf das Prinzip um.
rm
Die Regentonne: Anschluss durch Fachleute muss sein
Die Idee des Projekts Wassertanke ist denkbar einfach: Auf dem Markt verfügbare Regenwasserspeicher bis 1000 Liter werden fachgerecht (zum Beispiel durch Klempner, Dachdecker oder auch Hausmeister) an Fallrohre angeschlossen. Je nach Aufstellort sollte diese mit einem verschließbaren Hahn installiert werden.
Auf ihrer Website beraten die Projektverantwortlichen, informieren über Genehmigungen sowie Finanzierungsmöglichkeiten.
www.wassertanke.org
rm
Projekt Wasserschutz: Die Fachleute klären auf
Das Wassernetz Berlin ist ein Projekt, zu dem sich Umweltverbände mit dem Museum für Naturkunde Berlin zusammengeschlossen haben. Es berät und klärt rund ums Thema Wasser auf – und lädt zu informativen und spannenden Dialogveranstaltungen an Berliner Gewässern ein.
wassernetz-berlin.de
rm
27.06.2024