In Neukölln können Vermieter seit neuestem selber entscheiden, ob sie ihre Sozialwohnungen an Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen (WBS) oder an gut verdienende Bewerber vergeben. Ein umstrittener Vorstoß des Bezirkes macht’s möglich.
Befristet auf ein Jahr wurden kürzlich alle Neuköllner Sozialwohnungen von der Belegungsbindung befreit. Für die Anmietung ist ab sofort kein Wohnberechtigungsschein mehr notwendig. Auch die Ausgleichszahlungen, die Mieter zahlen müssen, wenn sie eine zu große Wohnung belegen oder die Einkommensgrenzen des WBS überschreiten, sind weggefallen. Zum ersten Mal wird damit ein ganzer Bezirk WBS-frei. Neuköllns Sozialstadtrat Michael Büge (CDU) begründet diesen Schritt mit der „zunehmenden Destabilisierung der sozialen Strukturen.“ Man wolle ein „ausgeglichenes Mietergefüge“ erreichen und das Wohnen attraktiver machen. Insgesamt gibt es in Neukölln rund 40.000 Sozialwohnungen. 27.000 davon sind bereits seit einiger Zeit vom Senat freigestellt worden, weil sie in Großsiedlungen oder Problemkiezen liegen. „Wir sind der Meinung, dass eine darüber hinausgehende Freistellung, noch dazu ohne irgendeine Gegenleistung, nicht gerechtfertigt ist“, sagt Thomas Brand, Referatsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Ob der Neuköllner Vorstoß vom Senat geduldet wird, steht noch nicht fest. Man prüfe derzeit, ob der Bezirk damit seine Befugnisse überschritten hat. In jedem Fall soll verhindert werden, dass weitere Bezirke diesem Beispiel folgen.
Insgesamt gibt es in Berlin rund 215.000 Sozialwohnungen, etwa 150.000 davon sind bereits freigestellt. Dennoch spiele die Belegungsbindung nach wie vor eine wichtige Rolle, so Brand. Zum einen seien damit Leute zu bedienen, die auf dem normalen Wohnungsmarkt kaum Chancen haben, zum Beispiel Wohnungslose. Zum anderen brauche man die Sozialwohnungen, um die vom Wegfall der Anschlussförderung betroffenen Mieter bevorzugt mit preisgünstigem Wohnraum zu versorgen.
Dass solvente Mieter nun massenhaft die Neuköllner Wohnungen stürmen, ist mehr als fraglich. Fest steht aber: Wer auf eine Sozialwohnung angewiesen ist, hat nun schlechtere Karten. „WBS-Inhaber gelten bei vielen Vermietern sowieso als Mieter mit Makel“, meint der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Berliner Mieterverein, Reiner Wild: „In direkter Konkurrenz zu besser verdienenden Bewerbern werden sie das Nachsehen haben.“
Birgit Leiß
MieterMagazin 8/05
Ganz Neukölln ist WBS-freie Zone (hier die bereits vom Senat freigestellte Gropiusstadt)
Foto: Rolf Schulten
02.08.2013